Der Vater:
Herrmann Kafka (um 1883) Kafkas Vater Herrmann wurde 1852 in Wossek in Südböhmen, einem winzigen Dorf von knapp hundert Einwohnern, geboren. Er stammte aus einfachsten Verhältnissen. Sein Vater, Jakob Kafka, war Fleischhauer und heiratete 1849, als Fünfunddreißigjähriger, seine Nachbarin Franziska Platowski. Jakob Kafka hatte sechs Kinder, zwei Töchter und vier Söhne, die schon in jungen Jahren und frühmorgens, auch im Winter und oft barfuß, die Fleischwaren mit einem Handkarren in die umliegenden Dörfer bringen mußten. Die Lebensverhältnisse der Familie waren äußerst bescheiden, die Schulbildung scheint jedoch, den Verhältnissen entsprechend, überdurchschnittlich gewesen zu sein. In Wosek existierte damals noch eine jüdische Schule, und hier hat wohl Kafkas Vater (dessen Umgangssprache damals tschechisch war) deutsch lesen und schreiben gelernt. Als Vierzehnjähriger verließ Herrmann Kafka Wossek und versuchte als Wanderhändler sein Glück. Nach dem Militärdienst siedelte er nach Prag über und gründete dort ein paar Jahre später,
mit einigen Mitteln seiner Braut, der vermögenderen Brauerstochter Julie Löwy, ein Galanteriewarengeschäft.
Julie Löwy wurde in Bad Podêbrad geboren. Ihr Großvater war ein sehr jüdisch gebildeter Mann. Sie hatten ein ziemlich großes Geschäft, welches sehr vernachlässigt wurde, da der Großvater sich lieber mit dem Talmud beschäftigte. Julie Löwys Mutter war die einzige Tochter des frommen Talmudisten. Sie starb mit 28 Jahren an Tifus-Epedemie und hinterließ die drei Jahre alte Julie und ihre drei Brüder. Ihr Vater hatte nach einem Jahr wieder geheiratet, aus dieser Ehe stammen zwei Söhne, verkaufte das Haus und auch das Geschäft ihrer Eltern und übersiedelte nach Prag. So wuchs Julie seit ihrem vierten Lebensjahr nur unter der Obhut der Stiefmutter und des Vaters auf. Die Mutter:
Julie, geb. Löwy
(um 1883)
Empfindlichkeit, Gerechtigkeitsgefühl, Unruhe 1 - so charakterisierte Kafka das Löwysche Erbteil. Einige dieser Eigenschaften waren auch in Kafka stark ausgeprägt, besonders die schüchterne, beinahe übermäßig ängstliche Bescheidenheit, die Scheu und eine gewisse Kontaktarmut. Der Kafkasche Lebens-, Geschäfts- und Eroberungswillen 2 war hingegen nicht auf Kafka übergegangen.
Hermann Kafka vergaß seine schwere Jugend nie, hielt sie beständig seinen Kindern vor Augen und akzeptierte lediglich die gesellschaftliche Anerkennung als erstrebenswertes Ziel. Die gesellschaftliche Anerkennung war in der altösterreichischen Provinzhauptstadt nur auf dem Umweg über die schmale deutsche Oberschicht zu erlangen. Der deutlichste Hinweis für die entschlossenen Anschlußversuche an die deutsche Gesellschaft ist die Schulbildung der Kinder - sämtliche Kinder der Familie Kafkas besuchte ausschließlich deutsche Schulen.
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