1.1. Gesundheitsdisziplin und Gesundheitspräferenz
Verres (1986) stellt sich mit seinen Mitarbeitern im Theorieteil seiner Untersuchung die Frage, ob es auch die "gesundheitsmotivierte" Persönlichkeit gibt. Nach allgemeinärztlicher Erfahrung zeigt es sich, daß Menschen deutlich danach unterscheiden können, ob ihnen die eigene Gesundheit wichtig ist, verbunden mit einer gewissen Bereitschaft, dafür auch tatsächlich einiges zu tun, oder ob sie ihnen nicht wichtig ist. Die Motivation zum Gesundheitshandeln kann wahrscheinlich nicht auf eine durchgängige Persönlichkeits¬eigenschaft zurückgeführt werden, da das Gesundheitshandeln auf bedeutungsmäßig sehr heterogene Lebensbereiche und Lebensfragen bezogen ist, so Verres. Immer ist ein für jeden Menschen spezifischer sozialer Kontext zu berücksichtigen, der mitbestimmt, was überhaupt im Einzelfall als "gesund" oder "krank" gelten soll. Auch die Selbstverantwortlichkeit scheint kein durchgängiges Persönlichkeitsmerkmal zu sein.
Eine Analyse kognitiver Vorgänge (z.B. der Entscheidung für oder gegen eine Krebsfrüherkennungsuntersuchung) ohne Berücksichtigung emotionaler Komponenten wäre völlig wirklichkeitsfremd. Zwar ist für das Verständnis des präventiven Gesundheitsverhalten die Unterscheidung zwischen subjektiv externalen und subjektiv internalen Faktoren der Kontrollierbarkeit von Ereignissen (wie z.B. Krankheiten) wesentlich. Auch ist wichtig ob man ein Ereignis als subjektiv stabil, also grundsätzlich unbeeinflußbar, oder als subjektiv variabel einschätzt. Aber eine Attribution (vgl. Herkner 1991) ist kein rein kognitiver Prozeß, sondern sie bedeutet auch Erleben. Daher sind auch Kontrollattributionen kontextspezifisch zu sehen. Wahrgenommene Umweltaspekte und Krankheitsrisiken sind immer mehr als "kognizierte Phänomene". Die erlebte Welt darf psychologisch nicht nur als gedachte Welt begriffen werden (vgl. Ulich 1982). Zusätzlich ist die Unterscheidung von Motiven und Emotionen oftmals sehr schwierig und manchmal gar nicht möglich. Beide Phänomene implizieren eine wertende Stellungnahme, die oft ein intuitives, unwillkürliches Urteil ist. Das "Erleben von Selbstverantwortlichkeit als Voraussetzung präventiven Gesundheits¬handelns bedeutet dann auch Selbstbetroffenheit" (Verres 1986).
1.2. Risikogruppen
In seiner theoretischen Analyse der Motivation erhob Verres (1986) auch die Frage nach einer "spezifischen prämorbiden Krebspersönlichkeit". Er beschreibt zum einen die Suche nach den motivationalen und sozialen Bedingungen des Verhaltens von Menschen, die sich besonders stark karzinogenen Stoffen wie Tabak und Alkohol aussetzen, als besonders sinnvoll, und zwar mit dem Ziel, durch Änderung der entsprechenden Bedingungen ein solches Risikoverhalten zu reduzieren. Zum zweiten wurden in verschiedenen empirischen Untersuchungen Beziehungen zwischen bestimmten prämorbiden kritischen Lebens¬ereignissen, insbesondere des Erlebens eines Verlustes einer wichtigen Bezugsperson, und der Entstehung von Krebserkrankungen ermittelt. Bei Krebskranken wurde eine geringere emotionale Schwingungsbreite festgestellt, was einer Ausdruckshemmung von Angst und Aggression gleichzusetzen ist, ein Empfinden von Hoffnungslosigkeit und eine psychosoziale Isolierung. Aber Verres (1986) stieß auf gravierende methodische Mängel bei diesen Studien.
|