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biologie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Welternährungssituation -



Sechs Milliarden Menschen und der ökologische Kreislauf der Erde - Prognose: Verdoppelung der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 - Nachhaltigkeit: In der Zwickmühle zwischen dem Wünschenswerten und dem Notwendigen - Globale Landwirtschaft zwischen Überschüssen und Hunger - Fakten und Mythen: Kann der Pflug schneller sein als der Storch? - »Hungern die Städter«, sagt man im Sudan, »dann gibt es Revolutionen, doch wenn es bloß den Bauern schlecht geht ist die Regierung nicht gefährdet«

Mitte Oktober1999 hat nach Berechnungen der Vereinten Nationen die Menschheit die Sechs-Milliarden-Grenze überschritten, und sie wächst jährlich um weitere 80 Millionen, also ungefähr um die Einwohnerzahl Deutschlands an. Die Welternährungssituation wird schwieriger - doch nicht für alle. Die Menschheit lebt, zumindest was die Versorgung mit Nahrungsmitteln angeht, im Grunde auf verschiedenen Planeten: Überschüsse in den Industrieländern und Hunger beziehungsweise Mangelernährung in vielen Entwicklungsländern, vor allem in Afrika und in Teilen Asiens. Rein rechnerisch gibt es zwar nach Angaben der FAO, der UNO-Landwirtschaftsorganisation in Rom, derzeit für jeden Menschen rund 18 Prozent mehr Nahrung als noch vor 30 Jahren, aber die Tische sind sehr unterschiedlich gedeckt. So stehen in Europa und Nordamerika etwa 3.500 Kalorien pro Kopf und Tag zur Verfügung, während es beispielsweise in Indien und Bangladesch im Durchschnitt 2.200 und in den Ländern südlich der Sahara nur 2.100 Kalorien sind.

In diesem Zusammenhang wird häufig der Vorwurf erhoben, die landwirtschaftlichen Überschüsse der Europäischen Union und der USA bedrohten die Ernährungsbasis der Entwicklungsländer. Anhaltender Beliebtheit erfreut sich die Behauptung, daß die Entwicklungsländer von den Interessen der Industrienationen, besonders was die Agrarpolitik anginge, förmlich überrollt würden. Besorgniserregend seien auch die instabiler werdenden Agrarmärkte. Insgesamt gesehen ginge die Agrarpolitik der Industrieländer, und damit auch die der Europäischen Union, in vielen Fällen noch immerzu Lasten der Schwächsten, also der Bauern in den Entwicklungsländern.

Produzieren also - wenn man diesen Gedanken folgen will - unsere Landwirte auf Kosten der Bauern in der Dritten Welt? Sind unsere Überschüsse die Ursache für Hunger in den Entwicklungsländern? So lauten zwei der häufigsten, meist im vorwurfsvollen Ton vorgebrachten Fragen. Dazu einige Fakten: Die Ernährungslage in der Dritten Welt hat sich in der jüngeren Vergangenheit sehr differenziert entwickelt. Einige Länder, vor allem in Asien, konnten eine positive Entwicklung verzeichnen und haben für weite Teile ihrer Bevölkerung das Hungerproblem überwunden. Andere Entwicklungsländer, und hier müssen vor allem afrikanische Staaten genannt werden, haben es dagegen nicht vermocht, ihre rasch wachsende Bevölkerung ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Man spricht von derzeit weltweit ungefähr einer Milliarde mangelernährter oder hungernder Menschen. Viele Entwicklungsländer sind also dringend daraufangewiesen, Grundnahrungsmittel, vor allem in Form von Getreide, entweder vom Weltmarkt zu importieren oder, falls kein Geld für solche Einkäufe vorhanden ist, als Nahrungsmittelhilfe umsonst zur Verfügung gestellt zu bekommen.

Die Europäische Union durch ihre Agrarexportsubventionen - und die europäischen Landwirte durch ihre Überproduktion - tragen dazu bei, daß die Weltmarktpreise für viele Agrarprodukte auf verhältnismäßig niedrigem Niveau gehalten werden. Die auf Importe angewiesenen Entwicklungsländer profitieren davon, da sie weniger Geld für die Importe ausgeben müssen. Aus ihrer Sicht ist deshalb die Agrarpolitik der Europäischen Union, durch die landwirtschaftliche Überschüsse verbilligt auf den Weltmarkt kommen, von Vorteil - wenngleich sie das in aller Regel nicht zugehen. Sie stellen vielmehr in den Vordergrund, daß durch niedrige Weltmarktpreise für agrarische Produkte ihre eigenen Bauern in der Produktion beeinträchtigt würden, weil diese mit den niedrigen, subventionierten Preisen nicht konkurrieren könnten.

Dieses Argument erscheint nur auf den ersten Blick plausibel. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, daß es falsch ist. Wenn den Entwicklungsländern wirklich am Schutz ihrer Bauern gelegen wäre, dann könnten sie ja auf ihren Inlandsmärkten höhere Agrarpreise durchsetzen, beispielsweise durch die Erhebung von Einfuhrzöllen auf Nahrungsmittel. Sie hätten dann die erwünschten Produktionsanreize für die eigenen Bauern und gleichzeitig den volkswirtschaftlichen Vorteil von zusätzlichen Staatseinnahmen. Doch die meisten Regierungen von Entwicklungsländern denken nicht daran, derartige Maßnahmen zur Förderung der eigenen Landwirtschaft zu ergreifen. Sie sind in erster Linie an niedrigen Verbraucherpreisen interessiert, um so die städtischen Konsumenten bei Laune und von Revolten abzuhalten. Ein sudanesischer Intellektueller hat diesen Sachverhalt sarkastisch begründet: »Hungern die Städter, gibt es Revolutionen. Geht es dagegen den Bauern schlecht, dann kommt es kaum zu Aufständen, die den Regierungen gefährlich werden könnten. Die Bauern leben ja viel zu zerstreut, sind viel zu wenig organisiert und viel zu sehr in ihre Arbeit eingebunden, als daß sie Revolutionen machen würden.«

Die offen zur Schau gestellte Mißachtung der Landwirtschaft in vielen Entwicklungsländern durch deren eigene Regierungen stellt deshalb ein Hauptproblem der unterentwickelten Länder dar. Denn bis auf den heutigen Tag gilt, daß erst ein landwirtschaftlicher Überschuß vorhanden sein muß, der der gesicherten Ernährung des Landes dient, ehe durch Industrialisierung wachsender Wohlstand erzeugt werden kann.

Widersprüchlich werden auch die kostenlosen Nahrungsmittelhilfen der Europäischen Gemeinschaft und anderer Staaten gewertet. Zwar sind sich alle einig, daß in Katastrophenfällen, in denen Hunger herrscht oder droht, Gratis-Nahrungsmittelhilfe geleistet werden muß. Doch gibt es umgekehrt auch viel Kritik. Ein Einwand lautet, diese gut gemeinte Hilfe würde letztlich die Bauern des Empfängerlandes schädigen. Denn wenn diese schon mit niedrigen Weltmarktpreisen nicht zu konkurrieren vermögen, dann könnten sie es mit geschenkten Nahrungsmitteln erst recht nicht. Die Hilfslieferungen müßten deshalb abgebrochen werden, sobald sie anfangen, die heimische Landwirtschaft des Entwicklungslandes zu schädigen. Solche Forderungen hören sich zwar vernünftig an, sind aber nicht leicht in die Tat umzusetzen. Denn den Punkt genau zu bestimmen, an dem der letzte Hungernde sein Essen hat, aber der erste Bauer noch keine Einbußen erleidet, ist schwierig.

Die Alternative wäre, überhaupt keine Nahrungsmittelhilfe zu gewähren, doch dies kann ja letzten Endes niemand ernstlich vertreten. Denn dann würde die Zahl der Hungernden und Verhungernden auf der Welt noch größer. Betrachten wir die nüchternen Zahlen: Wie hoch ist der Einfluß der Agrarpolitik der Europäischen Union auf das Preisniveau von Nahrungsmitteln auf den Weltmärkten tatsächlich? Er wird im Durchschnitt auf rund sieben bis zehn Prozent geschätzt. Das heißt: Im Durchschnitt stiegen die Weltmarktpreise für Agrarprodukte um diese Prozentsätze an, wenn jeglicher EU-Agrarprotektionismus - und hier sind vor allem die Exportsubventionen gemeint - wegfiele. Das wären gewiß schlechte Aussichten für Entwicklungsländer, die auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind.

Wenn weltweit aller Agrarprotektionismus abgebaut würde, wenn es also zu einer völligen Liberalisierung der Weltmärkte für Nahrungsmittel käme, dann wären die Preiserhöhungen noch krasser. Eine Studie der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) prognostiziert in diesem Zusammenhang beispielsweise eine Erhöhung des Weltmarktpreises für Weizen um 20 Prozent.

Wie ist es angesichts einer rasant wachsenden Menschheit in Zukunft um unsere Nahrungsgrundlage voraussichtlich bestellt? Werden wir bald überhaupt noch von Überschüssen reden können oder wird es sich lediglich darum drehen, den Hunger einigermaßen in den Griff zu bekommen? Wie so oft bei den großen, überlebenswichtigen Themen der Menschheit herrscht Uneinigkeit. Während manche kenntnisreiche Wissenschaftler behaupten, der Kampf gegen den Hunger könne unter dem Einsatz aller verfügbaren Mittel - die zur Biotechnologie zählende Gentechnik ausdrücklich eingeschlossen - noch gewonnen werden, meinen andere, dieser Kampf sei bereits verloren. Wieder andere weisen darauf hin, daß die Ernährungsprobleme dann gelöst werden könnten, wenn es gelänge, die Bevölkerungsexplosion noch rechtzeitig einzudämmen.

Nun muß freilich von der Grundtatsache ausgegangen werden, daß es ein Wundermittel gegen den in den nächsten 50 Jahren zu erwartenden Zuwachs an Menschen nicht gibt. Wie allgemein bekannt ist, rechnet man bis zum Jahre 2050 ungefähr mit einer Verdoppelung der jetzt auf der Erde lebenden Menschen, das heißt: Es wird zur Jahrhundertmitte zehn bis zwölf gegenüber jetzt sechs Milliarden Menschen geben. Droht dann eine Hungersnot unvorstellbaren Ausmaßes?

Allerdings wurde schon um 1970 für die achtziger Jahre eine Welthungersnot prognostiziert. Daß diese dann nicht eingetreten ist, hängt mit jenen unter dem Schlagwort »Grüne Revolution« in die Geschichte eingegangenen landwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritten zusammen, die vor allem in den asiatischen Ländern die Reis- und Weizenerträge massiv ansteigen ließen. So kletterten die globalen Getreideerträge - Reis, Weizen und Mais - jährlich um rund drei Prozent und lagen damit über dem Wachstum der Weltbevölkerung. Einmal mehr wurde bewiesen, daß man den Ernährungspielraum der Menschheit ausweiten kann. Optimisten meinen deshalb, daß sich auch in Zukunft die Nahrungsmittelerzeugung mindestens so schnell wie die Bevölkerungszunahme entwickeln werde und somit für Angst und Panik kein Anlaß bestünde.

Das Worldwatch Institute in Washington DC, eine der renommiertesten Einrichtungen für Bevölkerungs- und Ernährungsfragen, glaubt daran, daß man - bildlich gesprochen - den Pflug schneller machen kann als den Storch. Eine Verdoppelung der Weltgetreideproduktion bis zum Jahr 2050 könnte eine Welthungerkatastrophe in der Tat verhindern. Doch unter welchen Bedingungen ist dieses Ziel erreichbar? Wer trägt die Kosten angesichts wachsender Armut in vielen übervölkerten Ländern? Und welche Änderungen der Ernährungsgewohnheiten der Menschen wären - nicht zuletzt in den Industriestaaten - die mögliche Folge?

Statistisch gesehen würden, um den Kalorienbedarf eines erwachsenen Menschen zu decken, jährlich rund 200 Kilogramm Getreide ausreichen. Alles hängt freilich davon ab, ob man diese Getreidemenge direkt verzehrt oder erst über den Tiermagen zu Fleisch, Milch, Käse, Butter oder Eier »veredeln« läßt. Im Durchschnitt sind ja bekanntlich 7 (in Worten sieben) pflanzliche Kalorien aufzuwenden, um eine tierische Kalorie, die ernährungsphysiologisch allerdings meist höherwertiger als eine pflanzliche Kalorie ist (und den Geschmacksansprüchen der meisten von uns eher entspricht) zu erzeugen. Während die »Weizen-Esser«, also in erster Linie die Europäer, Nordamerikaner und Australier, sich weitgehend den Luxus dieser Veredelung leisten - im Weltmaßstab geht ein Drittel der Weizenernte in den Futtertrog, in Deutschland sogar annähernd 60 Prozent - konsumieren die meist armen Reis-Esser Asiens und Afrikas (die mehr als die Hälfte der Menschheit ausmachen) ihr Grundnahrungsmittel fast ausschließlich direkt.

Gewiß wird es auch in Zukunft Tierhaltung geben und wir müssen nicht alle Vegetarier werden. Denn wir brauchen - auch das gehört zum ökologischen Kreislauf - die Unterstützung der Rinder und anderer Wiederkäuer, die für uns nicht verwertbares Futter von reinem Grünland oder Abfälle aus dem Ackerbau aufschließen und in für den Menschen brauchbares Eiweiß in Form von Milch und Fleisch umwandeln. Auch sollte nicht vergessen werden, daß derzeit immerhin rund 300 Kilogramm Getreide pro Kopf und Jahr erzeugt werden und es trotzdem Mangelernährung und Hunger in der Welt gibt. Not, Hunger und Nahrungsmittelmangel sind eben nicht nur der landwirtschaftlichen Produktion anzulasten, sondern sie sind zu einemgroßen Teil auf ganz andere Faktoren zurückzuführen: auf das Leistungsniveau eines Landes sowie auf politische Einflüsse und soziale Verhältnisse.

Landwirtschaftliche Produktion wird in Zukunft wahrscheinlich nicht billiger, sondern teurer werden. Da die Expansion der Ackerflächen weltweit an ihre Grenzen stößt, müssen zunehmend größere Mengen des erforderlichen Mehrbedarfs an Nahrungsgütern auf den jetzt schon genutzten Böden produziert werden. Eine gesteigerte Produktionsintensität pro Flächeneinheit - mittels höherwertigem Saatgut, mehr Mineraldünger und Pflanzenschutzmitteln und künstlicher Bewässerung - bedeutet aber zugleich, daß die Kosten für die so erzeugten Nahrungsmittel tendenziell steigen. So müssen nach Berechnungen von Experten bis zu 80 Prozent der zusätzlich benötigten Nahrungsmittel auf künstlich bewässerten Flächen erzeugt werden. Immer mehr arme Menschen stehen also einer zusehends kostspieliger werdenden Nahrungsmittelproduktion gegenüber.

Wie dabei die Ziele des Umweltschutzes und der Naturerhaltung angemessen berücksichtigt werden, wagt man sich angesichts der Größe der zu erwartenden Schwierigkeiten kaum vorzustellen. Pessimisten erwarten, daß wir bald nur noch die Wahl zwischen dem Wünschenswerten und dem Notwendigen haben werden - um uns dann letztlich für das Notwendige zu entscheiden. Doch wäre es verhängnisvoll, Prioritäten zwischen Ernährungssicherung und Naturschutz zu setzen - wie es nicht minder töricht wäre, sich zwischen Wasser oder Luft als Lebensgrundlage entscheiden zu wollen. Landbewirtschaftung muß trotz allem oder gerade wegen der steigenden Bevölkerungszahlen nachhaltig und im Einklang mit den natürlichen Ressourcen betrieben werden.

 
 

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