In den Jahren 1938-1944, also kurz vor der "Stunde Null", schreibt Celan der deutschen Tradition entsprossene Gedichte, die gleichzeitig in sie zurückkehren und sich mit ihr auseinandersetzen, aber noch "unverstellt eigene Erlebnisse und Entwicklungen" spiegeln. Seine Lyrik beginnt noch innerhalb der traditionellen lyrischen Sprechweise, sie tritt allerdings bereits in den Jugendgedichten den Weg an, den Celan später die "Absicht des Gedichts" nennt, die überlieferten "Tropen und Metaphern ad absurdum" (GWIII, 199) zu führen.
Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stehen Celans Gedichte allerdings noch unter dem Zeichen jugendlicher Romantik-Begeisterung; in traditionellen Formen beschwören sie den Nachtzauber, der "im Mondschein oder im Traum das Wunderbare offenbart." In den folgenden Gedichten wechselt der Ton unter dem Einfluß des Kriegsgeschehens: Die zuvor noch besungene Nacht verwandelt sich in eine bedrohliche Finsternis, die Sprache wird dunkler und stockender, die gebundenen Formen lösen sich auf, Angst und Trauer bestimmen die Atmosphäre, es wird erstmals die Forderung nach einer Verweigerung der "Verklärung" gestellt. Damit wird die Dichtungstradition in Frage gestellt und die dort angelegte Tendenz zur falschen Beschönigung und zur ästhetisierenden Verharmlosung verworfen.
Die Thematisierung des poetischen Sprechens erfolgt bereits sehr früh, die überlieferten Metaphern erfahren "durch das ,Zerbröckeln' der Strophen, durch die unterbrochene Stimmführung, aber auch durch die häufig dunklen und undurchsichtigen Zusammenhänge eine gewaltsame Entfremdung." Damit wird deutlich, daß nicht mehr in diesen Metaphern gesprochen wird, sondern über sie. Erstmals kommt es in diesem Zusammenhang zu einer "Versprachlichung des Celanschen Verstummens" in "Mein Karren knarrt nicht mehr..." . In romantischen Bildern wird eine Nachtlandschaft entworfen, die zunehmend von einer Stille des Todes beherrscht wird. Das Ende des Gedichts - "Das Herz der Espe / setzt aus." - verweist auf das Erstarren des "überlieferte[n] Lied[es] von den Gräsern, dem Mond und den Wäldern." "Mein Wagen knarrt nicht mehr..." ist damit Reflexion und Kritik auf die traditionelle Lyriksprache, poetisierendes Weltgefühl und spätromantisches Naturschwelgen werden negiert.
In allen nachfolgenden Gedichten sind die Symbole der traditionellen Dichtung (z.B. "Mond", "Mohn") zu Chiffren für die verklärende Sprechweise selbst geworden. So auch in "Aus dem Dunkel":
"Krieger
stießen den Speer in den Mond.
Blutete. Auch Mohn
blutet.
5 Und die Brücke, Schwester, zu dir, zerschlugen sie.
Nicht mehr
ist der Stunden Geflüster rings . .
Nicht mehr
ist es dein treibender Zweig . .
10 Spät
knie ich und ruf und zünd in die Spiegel das Traumbild."
Verknappter und stockender Tonfall sowie unregelmäßige "Strophen" deuten auf Auflösung, Zerfall und Disharmonie hin. Das eigene Stocken der Sprache wird mit den Bildern der verstummenden Natur verbunden, Negationen ("Nicht mehr" [6; 8]) beherrschen die Grundstimmung des Gedichts. Zum ersten Mal wird direkt die kausale Bestimmung des Verlusts angegeben: "Krieger / stießen den Speer in den Mond." Die Worte "Krieger" und "Speer" vermitteln den Hintergrund des Krieges und der Gewalt, denen der "Mond" mit seinem ganzen Bedeutungsballast zum Opfer fällt, denn in früheren Gedichten war der "Mond" noch Symbol poetischer Verklärung, Begleiter der Liebenden und "wichtigstes Paraphernalium der nächtlichen Verklärung" .
"Blutete. Auch Mohn / blutet." (3f.) kann als programmatische Aufforderung an die Dichtung, die Verletzung des Mondes am eigenen Leib zu vollziehen, verstanden werden. Die zerschlagene Brücke zur Schwester deutet auf die Zerstörung der herkömmlichen Zeichensprache der Liebesdichtung; das Verstummen des "Geflüster[s] rings" (7) meint Absage an das zauberhafte, phantastische Wesen der Natur, deren "treibender Zweig" (9) eben nicht mehr der "organische Ursprung des dichterischen Drangs, der blühenden poetischen Inspiration" ist, nicht mehr Zeichen der Erlösung.
Die letzten beiden Verse beschreiben Celans Verständnis der Dichtung zu dieser Zeit. Der Mond kann nur noch als "Traumbild" (11) in das Gedicht eingebracht werden. Durch das Bewußtsein dieser Unwirklichkeit wird aber eine Distanz zur Poetisierung geschaffen; die Novalische Vorstellung "Der Traum wird Welt, die Welt wird Traum" wird zu einem "Traum vom Traum".
"Zwar kann das dichtende ,Ich' die Welt nicht mehr unmittelbar beschreibend ,widerspiegeln', es kann jedoch seine poetische Vision als ,Traumbild', aus einer bewußten Distanz entwerfen. [...] Als ,Traumbild', das sich seiner ,Wirklichkeitsferne' bewußt ist, bleibt Dichtung noch möglich, wenn sie auch den Gewaltakt der Krieger, die Verletzung des ,Mondes' und des ,Mohns' in sich trägt."
Damit ist für Celan die Frage nach der Bedeutung und Rolle der Lyrik in "finsteren Zeiten" aber noch nicht geklärt. Die Infragestellung der Dichtung zieht sich in verschiedenen Konstellationen als Leitfaden nicht nur durch die Jugendgedichte, sondern durch das gesamte Werk. Im Gedicht "Hieroglyphe" setzt sich Celan etwa mit der romantischen Sprachauffassung auseinander. Novalis' utopisches Ziel der Dichtung, Natur und Subjekt im magischen, poetischen Wort zu synthetisieren, wird direkt widerrufen. Die Verse "Harfe, dein Schrei!" und "Frier mit mir, Baum." machen deutlich, daß erst im Schrei der Harfe und im Frieren des Baumes die Verbundenheit der lyrischen Sprache und der Natur mit der leidvollen menschlichen Existenz gewährleistet wäre.
Paradoxerweise erfolgt in den nächsten Gedichten ein Rückgriff auf traditionelle Formen, zunächst allerdings als "Zitat", "als impliziter Widerruf der darin anklingenden Gattungen [...], später als Ausdruck der inhaltlich reflektierten ,Weltflucht' und als Bestimmung des Orts der Hoffnung und des Trosts in der Dichtung selbst." 1942-1943 gelangt Celan, nach der Deportation seiner Eltern und seiner Internierung in ein Arbeitslager, zu einem Ton der Desillusionierung und Resignation, der den Sinn des Dichtens - und des eigenen Überlebens überhaupt - in Frage stellt. Die private Trauer um den Verlust der Mutter wird zentrales Thema, beginnend in "Mohn" über die erste Nennung des Wortes "Mutter" in "Winter" bis hin zu "Nähe der Gräber" ; darüber hinaus wird diese Trauer auch im späteren Werk noch thematisiert. Wichtig sind diese Gedichte auch deshalb, weil sie versuchen, nicht nur die Ermordung der Mutter, sondern das gesamte damit verbundene Geschehen vor dem Vergessen zu bewahren. So wird das Bestreben, eine Sprache, eine Dichtung zu finden, die diesem Vergessen entgegenwirkt, zum bestimmenden Moment der Celanschen Lyrik.
Unmittelbar vor "Nähe der Gräber" steht das Gedicht "Russischer Frühling" , das ebenfalls von "jüdischen Gräbern" spricht. Zahlreiche literarische und zeitgeschichtliche Anspielungen dienen der Gegenüberstellung von romantischen Reminiszenzen und aktuellem Kriegsgeschehen. Damit zeigt sich auch hier eine Gegenposition zur Romantik, die in der Vermischung des Getrennten das starre Verstandesprinzip aufheben und einen Zustand allgemeiner Vermittlung herstellen wollte. Bei Celan betont die Zusammenfügung von Heterogenem (in diesem Fall romantische Verklärung und aktuelles Kriegsgeschehen) im Gegenteil die scharfe Dissonanz. Dieses Prinzip wendet er auch in "Todesfuge" an.
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