1. Stellt die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen eine Gefahr für unser Ökosystem dar?
In der Öffentlichkeit besonders heftig umstritten sind Versuche, bei denen gentechnisch veränderte Organismen freigesetzt werden. Es besteht die Angst, die so veränderten Organismen könnten gegenüber ihren Wildformen einen Selektionsvorteil besitzen, sich ungehemmt ausbreiten und das gesamte Ökosystem aus den Angeln heben.
Prinzipiell ist die Sorge um unser Ökosystem berechtigt, die Gentechnik ist jedoch der falsche Adressat hierfür. Mit der Gentechnik ist es möglich geworden, sehr feine genetische Veränderungen in Tiere, Pflanzen oder Mikroorganismen einzubauen. In der Vergangenheit war der Genetiker genötigt, wesentlich gröbere Eingriffe in die Natur vorzunehmen als heute. Wer konnte schon ahnen, was für Eigenschaften die teilweise künstlich erzeugten Hybriden verschiedener Pflanzen- oder Tierarten oder -rassen haben würden? Es wurde nach dem Prinzip \"Versuch und Irrtum\" einfach ausprobiert. Viele der wunderschönen Zierpflanzen, in so manchem Garten freigesetzt, sind Produkte solcher unkontrollierter Experimente, bei denen ganze Genome miteinander gemischt wurden. Die entstandenen Kulturpflanzen haben jedoch keineswegs zur Verdrängung ihrer Wildformen in der freien Natur geführt, dies geschieht hingegen in zunehmendem Maße durch die Ausbreitung der Monokultur Mensch.
An der Kartoffel kann die Irrationalität mancher Gentechnologiekritiker besonders deutlich gemacht werden. Wie viele Pflanzen verfügt die Kartoffel über die Fähigkeit zwei verschiedene Spielarten von Stärke zu bilden, eine verzweigte und eine weniger verzweigte Form. Für die industrielle Verwertung wäre es günstiger, wenn die Kartoffel nur eine Form von Stärke bilden könnte. Bei der Erbse gibt es eine genetische Variante, die dies von Natur aus tut, weil das Gen eines entsprechenden Enzyms mutiert ist. Gregor Mendel verwendete diese Mutante bei seinen klassischen Versuchen im 19. Jahrhundert, die zur Aufstellung seiner Vererbungsregeln führte. Bei der Kartoffel ist diese Mutante leider unbekannt, weshalb das entsprechende Gen mit Hilfe gentechnischer Methoden entfernt wurde. Gegen die geplante Freisetzung dieser Kartoffel gab es 1993 in Deutschland wütende Proteste. Kein Gentechniker kann heute eine Pflanze jedoch so entscheidend umbauen, daß ihre Freisetzung auch nur annähernd mit der revolutionären Einführung der Kartoffel im 16. Jahrhundert in Europa verglichen werden könnte.
Durch die Entdeckung von Amerika wurden dort eurasische und hier amerikanische Pflanzen und Tiere eingeführt. Dies hat zum Teil durchaus zu Problemen und zur Verdrängung einheimischer Arten geführt. Fest steht jedoch, daß die heutigen Probleme unserer Ökosysteme weder hier noch drüben durch diese gewaltigen genetischen Verschiebungen verursacht worden sind.
Gemessen an diesen historischen Großereignissen und gemessen an der natürlich vorkommenden genetischen Variabilität ist die durch Gentechnik erzeugte Veränderung des Genpools auf dieser Erde noch auf unabsehbar lange Zeit vernachlässigbar klein. Für den Erhalt unseres Ökosystems ist nichts schlimmer, als daß positiv motivierte Menschen sich vor den falschen Karren spannen lassen [Albert Camus in \"Die Pest\": \"Das Böse in der Welt rührt fast immer von der Unwissenheit her, und der gute Wille kann so viel Schaden anrichten wie die Bosheit, wenn er nicht aufgeklärt ist\". Wir alle sollten daraus folgern, daß es notwendig ist, unsere Meinungen ständig zu hinterfragen, damit sich unsere Absichten nicht ins Gegenteil verkehren].
2. Brauchen wir eine spezielle Risikoforschung?
Gentechnische Arbeiten werden per ¤4-7 der Gentechnik-Sicherheitsverordnung (GenTSV) nach dem von ihnen ausgehenden potentiellen Risiko in vier Sicherheitsstufen eingeteilt.
Sicherheitsstufe 1: Kein Risiko für menschliche Gesundheit und Umwelt.
Sicherheitsstufe 2: Geringes Risiko für menschliche Gesundheit und Umwelt.
Sicherheitsstufe 3: Mäßiges Risiko für menschliche Gesundheit und Umwelt.
Sicherheitsstufe 4: Hohes Risiko oder begründeter Verdacht eines Risikos für menschiche Gesundheit und Umwelt.
Es gilt festzuhalten, daß mehr als 90% aller Genlabors in die Sicherheitsstufe 1 eingeordnet werden. Die Einordnung in eine höhere Sicherheitsstufe findet dann statt, wenn Spender- oder Empfängerorganismus pathogenes Potential besitzen. Auch ohne Gentechnik müssen Arbeiten mit sehr pathogenen Organismen in Sicherheitslabors durchgeführt werden.
In etwa 20 Jahren welweiter gentechnischer Forschung ist bisher kein einziger Fall dokumentiert, bei dem Menschen geschädigt worden wären. Wenn sich diese Erfahrung durchsetzt, wird die Gentechnik zwangsläufig an gesellschaftspolitischer Akzeptanz gewinnen.
Zeitweise wurde von Gegnern der Gentechnik ein vorübergehender Stopp der Gentechnik vorgeschlagen, um zwischenzeitlich Risikoforschung zu betreiben. Wie aber soll ein Risiko erforscht werden können, wenn gentechnische Versuche unterbleiben müssen? Risikoforschung in der Gentechnik müßte die Konstruktion möglichst gefährlicher Transformanten ins Auge fassen. Die normale Gentechnik tut das gerade nicht. Im Gegenteil, als biologische Sicherheitsmaßnahmen werden bewußt Organismen verwendet, die außerhalb des Labors Probleme haben würden sich durchzusetzen, z.B. Stoffwechselmutanten, die auf eine spezielle Nährlösung angewiesen sind.
3. Abschließende Bewertung der Gentechnologie
Die aufgeführten Beispiele von Anwendungsmöglichkeiten der Gentechnologie sollten gezeigt haben, daß die pauschale Ablehnung dieser neuen Technologie unverantwortlich ist. Selbst wenn nur wenig Hoffnung besteht, daß ihre innovative Ausarbeitung für die Sicherung der Lebensgrundlage von Milliarden von Menschen ausreicht - wir müssen versuchen die kleinste Chance zu nutzen. Diese Feststellung kann aber keine generelle Freigabe aller möglichen Experimente bedeuten. Jedes gentechnologische Projekt hat sich einer gründlichen Abwägung seiner Chancen und Risiken zu unterziehen. Es besteht bei dem gegenwärtigen Wissensstand ein breiter Konsens für das Verbot von Eingriffen in die Keimbahn des Menschen. Demgegenüber dürfen somatische, gentherapeutische Eingriffe bei einer Notlage nicht verweigert werden.
Keinesfalls kann die Gentechnologie die Zukunft alleine sichern. Insbesondere darf die eventuell mögliche Produktivitätssteigerung im Ernährungssektor nicht als Alibi benützt werden, um weiterhin nichts Entscheidendes gegen die Überbevölkerung der Erde zu tun. Nur wenn endlich weltweit Maßnahmen zur Geburtenkontrolle greifen, kann verhindert werden, daß der Kollaps der Bevölkerungsentwicklung durch Seuchen und Hunger eintritt. Letzterem Schicksal könnte eine tierische Population mit unserer Bevölkerungsdynamik nicht mehr entgehen. Hoffen wir, daß unsere Fähigkeit zur Voraussicht (=Vorsicht), die uns angeblich von den Tieren unterscheidet, ausreicht, dies abzuwenden.
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