Interpretieren Sie das Sonett "Überall Liebe". Bearbeiten Sie dabei folgende Aufgaben: - Erfassen Sie die Grundstimmung - Deuten Sie, wie die lyrische Sprecherin diese Grundstimmung in dem Gedicht umsetzt (Hinweis: Informationen über die Autorin helfen dabei) Das Gedicht "Überall Liebe" aus dem Gedichtband "Melete", der 1806 von Karoline von Günderrode geschrieben wurde, ist ein Sonett aus der Epoche der Romantik, in dem es um Sehnsucht und um die Suche nach der Liebe geht. Das wesentliche Merkmal des Sonetts ist die Gliederung in zwei Teile. Die Gedanken, die in den Quartetten vorgetragen werden, verdichten sich in den Terzetten meist zu einer allgemeingültigen Aussage. So auch in diesem Gedicht. Ein weiteres Merkmal des Sonetts ist das feste Reimschema, hier der umschließende Reim.
Der Titel "Überall Liebe" erweckt auf den ersten Blick einen sehr positiven Eindruck, steht aber im Gegensatz zum Gedicht, welches eine schwermütige Grundstimmung aufweist. Zudem ist hier auch Zerrissenheit, Verzweiflung, Sehnsucht und Enttäuschung erkennbar. Die erste Strophe beginnt mit der rethorischen Frage: "Kann ich im Herzen heiße Wünsche tragen?" (Z.1), die gleichzeitig aus der Alliteration " Herzen heiße " (Z.1) und der Metapher "im Herzen heiße Wünsche tragen" (Z.1) besteht.
Diese drei sprachlichen Mittel lassen die innerliche Zerrissenheit und die Sehnsucht nach Liebe erkennen. Die lyrische Sprecherin möchte damit zum Ausdruck bringen, dass sie mit der jetzigen Situation unzufrieden ist. Die Metapher "des Lebens Blütenkränze sehn" (Z.2) zeigt eine gewisse Freude am Leben, die das lyrische Ich empfindet, aber die "Blütenkränze" stehen im Widerspruch zu "unbekränzt daran vorübergehn" (Z.3), was bedeutet, dass das lyrische Ich ohne Freude an den "Blütenkränzen" vorübergeht. Dieser Widerspruch zeigt ebenfalls deutlich die innerliche Zerrissenheit der lyrischen Sprecherin.
Auffällig in diesem Gedicht sind die Personalpronomen "ich" und "mir", wodurch das lyrische Ich stärker zum Ausdruck kommt und der Leser die Situation auf dieses beziehen kann. Zudem kann man hier Bezug zur Autorin nehmen, die mit ihrem Leben ebenfalls unzufrieden war und versucht hat sich ein besseres Leben, in dem sie ernst genommen und geliebt wird, mit Hilfe der Poesie zu schaffen. Die letzten beiden Verse, die durch ein Enjambement miteinander verbunden sind, bilden zusammen mit dem zweiten Vers eine weitere rethorische Frage: \" Dabei des Lebens Blütenkränze sehn, [u]nd unbekränzt daran vorübergehn [u]nd muß ich trauernd nicht in mir verzagen?", die die Verzweiflung der lyrischen Sprecherin verdeutlicht. Das Adjektiv "unbekränzt" (Z.3), das Adverb "trauernd" (Z.4) und das Verb "verzagen" (Z.
4) haben einen pejorativen Charakter, was die Verzweiflung und die innerliche Krise der lyrischen Sprecherin noch stärker veranschaulicht. Die zweite Strophe beginnt ebenfalls mit einer rethorischen Frage. Die Anapher "Soll" (Z.5 und Z.6) leitet die rethorischen Fragen ein. Das Adverb "frevelnd" (Z.
5) und das Verb "entsagen" (Z.5) haben ebenfalls einen pejorativen Charakter und weisen wieder auf die innerliche Zerrissenheit und den Schwermut des lyrischen Ichs hin. Zudem bilden sie einen Gegensatz zu dem Superlativ "liebsten Wunsch" (Z.5), der für die Liebe steht und somit einen sehr positiven Charakter besitzt. Die lyrische Sprecherin fragt sich, ob sie diesem "liebsten Wunsch" entsagen soll. Sie hat große Sehnsucht nach der Liebe und beginnt jetzt diese zu suchen.
Mit der rethorischen Frage: "Soll mutig ich zum Schattenreiche gehen?"(Z.6) verdeutlicht sich die Suche nach der Liebe, denn das lyrische Ich wagt es sich von der Realität zu entfernen und in das "Schattenreich" (Z.6), das die Unterwelt beschreibt, zu gehen. Hier will es"[u]m andere Freuden, andere Götter flehn, [n]ach neuen Wonnen bei den Toten fragen" (Z.7 + Z.8).
Das lyrische Subjekt möchte ein anderes Leben führen und hofft somit die Liebe im Totenreich suchen zu können und zu finden. Diesen Aspekt kann man wieder auf die Dichterin beziehen, denn die unerfüllte Liebe zu Friedrich Creuzer ließ sie den Freitod wählen. In der dritten Strophe zeigt die lyrische Sprecherin Entschlossenheit, indem sie "in Plutons Reiche[ ] [hinabsteigt]" (Z.9). Pluto ist der Gott der Unterwelt und symbolisiert damit die Welt der Toten, in der die lyrische Sprecherin ihre Liebe wagt zu suchen. Dieses Totenreich, welches eine beängstigende Wirkung hat, wird durch das lyrische Ich jedoch mit dem "Schooß der Nächte" (Z.
10) gleichgesetzt, was für Gemütlichkeit, Wohlbefinden, aber auch für Dunkelheit steht. Hier zeigen sich zum ersten Mal ansatzweise die Todesgedanken der lyrischen Sprecherin, denn sie verbindet den Tod mit etwas Schönem, dem "Schooß der Nächte" (Z.10). Sie erkennt, dass in der Unterwelt "der Liebe Glut [brennt], [d]aß sehnend Schatten sich zu Schatten neigen" (Z.10 + Z.11).
Die Feststellung, dass es in der Welt der Toten überall Liebe gibt, ist für das lyrische Ich erleichternd. Diesen Aspekt kann man auf den Titel beziehen. Überall im Totenreich "brennt" die Liebe wie ein Feuer. Hier kommen die Gedanken an den Tod stärker zum Ausdruck, denn die lyrische Sprecherin hat die lang ersehnte Liebe gefunden und ist jetzt zufrieden und glücklich in der Unterwelt. Der Bezug zum Freitod der Autorin wird hier noch deutlicher. Die vierte Strophe dieses Gedichtes bildet eine Art Fazit.
Die lyrische Sprecherin verallgemeinert in ihr die Situation der vorhergehenden Strophen. Diese Verallgemeinerung wird durch das Personalpronomen "er" verdeutlicht. Das lyrische Ich spricht jetzt nicht mehr in der Ich-Perspektive, wodurch der Bezug zu diesem nicht mehr besteht. Es wird festgestellt, das derjenige "[v]erloren ist, [den] Liebe nicht beglückt" (Z.12). Die Liebe ist für das lyrische Subjekt ein sehr wichtiger Aspekt in seinem Leben, ohne sie könnte es nicht überleben.
Die Wiederholung "stieg hinab" (Z.13) und der Verweis auf das Totenreich durch die Wortgruppe "styg´sche Flut" (Z.13) zeigt die Verallgemeinerung in dieser Strophe. Die Metapher " [i]m Glanz der Himmel" (Z.14) stellt die Realität dar, wodurch zu erkennen ist, dass man "unentzückt" (Z.14), was unzufrieden in diesem Zusammenhang bedeutet, bleibt, wenn man versucht die Liebe in der Wirklichkeit zu suchen und nicht in der Unterwelt.
Dieses Gedicht ist ein gutes Beispiel für die Lebensumstände der Dichterin Karoline von Günderrode. Sie war mit ihrer Rolle als Frau sehr unzufrieden, konnte es aber nicht ändern und fand dadurch Trost in der Poesie. Das Leben und die Dichtung waren für sie untrennbar miteinander verbunden Die Autorin entfremdete sich immer mehr von der Realität und schuf in ihren Gedichten eine Phantasiewelt, in der Liebe und Tod die Hauptthemen sind. Als sie im wirklichen Leben ihr ersehntes Liebesglück nicht fand wählte sie im 26 Jahren den Freitod.
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