Aus dem Mittelalter wird ein Experiment berichtet, das einen sehr tragischen Ausgang nahm. Kaiser Friedrich II. (1212-1250), der an wissenschaftlichen Untersuchungen außerordentlich interessiert war, wollte erforschen, wie sich Kinder verhalten, und welche Ursprache sie entwickeln würden, wenn sie keinerlei Möglichkeit zum sprachlichen Austausch mit anderen Menschen hätten. Um dies herauszufinden, ließ er Neugeborene von Pflegerinnen versorgen, die die strickte Anweisung erhielten, die Kinder zwar zu waschen und zu füttern, aber kein Wort mit ihnen zu sprechen und auch sonst keinerlei Kontakt zu ihnen aufzunehmen.
Der Kaiser, der übrigens spekuliert hatte, die gesuchte Ursprache könnte Hebräisch, Griechisch, Latein oder Deutsch sein, mußte bald aufgeben, denn die Kinder starben alle nach kurzer Zeit. "Ohne daß Händepatschen, das fröhliche Grimassenschneiden und die Koseworte ihrer Ammen vermochten die Kinder nicht zu leben", schlußfolgerte eine Chronik.
Ähnlich traurige Erfahrungen machte man später auch in Waisenhäusern und Heimen. Obwohl die Kinder ausreichend ernährt und hygienisch einwandfrei versorgt wurden, verkümmerten sie seelisch, weil ihnen Zärtlichkeit und liebevolle Ansprache fehlten. Die Kinder zeigten deutliche Entwicklungsrückstände (wie zum Beispiel beim Laufen- und Sprechenlernen), sie wirkten bedrückt und apathisch und waren sehr anfällig gegen Krankheiten. Viele von ihnen starben nach kurzer Zeit. Inzwischen weiß man, daß Kinder, um sich gesund entwickeln zu können, besonders in den ersten Lebensjahren einen Menschen brauchen, der zuverlässig für sie da ist und ihnen liebevolle Zuwendung gibt.
Aus diesem Grund versucht man heute in Waisenhäusern und Heimen durch kleine familienähnliche Gruppen den Kindern mehr Geborgenheit zu geben. Doch leider kommt es noch immer vor, daß einzelne Kinder zwischen verschiedenen Pflegefamilien und Heimen hin- und hergeschoben werden und sich nirgendwo zugehörig fühlen können.
In solchen Heimen konnte man auch sehr oft ein ganz bestimmtes Phänomen beobachten, daß Hospitalismus genannt wird: Kinder, die zwar physisch sehr gut versorgt wurden, also genügend und vor allem auch ausgewogene Nahrung erhalten hatten;diese Waisenhäuser verfügten außerdem über ausreichende sanitäre Anlagen und sie waren relativ sauber, doch die Waisenkinder wiesen plötzlich sehr starke Verhaltensstörungen auf. In russischen Waisenhäusern beobachtete man Kinder, die stundenlang auf ihrem Bett einfach nur hin- und hergewippten, obwohl sie eigentlich immer von anderen Kindern umgeben waren und ihnen nie hätte langweilig sein müssen. Ihnen war aber keineswegs langweilig, ihnen fehlte nur menschliche Zuneigung und die Sozialfürsorge einer Bezugsperson.
Ähnliches beobachtete man in Zoos auf der ganzen Welt; die in Gefangenschaft lebenden Pandas, die in den meisten Fällen keinen "Ansprechpartner" hattenen in "Einzelhaft" stundenlang auf und ab, bis sie vor Kummer bzw. dem Bedürfnis nach Kontakt zu Artgenossen -so vermutet man- jämmerlich verendet sind.
Aber nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene brauchen Sozialkontakte. Sowohl aus schriftlichen Aufzeichnungen von Schiffbrüchigen als auch aus wissenschaftlichen Untersuchungen an Menschen, die in der Antarktis überwintert haben, geht klar hervor, daß Isolierung, selbst dann, wenn man sie mit einem oder zwei anderen Menschen teilt, zu extremen Verhaltensstörungen führen kann. Die Betroffenen fühlen sich unglücklich und klagten über Schlafstörungen, Angstzustände, Reizbarkeit und Streit mit den Leidensgenossen.
Ebenso ergeht es Tieren. Das Verhalten eines Entenkükens, das als Ersatzmutter ein Plüschtier mit einem Wecker als Herzersatz erhält, ist sozial angepaßter und es entwickelt sich "normaler" als ein Küken mit einem Holzmodell oder einem Metallstück.
Der Kontakt zu anderen Menschen ist jedoch nicht nur wichtig fürs Überleben, für eine ungestörte Entwicklung und für die Gesundheit, sondern er ermöglicht auch die Anpassung an die Gesellschaft, in der man lebt.
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