Das Lied vom Sankt Nimmerleinstag
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\"Das Lied vom Sankt Nimmerleinstag\" ist ein typisches Element der so genannten \"epischen\" Form des Theaters. Diese Form des Theaters will beim Zuschauer Distanz zum Bühnengeschehen schaffen und so zum Nachdenken auffordern. Im genannten \"Lied vom Sankt Nimmerleinstag\" wird dies durch verschiedene Aspekte erreicht.
Zunächst ist die Situation, in der Yang Sun das Lied vorträgt, eine nicht bühnentypische: Zwar spricht er mit \"Meine Damen und Herren\" vermeintlich die Hochzeitsgäste an, tatsächlich aber redet er\"nach den leeren sitzen hin\".Lediglich Shen Te und Frau Yang sind noch anwesend. Letztlich wird also der Zuschauer direkt angesprochen, indem der Sänger durch Vortreten an die Rampe Kontakt mit dem Publikum herstellt. Gleichzeitig steht Sun so quasi neben sich.
Die Distanz des Schauspielers zur Bühnenrolle wird verstärkt durch Inhalt und Sprache des Liedes. Inhaltlich geht Sun zwar auf seine eigene persönliche Hoffnung ein (\"Und an diesem Tag werd ich Flieger sein...\"), bleibt aber nicht dabei stehen, sondern überträgt die Trostlosigkeit seiner Situation allgemein auf andere Versprechungen und Menschen, wenn er in Str.4 z.B. einen Arbeitslosen direkt anspricht. Sprachlich spricht/singt Sun anders als in seiner Rolle: Märchensprache (\"Eines Tages...\"), Reime und Paradoxien bildlicher (\"Und das Gras sieht auf den Himmel herab...\") sowie sprachlicher Art (\"Am Sank Nimmerleinstag/Beim ersten Hahnenschrei...\") veranschaulichen und klären die Unmöglichkeit des Eintreffens religiöser, politischer oder anderer Heilserwartungen.
Die gennanten Aspekte sollen die Handlung im Sinne des \"epischen Theaters\" \"verfremden\". Der Zuschauer soll sich nicht einfühlen, sondern dem Bühnengeschehen \"fremd\", distanziert gegenüberstehen und es durch die Distanz kritisch hinterfragen, hier z.B., indem er erkennt, dass keine Versprechung jemals erfüllt wird und anschließend darüber nachdenkt, ob und wie dies geändert werden könnte.
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