Manch einer fragt sich vielleicht, was Wissenschaftler dazu bewegt, sich mit Situationen zu beschäftigen, die kein Mensch jemals erleben wird. Sei es nun, weil sie schon längst vergangen sind (wie z. B. der Urknall) oder weil sie in unerreichbarer Zukunft liegen (wie z. B. das \"Verglühen\" unserer Sonne oder das Ende des gesamten Universums). Einfach nur zu sagen, daß sie es aus purem Wissensdrang tun, wäre wahrscheinlich zu wenig. Wenn es auf den ersten Blick auch nicht so scheinen mag, so steckt doch eine Notwendigkeit dahinter, die auch uns einmal zugute kommen kann. Nur wenige wissen nämlich von der Tatsache, daß diese Grundlagenforschung in weiterer Folge auch für die Entwicklung im technischen Bereich ausschlaggebend ist.
In diesem Kapitel möchte ich mich nun mit den überaus erstaunlichen Entdeckungen und Erkenntnissen über unser Universum auseinandersetzen.
Obwohl eigentlich jedes Kind den Begriff Urknall kennt, ist es den Physikern bis heute noch nicht gelungen, ihn ausreichend zu erklären. Bei früheren Berechnungen, für die man nur die Allgemeine Relativitätstheorie heranzog, erhielt man stets eine sogenannte Singularität. Diese ist vergleichbar mit einer Division durch Null - also einem unmöglichen Wert. Für Physiker und Mathematiker ist solch ein Ergebnis wirklich zum Verzweifeln. Es bedeutet nämlich, daß alle bekannten Naturgesetze versagen, ja die Relativitätstheorie sich praktisch selbst ad absurdum führt.
In den 40er Jahren wollten einige Wissenschaftler dieses Problem umgehen, indem sie behaupteten, daß das Universum schon seit ewigen Zeiten bestehe und immer in einem gleichbleibenden Zustand verharre. Da man zu dieser Zeit bereits wußte, daß das Weltall expandiert und seine Dichte deshalb ständig kleiner werden muß, wollten sie diesen Vorgang durch eine ständige Bildung von Materie im All umgehen. In der Theorie wäre dies sogar möglich gewesen, weil diese Materieerzeugung unter jedem meßbaren Bereich gelegen wäre. Doch zwanzig Jahre später wurde diese Steady-State-Theorie endgültig widerlegt, als der Mikrowellen-Strahlenhintergrund entdeckt wurde, der nur mit Hilfe des Urknalls erklärt werden konnte.
Wissenschaftlern wie Stephen Hawking ist es nun zu verdanken, daß in den letzten Jahren und Jahrzehnten entscheidende Fortschritte bei der Erforschung des Urknalls gemacht worden sind. Wie wir aber noch sehen werden, stößt man immer wieder auf scheinbar unlösbare Probleme, die sich dabei ergeben.
Bevor ich allerdings auf Hawkings Ideen genauer eingehe, möchte ich das klassische Modell des Kosmos erklären, welches der sowjetische Mathematiker Alexander Friedmann in den 20er Jahren aufgestellt hat. Demzufolge begann das Universum vor etwa 15 Milliarden Jahren (Mittelwert, der durch die Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien berechnet wird) mit dem Urknall. Die Raumzeit war damals unendlich stark gekrümmt und von unendlicher Dichte.[6] Daraufhin begann das Universum sich mit unglaublicher Geschwindigkeit auszudehnen. Auf die erste Sekunde nach dem Urknall, in der sich überaus viel ereignet hat, möchte ich ein wenig später eingehen; nicht zuletzt deshalb, weil es darüber kaum gesicherte Information gibt.
Beginnen wir unsere Reise durch die Raumzeit also eine Sekunde nach dem Punkt Null. Das Universum hatte damals bereits einen Radius von rund vier Lichtjahren. Dies ist deshalb möglich, weil die Expansion des Raumes nicht an die Lichtgeschwindigkeit gebunden ist - der Raum eilte dem Licht praktisch davon. Das Horizontproblem, welches sich daraus ergibt, wird im Laufe dieses Kapitels noch näher erläutert werden. Es herrschte eine Temperatur von mindestens zehn Milliarden Grad (1010 K) und die Dichte war etwa 500 000 mal so hoch wie die des Wassers. Die Elektronen, die zu dieser Zeit reichlich vorhanden waren, stießen meist mit ihren Antiteilchen, den Positronen zusammen und erzeugten auf diese Weise Strahlung in Form von Photonen. So entstanden noch mehr Photonen, als es damals ohnehin schon gab. Reste dieser Strahlung sind auch heute noch vorhanden - sie bilden den Mikrowellen-Strahlenhintergrund. Durch die starke Abkühlung (auf 3 Grad über dem absoluten Nullpunkt von -273,15deg.C) ist diese Strahlung allerdings nicht sehr energiereich - also nicht zu vergleichen mit jener im Mikrowellenherd. Eine dritte Art von Teilchen, die in großer Zahl vorkamen, waren die Neutrinos. Aufgrund zu schwacher Wechselwirkungen vernichteten sie sich nicht zusammen mit ihren Antiteilchen, sondern blieben bestehen. Daraus folgert man, daß sie auch heute noch stark vertreten sein müssen. Zwar ist ihr Nachweis, der sich aufgrund ihrer niedrigen Energie extrem schwierig gestaltet, schon gelungen, doch ist man sich noch nicht im klaren darüber, ob sie eine Ruhemasse besitzen oder ob sie wie die Photonen masselos sind.
Des weiteren gab es auch noch Protonen und Neutronen, also die Bausteine der Atomkerne. Nach etwa hundert Sekunden begannen diese, sich zu Deuteriumkernen (= Kerne des schweren Wasserstoffs) zusammenzuschließen. Durch Verbindung mit je einem weiteren Proton und Neutron bildeten sich schließlich Heliumkerne. Die übriggebliebenen Protonen (es gab etwa fünfmal mehr als Neutronen) zerfielen zu Kernen des gewöhnlichen Wasserstoffs. Bereits nach einigen Stunden war die Bildung der Atomkerne beendet. Das Universum expandierte ruhig vor sich hin, wobei Dichte und Temperatur ständig abnahmen und die Ausdehnungsgeschwindigkeit sich aufgrund der Gravitation zwischen der Materie immer mehr verlangsamte.
Als das Weltall ungefähr eine Million Jahre alt war und seine Temperatur nur mehr ein paar tausend Grad betrug, konnten sich die Atomkerne mit den herumschwirrenden Elektronen zu vollständigen Atomen verbinden. In erster Linie entstanden Wasserstoff und Helium und zwar im Verhältnis 3H : 1He. In regional dichteren Gebieten zeigte nun die Schwerkraft etwas stärkere Auswirkungen, und - für unsere Begriffe - riesige Gaswolken begannen sich zusammenzuziehen. Auf diese Weise bildeten sich, vereinfacht dargestellt, die Galaxien. Einige, wie z. B. unser Milchstraßensystem, wurden bei diesem Prozeß in Rotation versetzt, andere nahmen eine elliptische Form an und blieben in einer Ruheposition. Bei solch einer elliptischen Galaxis kreisen nur einzelne Teilbereiche in stabilen Bahnen um ein Zentrum.
Ebenfalls aufgrund lokaler Dichtefluktuationen und durch die Wirkung der Schwerkraft bildeten sich innerhalb der Galaxien die Sterne und schließlich auch die Planeten.
Dieses klassische Urknallmodell, wie ich es hier beschrieben habe, läßt allerdings noch einige Fragen offen. Es erklärt zum Beispiel nicht, warum das Universum in alle Richtungen mit derselben Geschwindigkeit expandiert und warum es, großräumig betrachtet, so gleichförmig ist. Letzteres schließt man daraus, daß die Mikrowellen-Strahlung (eine Art Rest des Urknalls) nahezu gleich ist, egal aus welcher Richtung sie kommt. Weiters gibt dieses Modell keinen Aufschluß über den Ursprung der Dichteschwankungen, ohne die es weder Galaxien, geschweige denn Sterne und Planeten geben würde. Hinzu kommt noch, daß es den Berechnungen zufolge nur etwa zehn Elementarteilchen geben würde. Heute weiß man allerdings, daß es mindestens 1085 Teilchen im beobachtbaren Universum gibt. Fast hat man den Eindruck, als würde das Standard-Urknallmodell mehr Fragen aufwerfen, als es beantwortet. Diese Überlegung ist eigentlich gar nicht so falsch, doch die Wissenschaftler bemühen sich ständig, ihre Theorien zu verbessern und auftretende Probleme zu lösen.
Eine mögliche Erklärung für den derzeitigen Zustand des Universums formulierte Stephen Hawking gemeinsam mit Barry Collins so: \"Wir sehen das Universum, wie es ist, weil wir existieren.\" (Hawking, Eine kurze Geschichte der Zeit, S.157). Dieses sogenannte Anthropische Prinzip ist im Grunde genommen nur eine Feststellung, keine naturwissenschaftliche Erklärung. Es gibt sowohl eine schwache, als auch eine starke Form davon. Erstere besagt, daß in bestimmten Regionen des Universums menschliches Leben prinzipiell möglich sein muß. Wenn dem nicht so wäre, gebe es uns schließlich nicht. Selbst für Naturwissenschaftler ist es kein Problem, diese Formulierung zu akzeptieren. Anders ist die Situation jedoch beim starken Anthropischen Prinzip. Jenes verlangt nämlich, daß das Universum so beschaffen ist, daß sich menschliches Leben entwickeln mußte. Demzufolge müßten also die Anfangsbedingungen mit höchster Sorgfalt gewählt worden sein - eine Annahme, die Hawking für äußerst unwahrscheinlich hält.
Oft versuchen Wissenschaftler, einzelne Naturgrößen zu verändern und diese in ihre Berechnungen einzubauen. Als Ergebnis erhalten sie dann meist ein vollkommen anderes Modell des Weltalls, welches unter Umständen nicht einmal die Entstehung von Galaxien zuläßt. Daraus nun den Schluß zu ziehen, daß die Anfangsbedingungen speziell für uns Menschen ausgewählt wurden und daß es uns nur aus diesem Grund gibt, ist wohl kaum zulässig. Der Fehler liegt darin, nur eine einzige Größe abzuwandeln und alle anderen beizubehalten, obwohl sie durch die Änderung eigentlich beeinflußt werden. Verdeutlichen läßt sich diese Tatsache anhand eines Beispiels aus der Elektrizität: Um einen stromdurchflossenen Leiter baut sich sowohl ein elektrisches als auch ein magnetisches Feld auf. Da die beiden Felder in direktem Zusammenhang stehen, ist es nicht möglich, eines zu verändern und gleichzeitig das andere konstant zu halten. Versucht man trotzdem, eine derartige Berechnung anzustellen, wird man auf große mathematische Schwierigkeiten stoßen und ein ungültiges Ergebnis erhalten.
Nachdem wir nun die Schwierigkeiten des Urknallmodells und das Anthropische Prinzip, welches keine zufriedenstellende Erklärung liefert, kennengelernt haben, wollen wir uns im Folgenden einer relativ neuen und durchaus vielversprechenden Hypothese zuwenden - der Inflationstheorie. Ansätze dafür fanden sich 1979 in der Sowjetunion; im Westen war es Alan H. Guth, der 1981 vorschlug, daß sich das Universum in der Anfangsphase für kurze Zeit inflationär, also mit steigender Geschwindigkeit, ausgedehnt hätte. Dies würde bedeuten, daß seine Größe exponentiell zunahm.
Das von Guth vorgeschlagene Modell wurde in den darauffolgenden Jahren von Andreas Albrecht und Paul J. Steinhardt und unabhängig davon von dem russischen Kosmologen Andrei Linde in wesentlichen Punkten verbessert.
Die Inflation ereignete sich etwa in den ersten 10-35 s und ging wenig später in das Urknallmodell über. Obwohl Aussagen über einen solch frühen Zeitpunkt stets mit Vorsicht zu genießen sind und dieses Modell eng mit der (nur mäßig erforschten) Elementarteilchen-Theorie verbunden ist, liefert es uns dermaßen viele Antworten, daß die Wissenschaftler es für sinnvoll halten, sich eingehend damit zu beschäftigen.
Als erster wichtiger Punkt wäre die Lösung des Horizontproblems zu nennen: Der gleichzeitige Beginn und die Gleichförmigkeit der Expansionsbewegung sind nur dann zu erklären, wenn das Universum zum Zeitpunkt der Entstehung so klein war, daß eine ausgleichende Wirkung stattfinden konnte. Verfolgt man das Friedmann-Modell bis zum Punkt Null zurück, so muß man feststellen, daß das Weltall nie klein genug gewesen wäre, um die notwendigen Bedingungen zu erfüllen.
Abb. 1: Das Diagramm zeigt die ersten Sekundenbruchteile des Universums. Die durchgehende Linie stellt die Ausdehnung gemäß dem Inflationsmodell dar. Der Horizont gibt an, wie weit sich das Licht und andere Signale in der jeweiligen Zeit ausbreiten konnten. Eine ausgleichende Wirkung konnte nur dann stattfinden, wenn der Horizont im Frühstadium größer war als der Radius des Universums.
Wie in Abb. 1 dargestellt, sind zu Beginn des Universums die Zeit mit 10-43 s und die Größe (=Radius) mit 10-33 cm definiert. Die beiden Werte bezeichnet man als Plancksche Zeit und Plancksche Länge, und sie ergeben sich aus der Unschärferelation. Diese läßt nämlich keine genauere Zeit- bzw. Längenbestimmung zu - wir haben es hier also mit fundamentalen Größen zu tun. Selbst wenn wir Meßinstrumente besitzen würden, die in der Lage wären, auch solche Bereiche noch zu erfassen (eine vollkommen illusorische Idee), könnten wir die Genauigkeit nicht mehr verbessern, weil es einfach keine kleineren Intervalle für diese beiden Einheiten gibt.
Zum Zeitpunkt 10-43 s wäre das Universum gemäß dem Friedmann-Modell viel größer als die Plancksche Länge. Es hätten niemals alle Bereiche zueinander in Beziehung stehen und eine ausgleichende Wirkung stattfinden können. Geht man umgekehrt vor, indem man mit den Planckschen Einheiten beginnt und die weitere Entwicklung mit dem Standard- Urknallmodell berechnet, so erhält man ein viel zu kleines Weltall. Hier wird die Bedeutung der Inflation offensichtlich: Mit ihrer Hilfe erreicht man die notwendige Größe, und anfängliche Unregelmäßigkeiten werden ausgeglichen. Darüber hinaus stellen sich auch noch die Werte für die kritische Dichte (die unser Universum ungefähr besitzt) sowie für die kritische Geschwindigkeit (mit der sich das Universum möglicherweise ausdehnt) automatisch ein.
Was die Gleichförmigkeit betrifft, darf der Zustand nicht zu geordnet sein, weil kleine Unregelmäßigkeiten für die Entstehung von Galaxien unbedingt notwendig sind. Es traten daher aufgrund der Unschärferelation Dichteschwankungen im Quantenbereich auf, die allerdings so klein wie möglich gewesen sind. Während der Inflationsphase vergrößerten sich diese Quantenfluktuationen und führten in weiterer Folge zur Bildung von Galaxien, wie sie oben schon beschrieben wurde.
In dem Diagramm (Abb. 1) habe ich bewußt darauf verzichtet, die Größe des Universums nach Beendigung der Inflation anzugeben. Der Grund liegt darin, daß man sich darüber alles andere als einig ist - die errechneten Werte für die Größenzunahme bewegen sich zwischen 1030 und 101 000 000 000 000 Einheiten. In jedem Fall liegt die Ausdehnung aber über dem Horizont. Mit anderen Worten: Das Universum ist um vieles größer, als der von uns beobachtete Bereich von 1028 cm. Wir sind nämlich bei unseren Untersuchungen an die Lichtgeschwindigkeit gebunden, die durch den Horizont repräsentiert wird.
Eine weitere Folgerung, die sich aus der Inflationstheorie ergibt, lautet, daß durch die Beseitigung großräumiger Unregelmäßigkeiten viele verschiedene Anfangszustände möglich sind. Das starke Anthropische Prinzip, dem Hawking und die meisten anderen Wissenschaftler abneigend gegenüberstehen, wird somit als Erklärungsversuch ausgeschlossen.
Aus Beobachtungen wissen wir, daß das Universum beinahe flach ist. Auch diese Tatsache läßt sich dank der Inflation erklären. Im Prinzip kann man sich diese Flachheit anhand eines einfachen Beispiels besser vorstellen: Wenn wir uns auf einer ebenen Wiese befinden, so käme sicher niemand auf die Idee, diese als gewölbt anzusehen. Trotzdem wissen wir, daß die Erdoberfläche gekrümmt ist. Ein Beobachter auf der Wiese hat aber aufgrund seiner eingeschränkten Sichtweise nicht die Möglichkeit, diese Krümmung zu erkennen. Im Falle des Weltalls verhält es sich fast genauso. Wie schon erwähnt, können wir nur einen Bruchteil des gesamten Universums erkennen, weil uns das Licht von extrem weit entfernten Bereichen (noch) nicht erreichen kann. Allerdings sind wir in der Lage, mit Hilfe von Theorien gewissermaßen über den Horizont \"hinauszublicken\". Das Problem dabei ist, daß sich die verschiedenen Hypothesen des öfteren als unvereinbar erweisen.[7]
Zur Zeit ist Andrei Linde der führende Wissenschaftler im Bereich der Inflationstheorie. Der neueste Stand seiner Forschungen besagt, daß das Gesamtuniversum unendlich in seiner Ausdehnung ist und aus blasenähnlichen Teiluniversen besteht. In einem von diesen würden wir uns befinden. Weiters würden sich aus den bereits vorhandenen Blasen immer wieder neue bilden. Solch ein Vorgang wäre nichts anderes als ein Urknall. Linde behauptet auch, daß diese Entstehungsprozesse fast ständig stattfinden. Er spricht von einem selbstreproduzierenden inflationären Universum.
Eine ebenso interessante wie unwahrscheinliche Idee Lindes ist es, Modell-Universen in Labors herzustellen. Berechnungen zufolge könnte es nämlich möglich sein, durch Komprimieren von Materie Quantenfluktuationen zu erzeugen und auf diese Weise ein mikroskopisches Universum zu erschaffen. Das würde allerdings die Frage aufwerfen, ob nicht auch unser Universum von einem Wissenschaftler hervorgebracht wurde (Gott als Mathematiker?!).
Einmal abgesehen von solch spekulativen Gedanken haben die einzelnen Physiker unterschiedliche Auffassungen von der Inflationstheorie. So findet John D. Barrow, daß sie \"nicht so sehr eine neue kosmologische Theorie als vielmehr eine Erweiterung der Urknalltheorie\" ist (J. D. Barrow, Theorien für Alles, S.174). Aus dem oben beschriebenen Modell Lindes geht jedoch hervor: \"Der Urknall ist ein Teil der inflationären Theorie\" (A. Linde, Spektrum der Wissenschaft 1/1995: Das selbstreproduzierende inflationäre Universum, S.39).
Wie auch immer - fest steht, daß die Forschungen in diesem Bereich noch lange nicht beendet sind und die Modelle und Berechnungen ständig erweitert und modifiziert werden (müssen).
Die Urknall-Singularität stellt für die Wissenschaftler noch immer ein großes Problem dar. Es wird versucht, sie mit allen erlaubten mathematischen Mitteln zu umgehen. Stephen Hawking führte aus diesem Grunde den Begriff der imaginären Zeit ein. Vom mathematischen Standpunkt aus betrachtet, ist es eigentlich nicht schwierig, diesen Begriff zu definieren: Die imaginäre Zeit wird mit komplexen Zahlen (z. B.: Wurzel einer negativen Zahl) gemessen. Die Erklärung in Worte oder Bilder zu fassen, gestaltet sich aber wesentlich komplizierter. Sogar Hawking selbst gibt zu, daß \"die imaginäre Zeit [...] den Lesern [...] die meisten Probleme bereitet hat\" (S. W. Hawking, Einsteins Traum, S.77). Nichtsdestotrotz möchte ich versuchen, diesen Begriff etwas verständlicher zu machen: Zuerst muß man davon ausgehen, daß das Weltall unbegrenzt und endlich ist. Zur Verdeutlichung stellen wir uns vor, mit einem Flugzeug die Erde zu umrunden. Vorausgesetzt uns steht ausreichend Treibstoff zur Verfügung, werden wir, wenn wir immer geradeaus fliegen, früher oder später wieder an unseren Ausgangspunkt gelangen. Aus dieser Tatsache folgt, daß die Erde unbegrenzt ist. Die Endlichkeit wiederum ergibt sich daraus, daß wir die Größe unseres Planeten messen können.
Hawking legt diese Begriffe nun auf den Kosmos um[8], wobei allerdings vier Dimensionen berücksichtigt werden müssen. Die eigentliche Bedeutung der imaginären Zeit wird einem bewußt, wenn man sich wiederum die Erde als Modell vor Augen führt: Der Nordpol repräsentiert in diesem Fall den Urknall. Von hier aus dehnt sich das Universum in der imaginären Zeit aus, bis es den Punkt maximaler Expansion (=Äquator) erreicht. Dann beginnt es wieder zu kontrahieren, bis es schließlich in einem Punkt (=Südpol) zusammenstürzt. Wenn wir dieses Szenario ein wenig genauer betrachten, so fällt auf, daß die Anfangs- und Endsingularitäten verschwunden sind: Selbst wenn wir uns im Punkt Null befinden (Nord- bzw. Südpol), behalten die Naturgesetze ihre Gültigkeit. Doch diese Tatsache allein macht die imaginäre Zeit bestenfalls zu einem Gedankenexperiment - ein konkreter Nutzen ist hier noch nicht erkennbar. Erst wenn es darum geht, Quantenmechanik und Gravitation in Einklang zu bringen, werden wir uns ihrer Bedeutung bewußt. Auf der Suche nach einer Quantengravitation bedient man sich nämlich unter anderem der Feynmanschen Aufsummierung von Möglichkeiten. In diesem Fall wird sie allerdings auf die gesamte Raumzeit angewendet. Zu diesem Zweck verwendet man die imaginäre Zeit, weil es mit ihrer Hilfe einfacher ist, die einzelnen Geschichten aufzusummieren.
Bei all diesen gedanklichen Weltreisen darf man natürlich nicht darauf vergessen, daß wir uns immer in der realen Zeit befinden. Darum ist es laut Hawking auch vollkommen legitim, die oben genannte Vorgehensweise als bloßen mathematischen Trick zu bezeichnen - hier gilt vielmehr \"gut ist, was nützt\".
Nachdem Hawking von mehreren Seiten kritisiert wurde, weil er die imaginäre Zeit, einen Begriff, der künstlicher und realitätsferner gar nicht sein kann, eingeführt hat, versuchte er, sich auf einem Vortrag im Juli 1991 zu rechtfertigen, indem er auf berühmte Vorgänger wie Kopernikus und Galilei verwies. Ein wenig übertreibend sagte er schließlich: \"Es ist ein geistiger Sprung von der gleichen Art wie die Erkenntnis, daß die Erde rund ist. Eines Tages werden wir die imaginäre Zeit für ebenso selbstverständlich halten wie heute die Rundung der Erde.\" (S. W. Hawking, Einsteins Traum, S.77)
Über die Zukunft des Universums gibt es eigentlich noch spekulativere Behauptungen als über die Anfangsphase. Dies zeigt sich besonders deutlich in den vielen verschiedenen Aussagen, die einzelne Wissenschaftler darüber machen. Natürlich soll hier versucht werden, in erster Linie Hawkings Standpunkt darzulegen, es wäre allerdings völlig falsch und intolerant, nicht auch andere ernstgemeinte Hypothesen zu erwähnen.
Einig sind sich die Wissenschaftler darüber, daß das Schicksal unseres Universums von der mittleren Materiedichte und in weiterer Folge von der Expansionsgeschwindigkeit abhängt. Für beide gibt es einen kritischen Wert, der eine Art Grenze zwischen dem offenen und dem geschlossenen Modell des Kosmos darstellt. Ersteres bedeutet, daß die vorhandene Masse nicht groß genug wäre, um die Ausdehnung des Weltalls jemals zu stoppen und eine Kontraktionsbewegung einzuleiten. Das Universum würde sich also ins Unendliche, was auch immer das sein mag, ausbreiten. Beim zweiten Modell allerdings würde es zu einem Zeitpunkt in ferner Zukunft kollabieren und schließlich wieder in einen Punkt zusammenstürzen - eine Art umgekehrter Urknall also. Als drittes ist auch noch der Grenzfall möglich, daß exakt der kritische Wert vorliegt. Dann würde zwar nie eine Kontraktion einsetzen, aber die Expansion würde schneller abgebremst werden als beim offenen Modell und letztlich gegen Null streben. Welches Modell wirklich zutrifft, werden wir vermutlich niemals erfahren. Der Grund liegt darin, daß die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit uns nur einen begrenzten Teil des Kosmos sehen läßt. Wir können daher nicht wissen, wie groß die Ausdehnung außerhalb dieses Bereiches ist. Es ist also weder möglich noch sinnvoll, Gebiete, die sich unserer Beobachtung entziehen in den Berechnungen zu berücksichtigen. Alle diesbezüglichen Untersuchungen sind deshalb nur auf einen Teil des gesamten Universums bezogen.
Die kritische Dichte liegt bei etwa 5*10-30 g/cm3. Obwohl es sich hier um eine derart kleine Größe handelt, stellen die von uns beobachtbaren Sterne und Gaswolken lediglich 1 % dieses Wertes dar. Eine höhere Dichte ist nur unter der Voraussetzung zu erreichen, daß es auch sogenannte dunkle Materie gibt. Darunter versteht man eine Materieform, die für uns nicht sichtbar ist. Als genaue Bestandteile dafür kommen mehrere Möglichkeiten in Frage: Da wären zum einen die Elementarteilchen. Besonders das sogenannte Neutrino wird von den Wissenschaftlern als vielversprechend angesehen. Bis heute konnte allerdings noch nicht bestätigt werden, ob dieses Teilchen überhaupt Masse besitzt. Experimente mit Neutrinos sind äußerst schwierig durchzuführen, weshalb man über ihre Masse bisher nur weiß, daß sie von Null bis zu einem maximalen Grenzwert reichen könnte. Obwohl selbst ihre maximal mögliche Masse nur knapp über Null liegt, könnten die Neutrinos aufgrund ihrer Häufigkeit (auf ein Kernteilchen kommen zirka eine Milliarde Neutrinos!) erheblich zur Dichte beitragen.
Außerdem wären da noch die Schwarzen Löcher, die eine extrem hohe Dichte besitzen und, sofern sie in ausreichender Zahl vorhanden sind, ebenfalls die Gesamtmasse des Universums erhöhen würden. Hierbei steht man jedoch vor dem Problem, daß es noch niemandem gelungen ist, ein Schwarzes Loch nachzuweisen.
Trotz ihrer Unsichtbarkeit gibt es einige Anzeichen, die auf das Vorhandensein von dunkler Materie schließen lassen. Zum einen geht aus Beobachtungen von Spiralgalaxien hervor, daß diese schneller rotieren als es mit der sichtbaren Materie möglich wäre. Um solch ein Phänomen zu erklären, muß in den Galaxien wesentlich mehr Masse vorhanden sein. Zum anderen trifft dies auch in einem größeren Rahmen betrachtet zu: Die Galaxien haben sich zu Haufen zusammengeschlossen, in denen sie sich um ein Zentrum bewegen. In diesem Fall müssen sie von dunkler Materie umgeben sein, die auch hier die notwendige Masse bzw. Schwerkraft zur Verfügung stellt, um sie zusammenzuhalten. Mit Hilfe relativ zuverlässiger Schätzungen darf man annehmen, daß durch diese unsichtbare aber nachweislich vorhandene Materie etwa ein Zehntel der kritischen Dichte erreicht wird.
Woher nehmen wir nun aber die restlichen 90 Prozent? Aussagen über die Existenz weiterer Materie sind nicht anhand herkömmlicher Messungen überprüfbar. Sie befindet sich außerhalb der Galaxienhaufen und kann deshalb nicht einmal indirekt wahrgenommen werden. Daher muß man sich in diesem Bereich meist mit Vermutungen oder bestenfalls mit Berechnungen zufriedengeben. Für letzteres möchte ich hier ein Beispiel anführen: Die Menge der leichten Elemente im Frühstadium steht in einem bestimmten Verhältnis zur Materiemenge im heutigen Universum. Da sich diese leichten Elemente berechnen lassen (in wie weit die Ergebnisse zutreffen, ist eine andere Frage) und da das Verhältnis ungefähr bekannt ist, kann man so auf die derzeitige Dichte schließen. Auf diese Weise ist man zu der Erkenntnis gelangt, daß eigentlich zehnmal mehr Materie vorhanden sein müßte, als wir nachweisen können. Das ist also der Grund dafür, daß viele Wissenschaftler vermuten, das Universum müsse annähernd die kritische Dichte besitzen. Anderen Berechnungen zufolge wäre es sogar möglich, daß die tatsächliche Dichte doppelt so groß ist wie die kritische. Wir können somit als Grenzwerte 10 % und 200 % annehmen.
Obwohl Hawking keine andere Wahl hat, als beide (oder besser gesagt alle drei) Möglichkeiten zu akzeptieren, kommt für ihn im Grunde genommen nur das geschlossene Modell in Frage, weil er meint, daß für ein Universum mit geringerer Dichte die Anfangsbedingungen zu genau hätten gewählt werden müssen.
Interessant ist übrigens auch der Zusammenhang zwischen kritischer Dichte und Inflation. Nach dieser Theorie würde nämlich die tatsächliche Dichte ungefähr dem kritischen Wert entsprechen. Um sein geschlossenes Modell zu begründen beruft sich Hawking teilweise auf die Inflation. Andrei Linde hingegen spricht von einem Universum mit unendlicher Ausdehnung, das aus zahllosen Teiluniversen, aus denen immer wieder neue entstehen, aufgebaut ist. Zwar erwähnt er nicht explizit, daß für seine Annahme eine kleinere Dichte als die kritische vorausgesetzt werden muß, doch sein Modell ist nur unter dieser Bedingung möglich.
Diese beiden grundverschiedenen Aussagen sind aber bei weitem nicht der einzige Widerspruch, den uns die moderne Kosmologie zu bieten hat. Im Gegenteil: In diesem Fall kann nämlich schon der geringste Unterschied in den Anfangsbedingungen darüber entscheiden, ob die heutige Dichte dem einen oder dem anderen Modell entspricht. Wenn es allerdings um die Frage geht, wie lange das Universum noch \"sein\" wird, liegen zwischen den verschiedenen Antworten oft Welten - und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die größten Unterschiede sind bei den Angaben über das geschlossene Universum zu erkennen. Die Tabelle soll anhand der Aussagen von drei Wissenschaftlern diese Differenzen verdeutlichen:
Hawking Hiller Barrow
Sonne verbraucht Kernbrennstoff 5 Mrd. Jahre 5 Mrd. Jahre 5 Mrd. Jahre
Alle Kerne verbrauchen ihren Kernbrennstoff 10 Mrd. Jahre 100 000 Mrd. Jahre 85 Mrd. Jahre
Expansion kommt zum Stillstand 10 Mrd. Jahre 1000 Mrd. Jahre 1000 Mrd. Jahre
Endsingularität 15 Mrd. Jahre 2000 Mrd. Jahre 2000 Mrd. Jahre
Was das Schicksal des Universums gemäß dem offenen Modell betrifft, herrscht unter den in diesem Bereich tätigen Forschern weithin Einigkeit. Untenstehende Tabelle spiegelt diese generell vorherrschende Meinung wider.
alle Sterne und Galaxien sind zu Schwarzen Löchern geworden 1018 Jahre
die meisten Protonen und Neutronen sind zerfallen 1030 - 1032 Jahre
alle Kernteilchen sind zerfallen 1032 - 1034 Jahre
auch die letzten Schwarzen Löcher verdampfen 10100 Jahre
Aus dieser Übereinstimmung darf allerdings nicht geschlossen werden, daß diese Angaben auch richtig sind. Gerade in diesem Bereich dominiert (noch) eine große Ungewißheit. Besonders was die Zerfallszeit der Protonen betrifft, kann man zur Zeit noch keine experimentell gesicherten Aussagen treffen. Es ist also durchaus möglich, daß die Wissenschaftler in einigen Jahren auf völlig andere Werte kommen und sich über die für uns aktuellen Daten nur wundern können oder sich vielleicht sogar darüber lustig machen. Doch diese Entwicklung, auch Fortschritt genannt, ist gerade für die Naturwissenschaften von immenser Bedeutung.
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