Der Essay sei, so die Meinung vieler Literaturwissenschaftler, die "spezifische Ausdrucksform des nicht systematisch, sondern künstlerisch schaffenden Denkers" . In der Erörterung von Problemstellungen im Essay stehe nicht die Ebene des begrifflich Fassbaren im Vordergrund, sondern es geht um ein "Einordnen der Werke, Gestalten, Ereignisse in die eigene Lebensbewegtheit des Betrachters" . Das mache den Essay so persönlich und auch so künstlerisch.
Was gesagt wird, bezieht sich immer auf bestimmte Fakten aus dem Bereich der historisch beglaubigten Wirklichkeit. Es gehört aber zum Wesen des Essays, dass er diese, außerhalb seiner eigenen sprachlichen Welt und unabhängig von ihr existierenden Fakten durch Reflexion erhellt. Er bringt seine Erörterungen auch auf eine kunstmäßige Weise zum Ausdruck und eben diese Tendenz zur Gestaltung dessen, was mitgeteilt werden soll, unterscheidet die literarische Form des Essays von der Sachdarstellung oder der Abhandlung.
Von der Dichtung wiederum unterscheidet den Essay, dass er die Thematik zwar künstlerisch aufarbeitet, aber nicht seine eigene Gegenständlichkeit schafft, da er die Fakten in der Regel nie soweit integriert, dass die außerliterarischen Bezüge jemals vollkommen irrelevant werden könnten. Der Essay gibt mit der Darstellung lediglich eine Deutung seiner Fakten.
Das ästhetische Grundproblem des Essays liegt in der möglichen Durchdringung von Mitteilung und Gestaltung, von Reflexion und Imagination. Darum bleibe der Essay, so Ernst-Otto Gerke, immer ein "Mittelgeschöpf zwischen Poesie und Rhetorik, [...] ein Werk aus Wissen und Einbildungskraft" .
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