Claire Zachanassian stammt gebürtig aus Güllen, wurde dort geboren und wuchs dort als Klara Wäscher auf. Ihr Vater war dort ein angeblich großer Architekt, dessen hervorragenstes Bauwerk allerdings die Bahnhofstoilette war, zudem war er Alkoholiker. Ihre Jugend war aufgrund ihres zerüttelten Elternhauses wohl nicht sehr angenehm, nicht auszuschließen ist, daß sie von ihrem Vater (Alkoholiker) geschlagen wurde, was die auch in ihrem späterem Leben als Milliadärin männerfeindliche- bzw. herabsetzende Haltung erklären könnte (die natürlich später durch Ills Verhalten noch verstärkt wurde) und allgemeine "seelische Narben" aus der Kindheit vermuten läßt. Die Abneigung gegenüber Männern zeigte sich in ihrer Jugend vor allem darin, daß sie auf dem Bahnhofsklo saß und auf Leute spuckte. "Aber nur auf die Männer." (S.27). Desweiteren waren ihr Betragen und ihre Noten in der Schule schlecht, lediglich in Pflanzen- und Tierkunde war sie mittelmäßig. Auch sonst war sie Obrigkeiten nicht sehr verbunden und nicht sehr tugendhaft, was sich darin widerspiegelt, daß sie den Güllener Polizisten mit Steinen beschmiß, um ihren Unmut auszudrücken. Während der Pubertät mauserte sich Klara zu einer sehr hübschen, gerstenschlanken jungen Dame, zudem war sie rothaarig und sehr leidenschaftlich, eine Konstellation, mit der sie eine große Resonanz bei den männlichen Bewohnern Güllens hervorrief, was jedoch nicht bedeutet, daß sie sich mit allen einließ. Für sie gab es zu dieser Zeit nur einen, nämlich ihre große Liebe Alfred Ill. Es scheint als hatte sie in ihm das gefunden, was ihrem Bild von Mann entsprach, was sie zu Hause vielleicht nie erfahren hatte und was sie bis dahin nicht kannte.
Als Ill ihre Vaterschaftsklage durch Bestechung von Zeugen abschmettert, zerbricht für sie die heile Welt, die sie sich immer erträumt hatte. Mit 17 Jahren verließ sie ihre Heimatstadt in Schimpf und Schande. Ein Jahr später starb das gemeinsame Kind, was den Schmerz, den ihr Ill zufügte noch vergrößerte. Sie schwor Rache und nachdem sie der Multimilliadär Zachanassian aus dem Bordell, in dem sie "geendet" war herausheiratete, ergaben sich in dieser Beziehung neue Möglichkeiten für sie.
Im Zeitraum der vergangenen 45 Jahre bis zu ihrer Rückkehr nach Güllen hat sich ihr Charakter und dementsprechend auch ihr äußeres sehr verändert. Durch mehrere Unfälle hat sie im Laufe der Jahre einen Arm und ein Bein verloren, welche durch Protesen ersetzt wurden. Mittlerweile ist sie 62 Jahre alt, die Haare sind immer noch rot, wahrscheinlich gefärbt. Sie tritt ihrem Reichtum entsprechend mit Perlenhalsband und riesiegen Goldenen Armringen auf, "aufgedonnert, unmöglich, aber gerade darum wieder eine Dame von Welt, mit einer seltsamen Grazie, trotz allem Grotesken" (S.22). Im allgemeinen kann man sagen, daß ihr das Geld, welches sie besitzt nicht sehr viel bedeutet, was sich auch in der Art zeigt, wie sie mit Geld umgeht, als sie z.B. gegenüber dem Bahnhofsvorsteher 4000,- als eine "Kleinigkeit" (S.24) bezeichnet. Andererseits kann dies natürlich auch bedeuten, daß ihr der Reichtum in gewisser Weise zu Kopf gestiegen ist, auf reiner Güte beruht ihre Spendierfreudigkeit mit Sicherheit nicht. Desweiteren ist das Verhalten der Claire Zachanassian, im Gegensatz zum leidenschaftlichen der Klara Wäscher, durch alle Schicksalschläge, die sie erlebt hat, kalt und gefühlslos
geworden, was sich natürlich in der Haupthandlung zeigt, in der Art und Weise, wie sie sozusagen ohne ein Wimpernzucken die Ermordung Ills fordert, aber auch an der Tatsachen, daß sie im letzten Gespräch mit Ill das gemeinsame Kind lediglich als "das Ding" (S.116) bezeichnet. Eine eine z.T. erschreckende, berechnende Grausamkeit ergibt sich wiederum in der Tatsache, daß die Ermordung Ills bis ins kleinste Datail, wahrscheinlich über Jahre hinweg geplant war. Sie hat die gesamte Industrie Güllens lahmlegen lassen, was zeigt, daß sie als reichste Frau der Welt in ganz anderen Dimensionen lebt als die Güllener, indem sie nämlich die Armut einer ganzen Stadt, immerhin 5056 Einwohnern, eiskalt mit in ihren Plan einberechnet. In diesem und auch anderen Zusammenhängen scheint sie die Katze zu sein, die mit dem Wollknäul spielt. Auch der Satz "Ich warte." nachdem der Bürgermeister das Angebot abgelehnt hat, zeugt von dieser genannten grausamen Kalkulation, da sie sich über den Ausgang der ganzen Angelegenheit vollkommen im Klaren ist. Diese "andere Dimension" wird außerdem deutlich, als sie auf dem Balkon des "Goldenen Apostels" sitzt und mit der High Society der Welt telefoniert. Sie tront praktisch, ansatzweise einer Göttin gleich, über der Stadt und die Probleme der Güllener erscheinen im Vergleich zu den Gesprächspartnern am Telefon unwichtig. Einerseits ist dies wie schon erwähnt sehr grausam, andererseits gehört auch Intelligenz zu einer solchen Planung, wenn diese sich auch mit den finanziellen Mitteln der Claire Zachanassian wesentlich einfacher gestaltet. Ill hatte ihre gesamten Illusionen auf ein normales Leben mit seinem Verrat zerstört. Daß sie dieses ihrem jetztigen Milliadärsleben ggf. vorziehen würde sagt sie deutlich mit den Worten "Du hast Dein Leben gewählt und mich in das meine gezwungen." (S.49). Und auch in den Gesprächen mit Ill im Konradsweiler Wald scheint sie der gemeinsamen Vergangenheit eher in einem gewissen Grad nostalgisch gegenüberzustehen, auf jeden Fall verflucht sie sie nicht, sondern hält die für sie schönen Momente in guter Erinnerung: "Ich liebte dich. Du hast mich verraten. Doch den Traum von Leben, Liebe, von Vertrauen, diesen einst wirklichen Traum habe ich nicht vergessen." (S.117). Eine weitere Erinnerung ist in diesem Zusammenhang das Lieblingslied Ills, daß sie auf dem Balkon spielen läßt. Im Gegensatz zur Tugendlosigkeit, die sie, wie bereits erwähnt, schon in ihrer Jugend zeigte, hat sie dennoch einen gewissen Hang zur Wahrheit, mit dem sie z.T. natürlich andere beleidigt, aber sich auch selber kritisiert, was sie zu einer Realistin macht (siehe S. 26). Ihr Verhältnis zu Männern scheint nach Ills Verrat vollkommen zerstört zu sein. Einerseits verschwendet sie schon fast, verbraucht in den wenigen Tagen, in denen sie in Güllen ist zwei von ihren insegesamt neun Gatten, andererseits redet sie so gut wie gar nicht mit ihnen, sondern gibt Befehle: "Denk nach, Moby" (S.26). "Einen Mann hält man sich zu Ausstellungszwecken, nicht als Nutzobjekt", sagt sie, was im Grunde ihre eher verachtende bzw. differenzierte Haltung ihnen gegenüber ausdrückt. Ein weiteres gutes Beispiel hierfür ist auch die Namensgebung ihrer gesamten Gefolgschaft und ihrer Ehemänner.
Sie ist sich darüber im Klaren, daß sie die finanzielle Kraft, die sie besitzt, nicht ihr Verdienst ist, dennoch weiß sie damit umzugehen und aus ihren eigenen Erfahrungen lernte sie, daß alles und jeder käuflich ist. "[...] mit meiner Finanzkraft leistet man sich eine Weltordnung." - Eine Aussage, die Ihr Verhältnis zum Geld hervorragend ausdrückt. Desweiteren ist ihre Rache im ganzen Stück gnadenlos, was sich u.a. an der Umgehensweise mit den bestochenen Zeugen zeigt und natürlich auch darin, daß sie sich durch nichts und niemanden von ihrem Weg abbringen läßt. Ein weiterer Beweis dafür, wie sehr Ill sie damals verletzt haben muß.
Alles in allem ist Claire Zachanassian nicht mehr als ein Opfer der Gesellschaft, die jedoch durch das Glück den Milliadär Zachanassian kennenzulernen in der Lage ist, diese mit den eigenen Waffen zu schlagen. In dieser Funktion steht sie auch am Ende des Stückes gewissermaßen als Racheengel da. Der von der Gesellschaft geformte eiskalte, abgestumpfte Charakter ist praktisch Vorraussetzung, um ihren grausamen Plan, zu dem sie nicht zu vergessen auch die nötige Intelligenz besitzt, auszuführen. In ihren Augen regieren diejenigen, die die Finanzkraft haben sich die Gerechtigkeit oder sogar eine Weltordnung zu leisten. Das Volk (die Güllener) hat für sie jenen Reichen gegenüber so gut wie gar keine Rechte und wird ohne jede Gefühlsregung ihrerseits in ihren Plan miteinbezogen. Hierbei ist natürlich auch zu brücksichtigen, daß sie sich auch an den Güllenern rächen will, die damals den Gerechtigkeitsbruch billigten.
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