Tambourmajor
- Er ist eine eindimensional ausgelegte Gestalt, genau wie der Hauptmann und der Doktor.
- Innerhalb einer sozialen Hierarchie nimmt er, wie Woyzeck, eine untere Stellung ein. Er gehört zu den untergeordneten Soldaten, so dass er sich nicht wesentlich von Woyzeck abhebt.
- Sein Auftreten, seine prunkvolle Uniform und seine Geschenke geben ihm nach außen hin jedoch einen ganz anderen Schein. So gewinnt er auch an öffentlichem Ansehen.
- Er selbst ist nichts. Sein Selbstbewusstsein leitet sich allenfalls aus seiner männlichen Kraft, seinem Habitus und seiner Kleidung her.
- Er leitet sein Selbstwertgefühl von außen her ab. Er sucht die Bestätigung in seinem Gegenüber.
- Er unterscheidet sich nicht von den anderen Personen im Drama, die eine entfremdete Existenz leben.
- Er flüchtet sich in den Alkohol, in das Aufschneiden und in die Anbetung seiner Männlichkeit etc, die er immer wieder bestätigt haben muss.
- Die Entfremdung, die alle Personen im "Woyzeck" erleben, merkt man am Tambourmajor sehr deutlich. -> Anstatt sich den Leuten, die einem in der sozialen Hierarchie gleichgestellt sind, zugehörig zu fühlen, produziert man diese Hierarchie auch auf den eigenen Stand. Die Unterdrückung, die einem wiederfährt, scheint weitergeben werden zu wollen. Satt Solidarität, nur Aggression und Gewalttätigkeit.
- Woyzecks Gegenspieler im Drama ist insofern nicht der Tambourmajor, sondern die Gesellschaft.
Doktor
- Es herrscht ein Vertragsverhältnis zwischen dem Doktor und Woyzeck. Woyzeck lässt Experimente mich sich machen, um Marie und das Kind zu ernähren.
- Der Doktor hat kein Verständnis für Woyzecks Lage und sieht in ihm nur ein leichtes Opfer für seine wissenschaftlichen Karriereinteressen.
- Er ist sich selbst und seinen Mitmenschen total entfremdet; und somit mit dem Tambourmajor vergleichbar.
- Er sieht in allem (auch in Menschen) nur die Wissenschaft und verliert dadurch komplett den Ethos eines Arztes.
- Er spricht mit der größten Kaltblütigkeit und mit Affekt. Dazu ist er sehr wichtigtuerisch und sehr aufgeblasen.
- Die Doktor - Szenen können als Satire Büchners auf den Wissenschaftsbetrieb seiner Zeit verstanden werden. Die satirischen Elemente werden jedoch bist uns Groteske getrieben.
- Der Doktor versucht Woyzeck über die Freiheit des Menschen aufklären, was eigentlich blanker Hohn ist, denn er selbst ist komplett unfrei, da er sich völlig seiner wissenschaftlichen Karriere verschrieben hat.
- Woyzeck wirkt gegenüber dem Doktor ohnmächtig, da er nicht in der Lage ist, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Der Doktor baut anhand seiner Fachsprache eine für Woyzeck undurchdringbare Barriere auf.
Hauptmann
- Komplizierte Gestalt, im Gegensatz zum Doktor.
- Der Hauptmann wird nicht in einem militärischen Umfeld gezeigt.
- Der Doktor beschreibt ihn als aufgedunsen, fett, mit dickem Hals.
- Der Hauptmann ist weniger eine Karikatur des Militärs als eine des bürgerlichen Philisters.
- Er hat bürgerliche Züge mit einem kräftigen Einschlag ins Halbherzig - Spießbürgerliche.
- Die steten Doppelungen der Begriffe in seinem Reden zeugen von formelhaftem inhaltslosen Gebrauch.
- Der Hauptmann gibt sich als Repräsentant einer guten Gesellschaft, obwohl er in Wahrheit dem Schicksal Woyzecks gegenüber lieblos, unmenschlich und indifferent ist. Er ist ein harmlos - gefährlicher Träger einer doppelten Moral.
- Er gebraucht die Begriffe Moral und Tugend, um sich in ihnen zu sonnen und zu bestätigen. In Wahrheit nutzt er, wie der Doktor, Woyzeck nur schamlos aus.
- Woyzeck rebelliert nicht gegen den Hauptmann, sondern resigniert vielmehr, da er denkt, dass sich die Verhältnisse auch nach seinem Tode nicht verändern werden.
- Nervosität, Schreckhaftigkeit und Unrast sind typisch für den Hauptmann.
- Langeweile als Symptom für den Verlust der Transzendenz und der Seinsangst.
Marie
- Unterscheidet sich von den anderen Gestalten, weil nur sie und Woyzeck einen Individualnamen haben (abgesehen von Andres. Aber der zählt ja nicht wirklich. *g* )
- Sie kann über ihr Tun nachdenken und übt Selbstkritik an sich; das können die anderen nicht. Dieses verhindert, dass sie nur Repräsentant einer bestimmten sozialen Gruppe ist. Sie hat ein Eigenleben.
- Innerlich rebelliert sie gegen ihren sozialen Status, doch sie resigniert auch gleich wieder.
- Die Lieder dienen teilweise dem Protest und bieten ihr somit auch Fluchträume, die sie aber auch gleich wieder verwirft.
- Sie hat mittlerweile Angst vor Woyzeck. Dennoch lebt sie immer aus dem Augenblick heraus. Dieser kann ihr dann Furcht machen oder sie aufheitern.
- Augenblicksgebundenheit, Spontaneität und Sprunghaftigkeit sorgen dafür, dass Marie sich zum Tambourmajor hingezogen fühlt. Sie springt auf äußere Reize an und lässt sich teilweise von ihrer Triebhaftigkeit leiten.
- Frustration über die miserable Lage wird nicht mit produktiver Aggression auf die eigentliche Ursache des Problems gelenkt, sondern gegen sich selber. Marie lenkt diese Aggression gegen Woyzeck und sogar gegen ihr Kind. Die Aggression macht sie anfällig für jede Verführung.
- Obwohl Marie und Woyzeck sich in der gleiche Lage befinden, ergibt sich keine Solidarität: beide werden zu Handlungen gezwungen, die sie eigentlich nicht wollen.
- Wechselhaftigkeit: hat Gewissensbisse, doch setzt sich sofort wieder darüber hinweg.
- Marie hat ihre Orientierung verloren. Auch die Bibel gibt ihr nicht den versprochenen Trost.
Woyzeck
- Gegenfigur zum dramatischen Helden. Er gehört zu den leidenden, gedrückten Gestalten, denen Büchners ganzes Mitleid gehört.
- Er ist ein Elender, Schwacher, von allen und vor allen Erniedrigter. Zu keiner der ihn umgebenen Gestalten findet er eine menschliche Beziehung, keine der Gestalten findet zu ihm.
- Der Doktor missbraucht ihn als Versuchsobjekt, der Hauptmann bezeichnet ihn als "schlechten Menschen", Andres hat kein Verständnis für ihn, die Handwerksburschen malträtieren ihn, der Jude nimmt ihn aus, der Tambourmajor (miss)braucht ihn, um sich zu beweisen. Marie betrügt ihn. Mit ihr verliert er das Einzige, was ihm am Leben geblieben ist. Woyzeck ist verlassen und lässt sich gut mit dem Kind aus dem Märchen der Großmutter vergleichen.
- Woyzeck ist nichts anderes als ein austauschbares, in die militärische Maschinerie eingeordnetes Glied. Er gehört ganz und gar zu den "armen Leut", denen er sich selbst komplett zurechnet.
- Er definiert sich nicht durch sich selbst, durch seine Arbeit. Er definiert sich durch die Liebe zu Marie, welche dann durch ihren Treuebruch zerstört wird.
- Er verdient zu wenig, als dass er Marie und das King versorgen könnte und gibt sich deshalb dem Doktor als Versuchsobjekt hin, um ein bisschen Geld dazu zu verdienen. Diese Experimente schwächen ihn und sind vielleicht die Ursache für seinen Wahnsinn. Woyzeck ist ein Gehetzter; er hat nie Zeit.
- Woyzeck leidet unter der sozialen Misere, genauso wie er unter seine Kommunikationslosigkeit leidet. Er steht isoliert und hat Angst sich mitzuteilen. Ihm ist alles, was ihm begegnet fremd und bedrohlich. Er kann es nicht sprachlich bewältigen. So ist Woyzeck nicht nur von der Gesellschaft missbraucht, sondern er sieht sich auch überall dem Anonymen, dem Namenlosen gegenüber, das er sprachlich nicht bannen kann.
- Alles was ihm Angst macht, dass presst er in ihm bekannte Erklärungsmuster und diese sind nach außen hin die Halluzinationen. Diese Pseudoerklärungen helfen ihm mit den Ängsten fertig zu werden. Die Stimmen werden für Woyzeck zu einer äußeren Macht , bestimmen im Unterbewusstsein sein Handeln.
- Die Stimme, die Woyzeck hört, kurz bevor er Marie umbringt, ist ein Einsturz seines allzu sehr gepeinigten Ichs.
- Marie bedeutet Woyzecks Identität. Ihr Mord kommt einem Selbstmord gleich.
- Er befragt sich selbst in radikaler Weise. Woyzecks Fragen sind zugleich die Fragen, die das Drama an den Leser/Zuschauer stellt.
- Was ist der Mensch? - Ist er nicht mehr als ein zivilisiertes Tier? - Was treibt den Menschen zu seinen Handlungen? - Sind diese Handlungen nicht sinnlos? - Gibt es eine Erlösung aus all der Sinnlosigkeit und Einsamkeit? - Wie findet der Einzelne zum Du? usw.
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