Mit der radioaktiv versuchten Wolke wurde eine rund 200fache Menge an Radioaktivität freigesetzt wie bei den Atombombenabwürfen von Hiroshima oder Nagasaki. Die Folgen dieser nuklearen Katastrophe sind auch heute, zehn Jahre nach dem Unfall, noch immer nicht in ihrer ganzen Tragweite absehbar. Besonders betroffen sind die Menschen, die in verstrahlten Gebieten in Weißrußland, der Ukraine und Rußland leben. Die gesundheitliche, wirtschaftliche und ökologische Zukunft ganzer Regionen ist für Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte zerstört. In Weißrußland, der Ukraine und Rußland leben heute 5,8 Millionen Menschen in Gebieten, die mit einer Strahlung von mehr als 185.000 Becquerel pro Quadratmeter (Bq/m2) Boden belastet sind. Zum Vergleich: In den sechziger Jahren, während der Hochphase der oberirdischen Atombombenversuche, kam es zu Spitzenbelastungen von rund 5.000 Bq/m2. Insgesamt leben rund neun Millionen Menschen in potentiell gesundheitsgefährdenden Gebieten. Allein in der Ukraine werden offiziell über drei Millionen Menschen als Tschernobyl-Betroffene eingestuft. Die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) geht davon aus, daß gesicherte Erkenntnisse über das tatsächliche Ausmaß an strahlenbedingtem Siechtum und Tod in Folge von Tschernobyl frühestens in 20 Jahren vorliegen werden.
Unmittelbar nach dem Unfall starben laut offiziellen Angaben 31 Menschen an Verbrennungen und akuter Strahlenkrankheit. Zwei- bis dreihundert weitere schwere Krankheitsfälle wurden gemeldet. Hiervon betroffen waren Angehörige des Betriebspersonals, Feuerwehrleute sowie Soldaten, die an Aufräumarbeiten beteiligt waren. Insgesamt wurden nach dem Unfall etwa 800.000 Personen zu Räumungs- und Dekontaminationsarbeiten am zerstörten Reaktorblock eingesetzt - meist junge Wehrdienstleistende, die aus der gesamten Sowjetunion zusammengezogen wurden. Von diesen Katastrophenhelfern, im sowjetischen Sprachgebrauch "Liquidatoren" genannt, sind bis heute mindestens 7.000 Menschen verstorben. Die Selbsthilfegruppe der Liquidatoren sprach allerdings schon vor einigen Jahren von bis zu 10.000 Toten. Anderen Angaben zufolge starben bisher bereits 15.000 Personen aus dieser Gruppe. Über die Zahl der erkrankten Liquidatoren liegen keine gesicherten Daten vor. Die WHO spricht jedoch von etwa 125.000 Erkrankten. Zu den Gesundheitsschäden, die bei Liquidatoren in den ersten Jahren nach dem Unfall festgestellt wurden, gehören vor allem Erkrankungen des Zentralnervensystems, des Herz-Kreislaufsystems, der Verdauungsorgane sowie Störungen im Immunsystem. Nach offiziellen Angaben wurde eine Zunahme von Leukämie bisher nicht nachgewiesen, wohl aber von festen Tumoren in der Lunge, den Bronchien und im Magen. Darüberhinaus sind Hauterkrankungen häufig, die in vielen Fällen plastische Operationen erforderlich machen. Auch Krankheiten der Augen und verschiedene neurologische Störungen treten häufig auf. Jeder fünfte Liquidator leidet unter Schlafstörungen. Die Selbstmordrate unter den Betroffenen liegt mit 19 Prozent überdurchschnittlich hoch. Von den 200.000 ukrainischen Liquidatoren wird heute ein Viertel offiziell als arbeitsunfähig eingestuft. 38 Prozent ihrer russischen Kollegen gelten als krank.
SCHILDDRÜSENKREBSFÄLLE BEI KINDERN VOR UND NACH DEM UNFALL:
Jahr: 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994
Rußland 0 0 1 0 0 2 0 4 6 11
Ukraine 5 8 7 8 11 26 22 47 42 37
Weißrußland 1 2 4 5 7 29 59 66 79 82
Innerhalb der nächsten 30 Jahre werden noch bis zu 50.000 Fälle erwartet.
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