Christoph Martin Wieland gilt als genialer Erzähler, als Erneuerer des
deutschen Romans, als Begründer der neueren Epik und er verleiht der
deutschen Sprache Glätte. Mit seinen Romanen wird Wieland zum Begründer der
neueren deutschen Romandichtung, wobei ihm Horaz, Voltaire und Cervantes als
Vorbilder dienen.
"Geschichte des Agathon" (1767 bzw. 1794)
Das immer wiederkehrende Thema Wielands ist der Zusammenstoß eines
realitätsfernen Menschen mit der Wirklichkeit, wodurch ihm seine Illusionen
geraubt werden. Im neuen Lebensideal ist die Herrschaft des Gefühls
gebrochen und wird durch die des Verstandes er-setzt. Der Roman ist eine
verdeckte Selbstbiographie Wielands und gehört in die Reihe der großen
deutschen Bildungsromane. Wielands Buch ist über weite Strecken ein
Desillusio-nierungsroman:
Der erste Teil des Romans schildert den zuerst in ein übertrieben
asketischen Lebensi-deal, dann in sinnenfrohe Hingabe an die Weltlust
verstrickten jungen Mann Agathon. Der zweite Teil greift auf die Knabenzeit
zurück und erzählt die vorausgegangene Er-ziehung des Jünglings und, zum
ersten Teil zurückkehrend, die allmähliche Loslösung aus der jugendlich
übertriebenen Einseitigkeit der Lebensführung. Der dritte Teil bringt
schließlich das Heranreifen Agathons zu einem um sein Ziel wissenden und zu
klarer Harmonie aller inneren Widersprüche findenden Staatsmann.
Wielands Roman hat einen Erzähler, der nicht als Person am Geschehen
beteiligt ist, der aber dennoch immer wieder in den Vordergrund tritt, sich
an den Leser wendet, das Gesche-hen kommentiert und scheinbar allwissend
über alle Figuren und Handlungen verfügt. Die Germanistik nennt ein solches
Erzählmedium einen "auktorialen" Erzähler, im Gegensatz zum "neutralen
Berichterstatter vieler moderner Romane, der das Geschehen kommentarlos
wiedergibt und selbst nie als Individualität erkennbar wird, und zum
"personalen" Erzähler, der die Perspektive einer der handelnden Figuren
einnimmt.
|