Entstehung:
1927 erschienen, ohne Gattungsbezeichnung; erst in späteren Ausgaben die Bezeichnung Erzählung. Die lange Vorgeschichte des Steppenwolf-Komplexes wurde ausgelöst durch die von Hesse so formulierte "Krise des Mannes von fünfzig Jahren", einer fast neurotisch empfundenen Isolation, sie fand ihren direkten Niederschlag in den Vorstudien zum Steppenwolf, die zu einem Teil im Band Krisis (siehe dort) aufgenommen wurde. Zu dieser Zeit gab es eine Menge von privaten Schwierigkeiten, wie Augenschmerzen, Gicht, Ischias, die Kuraufenthalte erforderten. Die Scheidung von seiner ersten Frau Maria Hesse, geb. Bernoulli, am 14. 7. 1923 und die zweite Heirat mit Ruth Wenger am 11. 1. 1924. Die nie richtig vollzogene Ehe wurde am 2. 5. 1927 wieder geschieden.
Ort und Zeit:
Kleinstadt in Deutschland, zur Zeit des Ersten Weltkrieges ( -1916)
Personen:
der Autor selbst,
seine Tante,
Harry Haller, ihr Untermieter
Inhalt:
Das Buch ist unterteilt in drei Teile:
Vorwort des Herausgebers
Das Tractat vom Steppenwolf
Harry Hallers Aufzeichnungen
Ein ca. 50jähriger Mann mietet sich bei der Tante des Herausgebers in der Mansarde ein. Dieser, Harry Haller, ist ein vollkommen ungeselliger Mensch, den der Herausgeber nur von zufälligen Begegnungen im Treppenhaus kennt.
Dieser Mann ist dem Herausgeber zunächst vollkommen unsympathisch. Der erste negative Eindruck wird noch verstärkt durch die Bitte Hallers, seinen Aufenthaltsort nicht der Polizei zu melden. Und dennoch fühlt sich der Herausgeber auf seltsame Weise zu dem neuen Mieter hingezogen und versucht Näheres über ihn herauszufinden. Die Abwehr, die er zuerst gegenüber Harry Haller empfindet und die durch dessen Geistes-, Gemüts- und Charakterkrankheit ausgelöst wird, wird mit der Zeit durch Sympathie und Mitleid mit diesem Leidenden und seiner Vereinsamung und seinem inneren Streben abgelöst.
Haller selbst ist ein Genie des Leidens und von Selbstverachtung geprägt. Seiner Erziehung war es nicht gelungen, seine Persönlichkeit zu brechen, sondern nur, ihn sich hassen zu lernen. Jede Schärfe, jede Kritik, jede Bosheit und jeden Haß läßt er zuerst einmal auf sich selbst los, seine Umwelt aber liebt er und versucht, ihr gerecht zu werden.
Haller, der sich selbst als Steppenwolf bezeichnet, ist ein Gedanken- und Büchermensch ohne praktischen Beruf, der sein Wohnzimmer mit Büchern von Dichtern aus allen Zeiten und Völkern füllt und in den Tag hineinlebt, wie es ihm gefällt.
Die erste Begegnung des Herausgebers mit Haller findet, wie schon erwähnt, im Treppenhaus statt, als dieser wieder einmal auf der Treppe sitzengeblieben ist, um sich am Anblick der dort herumstehenden Blumen zu erfreuen und den Duft nach Sauberkeit und Ordnung einzuatmen. Er vergöttert praktisch die bürgerliche Welt rund um ihn, findet aber nicht wirklichen Zugang zu ihr.
Haller führt das Leben eines Selbstmörders, und doch glaubt der Herausgeber nicht, daß er sich umgebracht hat, obwohl dieser eines Tages die Wohnung verläßt und verschwindet und nur das folgende Manuskript der Tante und dem Herausgeber bleibt. Es dürfte aus einer Zeit stammen, in der Haller einmal glücklich gewesen war.
Das Tractat vom Steppenwolf
Harry Hallers Aufzeichnungen
Leseprobe S 27
Es ist wieder ein Tag wie jeder andere auch. Solche Tage der Zufriedenheit verträgt Haller nicht. Er empfindet dann ein starkes Gefühl nach Sensationen, eine Wut auf das abgetönte, flache, normierte und sterilisierte Leben und eine rasende Lust, etwas kaputtzuschlagen und jemandem etwas anzutun. Er haßt also diese durchschnittliche Welt des Normalbürgers, von der er sich aber andererseits doch wieder angezogen fühlt. Er macht sich wieder auf den Weg ins Gasthaus, einen Ort, der auch andere anzieht, die, so wie er, das Bedürfnis nach Ersatz, ein Heimweh oder eine Enttäuschung durchleben. Dort läßt es sich wieder für einige Zeit aushalten.
Später macht er sich dann wieder auf den Heimweg, als ihm die Leuchtreklame einfällt, die er auf dem Weg ins Gasthaus gesehen hat:
Magisches Theater, Eintritt nicht für jedermann; nur für Verrückte,
und er beschließt, dieses Theater zu suchen, findet jedoch nur einen alten Mann, der ihm ein kleines Büchlein in die Hand drückt.
Als er nach Hause zurückkehrt, beschließt er, das Büchlein sofort zu lesen, und muß feststellen, daß dieses "Traktat vom Steppenwolf" nichts anderes ist als die Beschreibung seiner selbst. Im Laufe der Jahre ist er beruflos, familienlos und heimatlos geworden, steht außerhalb aller sozialen Gruppen, allein, von niemandem geliebt, von vielen beargwöhnt im ständigen, bitteren Konflikt mit der öffentlichen Meinung und Moral, und wenn er auch im bürgerlichen Rahmen lebt, so ist er doch inmitten dieser Welt mit seinem ganzen Fühlen und Denken ein Fremder. Er ist es leid, all diese Mühsal und Einsamkeit zu ertragen, immer wieder abzustürzen, wenn er wieder einmal Halt gefunden hat, und gedenkt, somit wieder einmal Selbstmord zu begehen.
Nach einem mißglückten Besuch bei einem alten, ihm bekannten Wissenschaftler kommt die Trost- und Hoffnungslosigkeit wieder und wieder in ihm hoch, und er sehnt sich nach dem Tod und hat doch riesige Angst vor dem Sterben. Er zögert den Heimweg hinaus und landet in einer ihm unbekannten Kneipe, wo er eine junge Frau namens Hermine kennenlernt, von der er sich verstanden fühlt. Er erzählt ihr von seinen Problemen und seinem Leben. Doch sie meint, daß er gar nichts vom Leben wissen würde. Er habe immer nur schwierige und komplizierte Dinge getan und die einfachsten Dinge, wie Tanzen, vollkommen aus seinem Leben ausgeschlossen. Und so ginge es also nicht an, daß er so tue, als habe er das ganze Leben durchprobiert und nichts daran gefunden.
Diese Frau stellt für ihn nun in der nächsten Zeit die Brücke zum Leben dar. Sie bringt ihm das Tanzen bei und durch sie landet er in jenem Lokal, in dem er Maria und Pablo kennenlernt. Alle drei werden für ihn in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen. So wird Maria in der nächsten Zeit seine Geliebte. Er vergleicht sie mit den anderen Frauen, die er geliebt hat. Doch dieses Verhältnis ist ein anderes: von den anderen Frauen hat er Bildung verlangt, von Maria verlangt er sie nicht.
Er lernt das Leben von Maria, Pablo und Hermine kennen. Früher hat er über diese Art von Wesen und Leben sehr wenig gewußt, nur beim Theater hat er früher gelegentlich ähnliche Existenzen angetroffen, halb Künstler, halb Lebewelt. Er lernt die Welt der Liebe und Drogen kennen.
Kurze Zeit später findet ein Maskenball statt. Dort trifft er Maria ein letztes Mal und nimmt endgültig Abschied von ihr. Nach Stunden des Herumirrens findet er Hermine und Pablo. Sie laden ihn ein in ihr"magisches Theater. Hinter verschiedenen Türen wird er nun mit verschiedenen Facetten seines Ichs und seines Lebens konfrontiert. Zum Beispiel trifft er einen Mann, der seine Persönlichkeit in einzelne Teile zerlegt, wobei jeder Teil eine Schachfigur repräsentiert.
Hier endlich kann er in eine andere Wirklichkeit eingehen, in eine Welt ohne Zeit, ohne Realität, ohne die eigene Persönlichkeit. Es ist die Welt seiner eigenen Seele, der ungezählten in ihm ruhenden Lebensmöglichkeiten und Pablo hilft ihm somit, seine eigene Welt sichtbar zu machen.
Aber noch hat Harry das richtig befreiende Lachen nicht gelernt, und erst die Zeremonie seiner Hinrichtung, die darin besteht, daß er von Herzen ausgelacht wird, läßt ihn den tiefen Sinn ahnen, der hinter der Welt dieser Bilder des magischen Theaters liegt. Und er ist nun endlich gewillt, das Lebensspiel immer von neuem zu beginnen, mit all seinem Unsinn, seinen Leiden und Qualen. Und er gelangt zu der Überzeugung, daß es ihm einmal gelingen wird, das Spiel besser zu spielen als bisher.
Aussage:
Die Erzählung ist im wesentlichen handlungsarm, da sie vorwiegend aus Gedanken, Betrachtungen, Meinungen und Erkenntnissen zur Situation des modernen Menschen, des jungen Menschen von heute, ihrer Probleme und Nöte getragen wird. Sie wird daher auch oft als Darstellung des modernen Menschen in seiner Zerrissenheit verstanden.
Harry Haller repräsentiert den Konflikt zwischen dem gesellschaftlichen Wesen und seinen Verpflichtungen, den Konventionen unterworfenen und sich nach Normalität sehnenden Bürgers einerseits und dem triebhaften, vergeblich nach geistiger Befreiung und Selbstbestimmung strebenden Individuum.
Der Roman "Der Steppenwolf "schildert auf erschütternde Weise die seelische Not eines gespaltenen Menschen, der sich gleichzeitig als Tier und als Geistwesen empfindet. Der Held Harry Haller ist die Verkörperung des umhergetriebenen, von seinem unbekannten Ich gejagten Menschen. Gelingt es Harry Haller ( = Hermann Hesse, siehe auch Lebenslauf), das Tier im eigenen Inneren zu stellen, es sichtbar zu machen, so könnte er sich selbst erlösen.
Im "Magischen Theater - Nicht für Jedermann" wird Haller in furchtbarer Weise sein eigenes Ich gewahr, und seine tief verborgene, geheimnisvolle Lust am Geschlechtlichen wird ans Licht der Welt gefördert. Im "Steppenwolf" geht es, wie in manch anderen Werken Hesses um die Nachtseite der Natur des Menschen.
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