Der Einsatz von LSD in der psychiatrischen Praxis wurde bereits in den ersten Publikationen erwogen. Jedoch wurde in den wenigsten Fällen den besonderen Eigenschaften dieser Sub¬stanz Rechnung getragen, bestand die "Therapie" doch nur aus der bloßen Verabreichung von LSD, ohne begleitende oder vorbereitende psychotherapeutische Sitzungen. Die Forschungen konzen¬trierten sich dabei fast ausschließlich auf schizophrene Patienten, da man an einen Zu¬sammenhang zwischen LSD-Intoxikation und Schizophrenie glaubte. Bedenkt man, wie schwierig es ist, korrekte Diagnosen, schizoide Störungen betreffend, abzugeben, erscheinen Protokolle wie folgendes aus einer Untersuchungsreihe von F. Jost et.al. mehr als bedenklich:
Fall 9 (Prot.-Nr. 569): 39jährige Hausfrau. Diagnose: Chronische Schizophrenie. Therapie: Zwei LSD Applikationen; anschließend mehrere Elektroschocks: keine Wirkung
Tatsächlich kann man solche Behandlungsweisen allenthalben als Schocktherapie, ähnlich wie etwa Elektro- oder Insulinschockkur bezeichnen, und waren daher auch ähnlich wirkungs¬los. Von einer Psychotherapie kann in der Anfangsphase der LSD-Forschung daher nicht die Rede sein. Erst in den 60er Jahren wurden geeignete Behandlungsformen gefunden, die auch psycho¬therapeutischen Ansprüchen genügten und somit mehr Hoffnung auf Erfolg zuließen.
Formen
Gemeinsam ist den ernstzunehmenden Formen der LSD-Psychotherapie, daß LSD nicht mehr als Pharmakon, das ohne Zutun und per se wirkt, gesehen wird, sondern als Hilfsmittel im Verlauf eines therapeutischen Prozesses. Als Pioniere auf diesem neuen Gebiet der Psychiatrie wirkten Persönlichkeiten wie Humphrey Osmond, Hans Carl Leuner oder Stanislav Grof. Auf ihren Arbeiten und Ergebnissen beruht auch dieses Kapitel.
Psycholytische Therapie: Die Grundlage dieser Form basiert auf den Kernaussagen der Freudschen Theorie der Psychoanalyse. Die Therapie besteht fast ausschließlich aus LSD Sitzungen im zeit¬lichen Abstand von etwa jeweils Woche. Die Dosierung ist allerdings eher niedrig gehalten. Der therapeutische Prozeß ähnelt im wesentlichen der klassischen Psychoanalyse, mit dem Unter¬schied, daß traumatische Kindheitserlebnisse vollständig und systematisch wiedererlebt werden. Dadurch kommt es viel schneller zu Resultaten. Die Be¬sonderheiten der LSD Wirkung brin¬gen jedoch mit sich, daß eine viel direktere Beziehung zwischen Patient und Therapeut als sie sonst in der Psychoanalyse erlaubt ist, notwendig wird. Grundlegendes Problem bei dieser Form ist aber, daß nicht alle auftretenden Phäno¬mene mit Freudschen Mitteln erklärt werden kön¬nen, und deren Dimensionen sprengen, ins¬besondere wenn es sich um transpersonale Erlebnisse oder transzendentale Zustände handelt, die das psychoanalytische System nicht zuläßt.
Anaklitische Therapie: Ist eine Erweiterung der psycholytischen Therapie, in der die Distan¬zier¬ung zwischen Patient und Therapeut aufgehoben wird, und insbesondere auch Körper¬kontakt in dramatischen Phasen der LSD-Wirkung gestattet wird. Diese Therapieform basiert auf der Überlegung, rückwirkend in Kindheitserlebnisse einzugreifen und diese, nach¬dem sie nacherlebt wurden, positiv aufzulösen. Die Dosierung entspricht in etwa der, die in der psycholytischen Therapie angewandt wird. Der theoretische Rahmen wird dabei auch um archetypische und mystische Elemente ausgebaut. Meist stehen diese Elemente mit Bildern des Verschmelzens und Einsseins in Zusammenhang, daher auch die synonyme Bezeichnung Fusionstechnik.
Psychedelische Therapie: Diese Technik unterscheidet sich von beiden oben genannten inso¬fern, als daß in ihr psychopathologische oder -analytische Aspekte nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die Therapie besteht meist nur aus einer einzigen, höchstens zwei oder drei Sitzungen, in denen eine sehr hohe Dosis verabreicht wird. Ziel ist es, ein psychedelisches Gipfelerlebnis beim Patienten zu erzielen, das sich als therapeutisch sehr wirksam erwiesen hat. Dementsprechend spielen ästhetische, spirituelle und mystische Aspekte, verschiedener geistiger Orientierungen eine entscheidende Rolle. Im Gegensatz zur psycholytischen Therapie wird nicht versucht unbewußte Strukturen kontinuierlich zu verändern, um so eine tiefgreifenden Heilung zu erreichen, sondern in einer relativ kurzen Zeit einen radikalen Wandel zu vollziehen. Allerdings ist das Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen minimal, so daß die "Alles-oder-nichts"-Philosophie der psychedelischen Therapie trotz ihrer großen Erfolge oft kritisiert wird. Die Anwendung dieser Therapie blieb vor allem auf Amerika konzentriert, allerdings sorgten auch hier nicht-medizinische LSD-Selbstversuche, die u.a. von Timothey Leary initiiert wurden, und mit psychedelisch bezeichnet wurden, da¬für, daß diese Art der Therapie teils zu Unrecht in Verruf kam.
Daneben gibt es auch andere Formen, wie etwa die hypnodelische Therapie, in der Hypnose¬techniken zum Einsatz kommen, oder die Gruppentherapie. Diese Formen sind entweder zu speziell oder mit gravierenden Mängeln behaftet, so daß sie nicht von großer Bedeutung sind.
Grundlagen
Spannend ist nun, wie die in einer LSD-Sitzung auftretenden Phänomene mittels einer Theorie in einen sinnvollen Kontext gebracht werden können. Selbstverständlich ist es illusorisch zu glauben, diese komplexen Mechanismen auf wenigen Seiten erläutern zu können. Daher möchte ich mich auf eine relativ oberflächliche Beschreibung beschränken, auch um den Schwerpunkt auf den naturwissenschaftlichen Aspekten zu belassen. Für tiefer¬gehende Studien sei auf die Veröffentlichungen S. Grofs verwiesen, die einen Großteil des Spektrum psycho¬therapeutischer und allgemeiner LSD-Forschung abdecken.
Das Erleben unter LSD-Einfluß kann in verschiedene Schichten eingeteilt werden. Diese Schichten werden nacheinander im Verlaufe der Therapie in den einzelnen Sitzungen durch¬laufen, wobei die Abfolge bei entsprechend hoher Dosierung und Persönlichkeit des Patienten teilweise aber auch schon in einer einzigen Sitzung erfolgen kann.
Abstrakte und ästhetische Erfahrungen bilden die oberflächlichste Schicht. Sie entsprechen den schon in Kapitel 3 beschriebenen Wahrnehmungsveränderungen. Ein literarisches Exempel für eine Sitzung die zum Großteil unter dem Einfluß dieser Schicht steht, ist die Be¬schreibung von Aldous Huxleys Selbstversuch mit Mescalin, die unter dem Titel Die Pforten der Wahr¬nehmung publiziert wurde.
Psychodynamische Erfahrungen manifestieren sich als traumähnliches Erleben traumatischer Episoden, die in der Persönlichkeit des Patienten bedingt sind. Man kann diese Beobachtun¬gen mit der klassischen Psychoanalyse erklären, ja sie sogar als "Laboratoriumsbeweis der Grund¬prämissen Freuds" betrachten. Darüberhinausgehendes kann man mit spezifischen Erinner¬ungskonstellationen des Patienten erklären. Grof führt dafür den Begriff der COEX Systeme ein. Ein solches System entsteht durch eine erste Erfahrung, die Kerner¬fahrung. Je nachdem ob diese Erfahrung traumatischer oder lustvoller Art ist, spricht man auch von positiven oder negativen Systemen. Ähnliche Erfahrungen, Gefühle oder Asso¬ziationen, auch wenn sie weit hergeholt sind, werden nun in diesem System gespeichert, das Quelle einer Vielzahl symbolischer Metaphern ist. Solche Systeme sind stark emotionell be¬laden, da sie die Summe aller Emotionen eines bestimmten Typs darstellen. Grof schätzt die Ge¬¬samtzahl dieser Systeme auf 20 bis 30, von denen allerdings die Mehrzahl negativ ist.
COEX-Systeme sind nicht notwendigerweise auf LSD Wirkung beschränkt, treten dann aber besonders leicht zutage. Steht nun ein solches System verdichteten Erlebens im Mittelpunkt, wird alles unter seinem Einfluß wahrgenommen. Das heißt, bei geöffneten Augen verändert sich die Wahr¬nehmung im Sinne des Systems, während bei geschlossenen Augen Szenen nacherlebt werden. Meist erfolgt dabei die Regression in die Kindheit, da die Erinnerungen auch aus späteren Lebensab¬schnitten oft auf Kernerfahrungen aus der Kindheit zurückgehen.
In der LSD-Psychotherapie ist es wichtig, das Erleben solcher Systeme gut aufzulösen, da der Patient anderenfalls auch nach Nachlassen der Wirkung noch unter deren Einfluß steht. Laut Grof sind unaufgelöste Erlebnisse auch der Grund für spätere Flashbacks (siehe Seite 20). Er führt auch in einigen bemerkenswerten Fallbeispielen eindeutig daraus resultierende, teils dra¬matische, psychosomatische Symptome an.
Perinatale Erfahrungen bilden die nächst tiefere Schicht des Unbewußten und übersteigen die klassische Psychoanalyse, so daß mit Freudschen Methoden keine Deutung möglich ist. Statt dessen bieten die Theorien Otto Ranks eine, welche die Bedeutung der Geburt hervor¬heben, Anhaltspunkte. Auch Erscheinungen auf dieser Ebene lassen sich in Systeme einteilen, hier sind es vier perinatalen Grundmatrizen (PM I-IV). Es sind dies, ebenso wie die COEX System, hypothetische dynamische Steuerungsmechanismen, die sowohl geistige als auch körperliche Elemente aufweisen. Ein tatsächlicher Zusammenhang mit der Geburt muß zwar nicht gegeben sein, jedoch weist jede Matrix Ähnlichkeit mit je einem Stadium der biologischen Geburt auf.
In PM I steht die Erfahrung der Einheit mit der Mutter im Mittelpunkt, das biologische Ge¬gen¬stück ist also die intrauterine Existenz. Die Erfahrungen können entweder positiver Art sein oder, wenn die pränatale Existenz gestört wurde, negativer Art. Häufige Assoziationen sind Ozeane, Meere, Paradiese im ersten, bösartige Dämonen, Schmutz und Ekel im zweiten Fall. PM II repräsentiert das Einsetzten von Uteruskontraktionen, ohne daß die Geburt schon un¬mittelbar bevorsteht. Korrespondierende Gefühle sind physisches und psychisches Leid, das Wissen um Ausweglosigkeit und Sinnlosigkeit der Situation. Assoziationen sind etwa die Leiden des Tantalos, Sisyphos, Prometheus oder Ixion. Im Gegensatz zu dieser Passivität ist die PM III aktiv. Die biologische Situation entspricht der Vorwärtsbewegung durch den Ge¬burtskanal. Die Leiden intensivieren sich. Visionen von grausamen Schlachten und Blut¬opfern repräsen¬tieren die aktiven Elemente. Zunehmend manifestiert sich auch eine eksta¬tische und sexuelle Komponente. PM IV bedeutet schließlich die Trennung von der Mutter. In diese Phase fällt die Auflösung der Persönlichkeit, auch als Ich-Tod bezeichnet. Diese Er¬fahrung ist so dramatisch, daß sie oft mit dem wirklichen Sterben verwechselt wird. Auf die Auslöschung als Individuum folgt die Wiedergeburt. Kosmische Einheit, reine Existenz und Seligkeit stellen das therapeu¬tisch verwertbare psychedelische Gipfelerlebnis dar. Schließlich lassen sich auch wie bei den COEX Systeme für jede Matrix klinische Symptome und Ent¬sprechungen finden.
Transpersonale Erfahrungen sind beherrschend nachdem alle vorhergehenden Schichten gut aufgelöst wurden, und die Erfahrung von Tod und Wiedergeburt integriert wurde. Transper¬sonale Erscheinungen treten nicht einheitlich, und zuweilen auch schon in früheren Phasen auf (siehe S. 19/20). In ihnen werden entweder räumliche, zeitliche oder geistige Grenzen trans¬zendiert. Darauf basierend, schlägt Grof folgende Klassifizierung vor.
1. Zeitliche Bewußtseinserweiterung (Ahnen-Erfahrungen, kollektive, rassische und phylo¬genetische Erfahrungen, frühere Inkarnationen, Präkognition etc.)
2. Räumliche Bewußtseinserweiterung (Ich-Transzendenz, Einssein mit der Schöpfung, etc.)
3. Geistige Bewußtseinserweiterung (spiritistische, mediale und archetypische Erfahrun¬gen, Verstehen universaler Symbole, supra- und metakosmische Leere, etc.)
Indikation
Da LSD nur als Hilfsmittel im psychotherapeutischen Prozeß eingesetzt wird, gibt es im we¬sentlichen keine Einschränkungen, was die Einsatzmöglichkeiten betrifft, wenn die Störung psychogen bedingt ist. Obwohl dies theoretisch auch ausschließlich psychosomatische Indika¬tionen einschließt, liegen auf diesem Gebiet wenig Erfahrungen vor. Gründe die eine Behand¬lung ausschließen, wie etwa Neigung zu epileptischen Anfällen oder Infarkte, liegen in den zu erwartenden heftigen Emotionen begründet. Die Droge per se wirkt weder heilsam noch schädlich. Bei folgenden klinischen Zuständen hat sich eine LSD-Therapie besonders be¬währt.
Depressionen und Neurosen: Depression, insbesondere die noogene Depression im Sinne Viktor Frankls lassen sich meist schon durch wenige Sitzungen zerstreuen, obschon in den seltensten Fällen die ästhetische Ebene verlassen wird. Zur Heilung bei Psychoneurosen ist ein ungleich größerer Aufwand nötig, da das gesamte psychodynamische Material aufgelöst werden muß. Besonders empfänglich für eine solche Behandlung scheinen Hysterien, während Zwangsneu¬rosen laut Grof als nur schwer heilbar gelten.
Alkoholismus und Charakterstörungen: In großen Untersuchungen konnte gezeigt werden, daß bei fachkundiger und entsprechend umfangreicher Behandlung Alkohol- und Betäu¬bungsmittel¬abhängige in signifikantem Ausmaß rehabilitiert werden können.
Borderline-Syndrom und endogene Psychosen: Die Behandlung solcherart schwer gestörter Patienten ist sehr umstritten. Verallgemeinerungen sind in diesen Fällen nicht zulässig, die Be¬handlung muß individuell erfolgen. Dennoch konnten in einigen Fällen Erfolge erzielt werden und eine zumindest klinische Besserung erzielt werden, nachdem andere Therapie¬rungsver¬suche fehlgeschlagen waren.
Emotionales und körperliches Leid Sterbender: Die Linderung von Schmerzen unheilbar kranker Menschen, die dem nahenden Tod entgegensehen gehört zu den aussichtsreichsten und am wenigsten umstrittenen Indikationen. Insbesondere das Erlebnis von Tod und Wiedergeburt und LSD-Einfluß vermag die Angst vor dem Tod zu nehmen. Auch können durch Erfahrungen auf der ästhetischen Ebene Depressionen zerstreut werden.
Obwohl die LSD-Psychotherapie teils faszinierende Möglichkeiten eröffnet, darf man nicht den Fehler begehen und sie undifferenziert als Allheilmittel bar jeder Risiken und Kontra¬indikationen sehen. Wesentlich ist auch, daß das Hauptaugenmerk auf der Psycho¬therapie und nicht auf der Droge zu basieren hat. Im Gegenzug beraubt aber sich die Psychiatrie eines viel¬versprechenden Aspektes, wenn sie diese Form der Therapie vollkommen außer acht läßt. Zu den Problemen, die die heutige Situation mit sich bringt sei in Kapitel 6 näher eingegangen.
Rahmenbedingungen und Verlauf
Obwohl die verschiedenen Formen der LSD-Psychotherapie naturgemäß jeweils einen ande¬ren Verlauf nehmen, gibt es doch wesentliche Gemeinsamkeiten. Deshalb sei auch nur auf einige allgemeine Aspekte eingegangen. Voraussetzung für jede LSD-Behandlung ist eine ausrei¬chende Zahl drogenfreier Sitzungen. Auch das Anfertigen von Protokollen ist für all¬gemeine Folgerungen unerläßlich. Die Veränderungen umfassen Veränderungen im Inhalt der Sitzungen, abhängig davon welche COEX-Systeme bzw. peri¬na¬tale Matrizen bereits aufgelöst wurden. Emotionale und psychodynamische Veränderungen zwischen den Sitzungen, vom Inhalt, welcher die vorhergehende Sitzung geprägt hat. Hierbei sind sowohl psychische als auch psychosomatische Symptome möglich. Langfristige Ver¬änderungen in der Persönlich¬keitsstruktur, der Werthierarchie und der Weltanschauung, nach¬dem alle Konflikte gelöst und das Erlebnis von Ich-Tod und Wiedergeburt integriert wurde. Während bei der psycho¬lytischen Methode die verschiedenen Ebenen nach und nach erschlos¬sen werden, können bei der psychedelischen Behandlungsweise die Phänomene aller Kate¬gorien gleichzeitig auf¬treten. Die Intensivierung kann nicht nur durch eine höhere Dosierung, sondern auch durch ein entsprechendes setting (Augenschirme, Musik, u.ä.) erreicht werden.
Zusammenfassung
Die vorgestellten Hypothesen wurden von S. Grof aufgrund klinischer Erfahrungen ent¬wic¬kelt. Das Modell erklärt die in LSD-Sitzungen auftretenden Phänomene aufgrund unbewußter dynamischer Strukturen und vermag so ein homogenes theoretisches Gebäude zu bieten, das aber keinen Anspruch auf Universalität erhebt. Die Überlegungen basieren auf vier Phasen, die nacheinander durchlaufen werden: einer oberflächlichen perzeptuell geprägten, den tiefer¬liegenden psycho¬dynamischen und perinatalen, sowie einer archetypisch transpersonalen.
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