Mendels Prinzip, wonach Gene, die verschiedene Eigenschaften bestimmen, unabhängig voneinander vererbt werden, gilt nur dann, wenn diese Gene auf unterschiedlichen Chromosomen liegen. Der amerikanische Genetiker Thomas Morgan und seine Mitarbeiter konnten in einer umfangreichen Versuchsreihe an Essigfliegen (die sich schnell vermehren) zeigen, dass die Gene auf einem Chromosom hintereinander aufgereiht sind und dass solche Gene eines Chromosoms auch gemeinsam vererbt werden, solange das Chromosom unversehrt bleibt. Gene, die in dieser Weise weitergegeben werden, bezeichnet man als gekoppelt.
Wie Morgan und seine Kollegen aber ebenfalls feststellten, ist die Kopplung kaum einmal vollständig. Bei manchen Nachkommen werden die typischen Genkombinationen der Eltern durcheinandergewürfelt. In der Meiose können die Chromosomen eines homologen Paares Material austauschen - ein Vorgang, den man Rekombination oder Crossing-over nennt. (Die Wirkung des Crossing-over kann man im Mikroskop als X-förmige Verbindung zwischen den beiden Chromosomen erkennen.) Das Crossing-over ereignet sich mehr oder weniger zufällig irgendwo auf der Länge der Chromosomen. Die Häufigkeit der Rekombination zwischen zwei Genen hängt also von ihrem Abstand auf dem Chromosom ab. Liegen sie relativ weit auseinander, werden sie häufig rekombiniert. Bei den Nachkommen, die aus solchen Gameten entstehen, zeigt sich das Crossing-over als neue Kombination erkennbarer Merkmale. Je mehr Rekombinationsereignisse stattfinden, desto größer ist der Anteil der Nachkommen mit neuen Merkmalskombinationen. Deshalb kann man mit entsprechend geplanten Kreuzungsexperimenten die Lageverhältnisse der Gene entlang des Chromosoms ermitteln.
In den letzten Jahrzehnten hat man bei Bakterien, einzelligen Pilzen, Viren und anderen Organismen, die in kurzer Zeit eine Riesenzahl von Nachkommen hervorbringen, auch sehr seltene Rekombinationsereignisse nachgewiesen. Damit konnte man Karten von Genen aufstellen, die sehr dicht nebeneinander liegen. Die in Morgans Labor entwickelte Methode wurde bis heute so weit verfeinert, dass man auch Abweichungen innerhalb eines einzigen Gens kartieren kann. Wie solche Karten gezeigt haben, liegen die Gene nicht nur linear hintereinander auf dem Chromosom, sondern sie sind auch selbst lineare Gebilde. Mit Hilfe seltener Rekombinanten kann man Strukturen aufspüren, die so klein sind, dass man sie auch mit den leistungsfähigsten Mikroskopen nicht erkennt.
Wie Untersuchungen an Pilzen und in jüngster Zeit auch an Essigfliegen gezeigt haben, kann Rekombination manchmal auch ohne wechselseitigen Austausch zwischen den Chromosomen stattfinden. Wenn sich in einer heterozygoten Zelle zwei unterschiedliche Formen des gleichen Gens befinden, kann eine davon \"korrigiert\" werden, so dass sie der anderen entspricht. Derartige Korrekturen gibt es in beiden Richtungen (das Allel A kann z. B. zu a werden oder umgekehrt). Diesen Vorgang nennt man Genkonversion. Gelegentlich machen auch mehrere benachbarte Gene gemeinsam die Genkonversion durch. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies bei zwei bestimmten Genen geschieht, ist wiederum abhängig von ihrem Abstand. Damit hat man eine weitere Methode, um die Lageverhältnisse der Gene auf den Chromosomen zu kartieren.
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