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sport artikel (Interpretation und charakterisierung)

Mclarens aerodynamische tricks



1999 in Melbourne fuhr McLaren-Mercedes bis zum Ausfall wie vom anderen Stern. Die Silberpfeile harmonieren besser mit den Reifen als Ferrari. Und sie haben das aerodynamisch bessere Konzept.
Michael Schumacher ist ein schlechter Schauspieler. Sein Mienenspiel verrät meistens ziemlich genau seinen augenblicklichen Gemütszustand. Wenn sich sein Blick verfinstert wie in Melbourne, weiß man: Die Lage ist ernst.
Nicht, daß ihn die vielen Pannen während des Rennens arg gestört hätten. Darüber tröstete er sich schnell hinweg. Vielmehr bewegte ihn die Frage, warum McLaren-Mercedes zum Saisonstart wieder einmal das schnellere Rennauto hat. Lag es nur daran, daß Ferrari die Reifen nicht auf Betriebstemperatur brachte, oder versteckt sich der Fehler bei den Roten auch im Konzept?
Melbourne ist eine eigenartige Strecke. \"Glatter Asphalt, kurze Kurvenradien. Der Reifen hat nie die Chance, sich vernünftig zu erwärmen\", erinnert sich Ex-Pilot Gerhard Berger. Jacques Villeneuve blamierte 1997 die Konkurrenz mit einem Trick. Ein halbvoller Tank in der Qualifikation sorgte für hinreichende Gummitemperatur und war der Schlüssel zu seinem 2,1-Sekunden-Vorsprung.
Bei den vier Melbourne-Rennen seit 1996 fällt auf: Ein Auto kam jeweils mit dem Phänomen Melbourne besser zurecht als alle anderen, was in riesigen Abständen resultierte. Und dieses eine Auto - ob Williams oder McLaren - stammte jeweils aus der Feder eines Konstrukteurs: Adrian Newey.
Wieviel von dem 1,3-Sekunden-Rückstand im Training an der Abstimmung des Autos auf die Reifen lag und wieviel davon konzeptionell bedingt ist, wird für Ferrari zu einer schicksalhaften Frage. Eine fehlerhafte Abstimmung läßt sich korrigieren, ein Defizit in der Aerodynamik nicht.
Die Hilflosigkeit von Ferrari in Melbourne zeigt sich in der unterschiedlichen Gummiwahl. Michael Schumacher wurde mit der harten Mischung ins Gefecht geschickt, Irvine mit der weichen. Er spielte das Versuchskaninchen. Ironie des Schicksals: Testfahrer Irvine gewann mit Reifen, von denen man annahm, sie würden auf längerer Distanz Auflösungserscheinungen zeigen.
Der Melbourne-Sieger äußerte den Verdacht, daß McLaren von Ferrari ein bißchen mehr als nur das glücklichere Händchen beim Abstimmen des Autos trennt. \"Wir haben uns von den guten Ergebnissen zu Saisonende 1998 blenden lassen, weil uns der Goodyear-Faktor zum Schluß eine Sekunde brachte. Aerodynamisch war McLaren immer besser.\"
Die beiden Topteams der Formel 1 unterscheiden sich schon in ihrer Philosophie. Der McLaren MP4/14 ist eine Revolution, der Ferrari F399 nur eine Evolution. McLaren gab dem puren Speed Priorität, Ferrari der Standfestigkeit. McLaren-Chef Ron Dennis glaubt, daß sich Zuverlässigkeit schneller finden läßt als Speed.
Newey lieferte das fast perfekte Rennauto ab, das sich, wie bei seinen Kreationen üblich, wahrscheinlich kaum noch verbessern läßt. Rory Byrne und Ross Brawn konstruierten einen Bausatz, der Basis für geplante Entwicklungsschritte ist.
Die Silberpfeile verfügten in Melbourne als einzige sowohl über eine gute Traktion als auch über ein passables Einlenkverhalten. Bei den Gegnern ließ entweder das eine oder das andere oder schlimmstenfalls beides zu wünschen übrig.
Das, was den McLaren MP4/14-Mercedes von den Konkurrenzfabrikaten unterscheidet, ist der Umkehrschritt zum letzten Jahr. Gewicht wanderte von vorn nach hinten.
Das Cockpit und mit ihm die Seitenkästen, der Tank und die Kühler rückten Richtung Hinterachse. Während sich beim Ferrari die Kopfstütze exakt in der Mitte zwischen Vorder- und Hinterachse befindet, liegt das gleiche Bauteil beim McLaren um mindestens 15 Zentimeter dahinter.
Der kompakte Mercedes-Motor (35 Millimeter kürzer als der Ferrari V10) und der auf Maximalbreite (800 Millimeter) angelegte Benzintank samt integriertem Ölreservoir unterstützen das Konstruktionsprinzip, die schweren Teile des Autos auf engstem Raum und in tiefen Lagen zu konzentrieren. Mika Häkkinen bestätigt: \"Fährt sich wie ein Go-Kart.\"
Die Spione, die das Gras wachsen hören, sprechen beim McLaren nicht mehr von 40, sondern von 70 Kilogramm Untergewicht. Um das Auto dann auf die 600 Kilogramm Mindestgewicht zu hieven, sind extrem teure, weil in der Natur selten vorkommende Materialien als Ballast nötig. Sie werden am Unterboden vertäut. \"Diese 70 Kilogramm\", weiß Stewart-Konstrukteur Gary Anderson, \"kosten 50 000 Pfund.\"
Der Newey-Kunstgriff beschränkt sich nicht nur darauf, mit Gewicht im Heck die Traktion zu verbessern. Das hätte er auch mit Ballast bewerkstelligen können. Entscheidend sind die aerodynamischen Freiheiten, die ihm ein zurückversetztes Cockpit verschafft.
Die Fahrerposition legt den Rest des Chassis fest. Das Reglement normt Längen und Breiten der Kohlefaserröhre ausgehend von der Kopfstütze. Wer diese nach hinten rückt, plaziert die Vorderräder an der schmalsten Stelle des nach vorne konisch zulaufenden Chassis. Damit vergrößert sich der Platz zwischen den Rädern und der Chassisröhre. Folge: Mehr Luft kann unter das Auto und zu den Kühlern strömen.
Und jetzt kommt Neweys großer Coup. Die gute Traktion hat er schon, doch wie preßt man die Vorderachse auf die Straße, wenn das Au-to hecklastig ist? Minardi-Konstrukteur Gustav Brunner gibt die Antwort: \"Die Reifentemperaturen vorne holt er sich über die Aerodynamik, also das Zusammenspiel aus vorgesetzten Rädern, dem schlanken Chassis und der langen Nase.\"
Noch ein Vorteil: Aerodynamischer Abtrieb tut den Reifen nicht weh. Gewicht schon. Das merkte der McLaren-Expreß im Rennen, als er nach zehn Runden einen Gang zurückschaltete. David Coulthard verrät: \"Die Hinterreifen haben das Tempo nicht vertragen. Wir mußten ein paar langsame Runden einlegen, um sie zu stabilisieren.\"
Jetzt wird auch klar, warum Newey seine Fahrer im Dezember GP-Distanzen mit 80 Kilogramm Benzin an Bord testen ließ. Er wollte herausfinden, wie die Hinterreifen das zusätzliche Gewicht im Dauerbetrieb vertragen.
Pragmatismus, das Zu-Ende-Denken einer Idee und eine ähnliche Leichtbaumanie wie bei Lotus-Gründer Colin Chapman zeichnen Newey aus wie keinen anderen in der Branche. Man sieht es immer wieder an Details seiner Autos.
Sei es die Nase des MP4/14, die unten V-förmig geschnitten ist und so die Luft unter das Auto zwingt. Sei es die Sicherheitszelle, die vor dem Cockpitausschnitt zu den Kanten hin nach unten gebogen ist, um die Luft am Fahrerkopf vorbeizuleiten. Sei es der Auslaß der Kühlluft, der genau auf die Batmans vor den Hinterrädern zielt und somit den Abtriebseffekt verdoppelt.
Neweys Grenzgang mit der Technik, der alles dem Diktat der Aerodynamik unterwirft und immer kleinere und leichtere Komponenten hervorbringt, birgt aber auch Risiken. Die Ausfälle der Silberpfeile kommen nicht von ungefähr.
Unter der Motorabdeckung herrscht qualvolle Enge. Vor allem Hydraulik und Sensoren sind stärkeren Vibrationen ausgesetzt - ein möglicher Grund für das Hydraulik-Leck in Coulthards Auto. Der Geber für den Stellmotor der Walzenschieber an Häkkinens McLaren könnte der Hitze zum Opfer gefallen sein. Ein McLaren-Techniker gibt preis: \"Wir haben Probleme, die heiße Luft aus dem Motorraum rauszubringen.\"
Ferrari kam mit einem blauen Auge davon, denn eigentlich ist nichts passiert. Das Punktekonto der Favoriten blieb leer. Der Vormachtstellung im GP-Zirkus kommt in diesem Jahr jedoch doppelte Bedeutung zu. Ferrari-Technikchef Ross Brawn: \"Bridgestone wird sich bei der Reifenentwicklung am Schnelleren von uns beiden orientieren.\"
Politisch tut sich Ferrari schwer. Maranello wird sich auf lange Sicht technische Lösungen einfallen lassen müssen, um den McLaren beizukommen. Es gibt nichts, wogegen man protestieren könnte.
Der von den Italienern als äußerst gesundheitsschädlich propagierte Werkstoff Beryllium, der im Mercedes-Motor zur Anwendung kommt, wird das Jahr 2000 wohl überleben. Charlie Whiting, der technische Delegierte der FIA, stellte fest, daß ein schnelles Verbot die Stabilitätsregeln für Motoren verletzt.
Vielleicht hat ein Vorstoß von Michael Schumacher und anderen Fahrern mehr Erfolg. Statt immer härterer Reifen mit immer mehr Rillen plädieren die Piloten für die Rückkehr von Slicks und eine drastische Reduzierung der Aerodynamik. Irvines Vorschlag: \"Kleinere Flügel und ab der Vorderachse ein flacher Unterboden.\" Das würde den Faktor Newey eindeutig entschärfen.

 
 

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