In Johann Wolfgang von Goethe´s Faust, der Tragödie erster Teil, wird unter anderem der Stoff einer jungen Frau aufgearbeitet, die zu Goethe´s Lebzeiten zu Tode verurteilt wurde, weil sie ihr Kind tötete. "Die Gretchentragödie" enthält meiner Meinung nach sehr viel persönliche Kritik des Autors, speziell an der damaligen Gesellschaft und ihrer Fixierung auf die strenge, vor allem von Seiten der katholischen Kirche geprägte Moral. Ich möchte nun in folgendem Text versuchen zu analysieren, ob und wenn wie sehr die Gesellschaft schuld am Schicksal dieser jungen Frau trägt, welche zuerst als (Zitat Mephistoles) "ein gar so unschuldig Ding" beschrieben wird , sich aber im weiteren Verlauf der Geschichte zu vorehelichem Sexualverkehr verführen läßt, die Verantwortung für den Tod ihrer Mutter übernehmen muß, und letztendlich ihr neugeborenes Kind im Fluß ertränkt.
Oft ist es auch heute nicht so, daß besorgte Eltern, meist konservativer und äußerst religiöser Einstellung meinen, ihren Kindern etwas besonders gutes zu tun, indem sie sie von allen Problemen der Außenwelt abschirmen zu müssen, weil man ja den Kindern nicht zumuten kann, von Dingen zu hören und Erfahrungen zu machen, die ihr Leben im Einklang mit der Bibel in akute Gefahr bringen könnten. Tja oft geschieht es dann aber leider, daß genau diese Kinder Opfer heimtückischer Atacken werden, vielleicht doch einmal ein Bravo in die Hand bekommen oder wenn sie Pech haben erst direkt bei ihrem ersten sexuellen Kontakt darüber aufgeklärt werden, wie es eigentlich zu einer kontinuierlich ansteigenden Bevölkerung kommt. Und genau so geschehen in Faust - Gretchen, ein schüchternes, gottfürchtiges junges Mädchen kann sich nun einmal aufgrund fehlender Erfahrungswerte der Angriffe Fausts nicht erwehren und wird schließlich Opfer ihrer Naivität.
Doch nicht genug, daß sie von einem Mann in andere Umstände versetzt wird, der ihre Vorstellungen von christlichen Werten aller Ehe, Liebe und ewiger Treue nicht ganz zu teilen scheint, nein sie bekommt beim alltäglichen Dorfklatsch auch gleich noch aus neutraler konservativer Position in Ausschau gestellt was denn Frauen, die unehelich schwanger werden, erwarten würde. Das dies aufgrund eines Verstoßes gegen allgemein und immergültige nichtzuhinterfragende Gesetzte des christlichen Glaubens und somit gegen die gesamte öffentliche Moral jener Zeit, keine rosigen Aussichten sein können versteht sich mehr oder weniger selbst.
Und zu guter letzt muß natürlich auch noch der Bruder, letzter Verbliebener zur Hetze gegen Gretchen wittern, weil es sich bei einer Frau die ein uneheliches Kind erwartet ja automatisch um eine Dirne handeln muß. - stellt sich die Frage: Wieso besteht bei männlichen Wesen ein wesentlich größerer Spielraum was die ehelichen und sexualmoralischen Werte betrifft?
Fazit: Gretchen´s Tragödie wird heutzutage in den Grundzügen wahrscheinlich noch viel mehr Frauen passieren als damals, nur daß es aufgrund von Kirchenreformation, Emanzipation der Frau und allgemeiner medialer und schulischer Aufklärung, an Orten wo diese Bewegungen auftraten, wahrscheinlich keine derartigen sozialen Ausgrenzungen mehr der Fall sein werden.
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