Romeo wird in der Pose eines melancholischen jungen Mannes gezeigt, der mit all seinen Sinnen liebt und darum lebt. Er schwärmt für Rosalinde (die übrigens das ganze Stück über nicht auftreten wird), man muß aber - aufgrund der Bedingungslosigkeit, mit der Romeo dieses Mädchen nach dem Kennenlernen Julias vergißt - annehmen, daß der Verzicht auf sie nicht der wirkliche Anlaß für seinen Kummer ist, sondern eher das allgemeine, romantische Verlangen nach tiefer Zuneigung. Diese Sehnsucht unterscheidet ihn von seinem Freundeskreis, deren Interessen und Gedanken weit trivialer sind.
Romeos übertrieben philosophische Attitüde die Liebe betreffend (" Lieb' ist ein Rauch, den Seufzerdämpf erzeugten, geschürt, ein Feu'r, von dem die Augen leuchten, gequält, ein Meer von Tränen angeschwellt,..") vereinnahmt seine gesamten Empfindungen, verstrickt in Gedanken ist er an den Kämpfen zwischen den beiden Familien weder beteiligt noch interessiert. Romeos Bewußtsein konzentriert sich allein auf das Erfahren von Liebe.
t wird als ein reifer, intelligenter Mann beschrieben, dessen einstige pubertären Interessen nicht mehr mit seinen Erwartungen von heute übereinstimmen. Er war es nämlich, der gemeinsam mit Riff, die Jets zum Leben erweckte und so eine Gang schuf, die für ihre Mitglieder mehr bedeutet als Freizeitbeschäftigung und Gemeinschaft, sie ist auch ihre Familie, eine Art Zuflucht vor Eltern und Gesellschaft. Die Jets verstehen es als ihre ideologische Pflicht "ihr" Land, dh den Spielplatz und die umliegenden Häuserblocks, zu verteidigen.
Tony kann sich damit nicht mehr identifizieren, denn seine Wertvorstellungen und Ziele im Leben kollidieren mit diesen typischen Motiven der Halbstarken. Die Jets verhöhnen die Erwachsenen ("hü, Officer Krupke, wir sind wirklich verrückt, wir hatten nie die Liebe, die jedes Kind braucht, wir sind keine Verbrecher, sondern nur unverstanden, tief in uns da sind wir gut"), während Tony mit Doc, seinem Arbeitgeber eine fast freundschaftliche Beziehung unterhält. Die Notwendigkeit der Gewalt wird von den Jets selbst nicht in Frage gestellt, ist das doch die einzige Möglichkeit für sie, sich auszudrücken und Stärke zu demonstrieren. Tony ist von der Macht der Jets nicht mehr überzeugt (Riff: "Die Jets sind die größten.", Tony darauf: "Waren!"), und nimmt diese Art von Freizeitgestaltung nicht weiter ernst: "Jetzt geh und spiel schön mit den Jets".
Tony spürt, daß sich in seinem Leben etwas ändern wird, er nimmt ein positives Ereignis in seiner Zukunft wahr: "etwas wird kommen, etwas gutes!", er kann noch nicht wissen, daß er dieses Etwas genau dort trifft, wo er es am wenigsten vermutet. Nur mit Mühe kann Riff Tony davon überzeugen mit zum Tanzabend zu gehen, wo sie sich mit den Sharks treffen werden, und genau da, läuft Tony Maria über den Weg. Abseits vom Trubel der abwechselnden Tanzszenen, bei denen sich in Form von Übertrumpfungsversuchen schon die angespannte Situation und die Aggressionen zeigen, bemerkt Tony m. Sofort weiß er, daß er gefunden hat, was er suchte und erwartete. "Ich fühlte, ich wußte, etwas - vorher nie dagewesenes - würde passieren, mußte passieren." waren seine Worte, nachdem er Maria zum ersten mal gesehen hatte.
Shakespeare inszeniert das Treffen der beiden noch romantischer. r sieht aus der Ferne j mit dem Grafen Paris tanzen und ist - ohne zu wissen, um wen es sich handelt - so sehr von ihrer Schönheit verzaubert, daß er sogar abstreitet, je vorher geliebt zu haben. "Hat mein Herz je geliebt? Nein, schwört es ab, ihr Augen, denn wahre Schönheit sah ich erst heut nacht." r versucht ihr nahezukommen, indem er seine bisher für ihn unbekannte Gefühlserregung etwas versteckt um j durch die atemlose Leidenschaft nicht zu überfahren. Durch seriöse, unaufdringliche Gesten und Worte versucht er ihr jungfräuliches Herz zu erobern. Seine Versuche sind erfolgreich, denn j läßt sich schließlich von ihm küssen.
Im Zustand der Entrücktheit, gefangen in ihrer Leidenschaft ignorieren die beiden anfangs die Schreie der Amme, die bereits als Metapher für die später auftretende Bedrohung durch die Außenwelt gedeutet werden können. Als er erfährt, daß j die Tochter des großen Feindes Capulet ist, "ängstigt das seinen Sinn", trotzdem unternimmt er riskante Klettereien um zu ihr zu gelangen, denn die Liebe treibt ihn trotz aller Vorbehalte in ihre Arme. Er hört Julias Traurigkeit über seine Herkunft und seinen Namen und ist bereit, dem allen abzuschwören, um j glücklich zu machen: "Nenn Liebster mich, so bin ich neu getauft und will hinfort nicht r mehr sein." Die Intensität der Worte, mit der r j von seiner Liebe überzeugt, verleitet sie dazu ihren Gefühlen nachzugeben und eine Hochzeit zu forcieren. r bittet den Pater um sein Stillschweigen und seinen Segen. Dieser ist verstört über Romeos Unbeständigkeit, vermählt die beiden aber. r ehelicht j bereits einen Tag nach ihrem Kennenlernen.
Anders als bei Shakespeare, wo ein gültiger Ehebund im Beisein des Paters geschlossen wird, hat die Hochzeit bei Westside Story nur symbolischen Charakter. Eine ohne Pfarrer, mit Schaufensterpuppen als Publikum, von den beiden allein inszenierte Zeremonie spiegelt Tonys Willen wider, eine tiefe Liebe zu leben ohne auf die nötigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu achten.
Die eigentlich geplante Auseinandersetzung zwischen Jets und Sharks, die alle Bandenmitglieder umfassen sollte, wurde dank Tonys Einmischung wenigstens auf einen fairen Kampf zwischen zwei Rivalen reduziert, m durch ein Versprechen verpflichtet, will t den Akt der Aggression ganz verhindern. Als er den Schauplatz erreicht, - das Geschehen ist bereits im Gange - streckt er Bernardo seine Hand als Zeichen des Respektes entgegen, doch Bernardo nimmt die Geste nicht an. Die guten Absichten Tonys verhärten die Fronten immer mehr, denn durch seine pazifistische Haltung und die daraus resultierende Weigerung gegen Bernardo zu kämpfen (Bernardo: "Vielleicht hast du jetzt den Mut, deine eigenen Kriege zu kämpfen", t: "Ich brauche keinen Mut, nur weil du eine Schlacht hast. Aber wir haben keine!") provozieren Bernardo und t erreicht so den gegenteiligen Effekt, nämlich das Eskalieren des Konfliktes, bei dem Riff getötet wird. t ist sich über seine Teilschuld am Tod seines besten Freundes bewußt, im Affekt ersticht er den Mörder: Bernardo, Bruder seiner Liebsten und gleichzeitig verhaßter Feind. Zerrissen und verstört über die eigene Tat, flüchtet er zu m. "Ich versuchte es zu stoppen, ich wollte es stoppen. Ich weiß nicht wie es passiert ist,...Ich wollte ihm nicht weh tun, aber Riff, ... er war wie mein Bruder!" t erbittet Marias Verzeihen bevor er die Polizei aufsuchen will, er verbringt aber schließlich, von m dazu überredet, die Nacht bei ihr.
Tonys Kraft und Optimismus in einer derart verdrießlichen Lage und der starke Wille das Leben gemeinsam mit m zu verbringen ("Wir werden einen Ort finden, wo uns nichts und niemand etwas anhaben kann, keiner von ihnen.") bewirken beim Leser Hoffnung auf ein glückliches Ende.
Romeos Haltung ist meist die eines unzufriedenen, selbstmitleidigen und dekadenten jungen Mannes, vom Pech verfolgt und vom Schicksal verhaßt. Im Kontrast dazu steht seine überschwengliche, positive Liebe zu j, die ihn seiner grauen, gedankenverhangen Welt entreißt, die ihn das Tageslicht meiden und die Nacht verherrlichen läßt. "Allein sobald im fernsten Ost die Sonne, die all'erfreu'nde, von Aurora's Bett den Schattenvorhang wegzuziehn beginnt, stiehlt vor dem Licht mein finstrer Sohn sich heim und sperrt sich einsam in sein Kämmerlein, verschließt dem schönen Tageslicht die Fenster und schaffet künstlich Nacht um sich herum." Diese Attitüde veranlaßt r auch dazu, an der vom Prinzen verhängte Strafe für sein Verbrechen fast zu verzweifeln.
Als Tybalt den Streit mit r sucht, weil er sein Auftauchen beim Maskenfest im Hause der Capulets als Verspottung seiner Sippschaft deutet, ist der junge Montague nicht bereit mit ihm zu kämpfen, ist doch der frühere Feind ein Vetter seiner Frau. r versucht Tybalt davon zu überzeugen, daß es keinen Anlaß gibt für Aggressionen und Kämpfe gegen ihn. "Ich liebe mehr dich als du denken kannst, bis du die Ursach' meiner Liebe weißt. Drum, guter Capulet, ein Name, den ich Wert wie meinen halte, sei zufrieden". Tybalts Wut steigert sich durch die für ihn unangebrachte Demut bis ins Unendliche, und so erreicht r durch sein friedvolles, anti-aggressives Auftreten, genau wie Tony, das Gegenteil seiner Absicht. Die Situation eskaliert, als Tybalt Mercutio tötet und r - wissend, den Gegner durch seine unfreiwillige Brüskierung zu der Tat bewogen zu haben - ersticht daraufhin den Mörder seines besten Freundes. Die Strafe für Romeos Verbrechen ist ,lt. dem Prinzen von Verona, die Verbannung nach Mantua. Doch anstatt den Entschluß des Prinzen, der ihm sein Leben läßt, freudig entgegenzunehmen, ist r betrübt über sein Schicksal. "Verbannung? Sei barmherzig? Sage: Tod! Verbannung trägt den Schrecken mehr im Blick, Weit mehr als Tod! - O, sage nicht Verbannung!" Die Angst davor von j getrennt zu sein und das Gefühl alles zu verlieren bewirken Undankbarkeit dem Fürsten gegenüber, denn der Tod scheint für ihn die willkommenere Alternative zu sein.
Tonys Wille, das alles zu überstehen, ist, unterstützt von Marias Glaube an ihre Liebe, grenzenlos und alles überwindend. Erst als er von Marias vermeintlichen Tod erfährt, ist Tony an einem Punkt angelangt, an dem die Resignation seine ganzen Gedanken erfaßt und er keinen anderen Ausweg mehr sieht als Maria zu folgen, er will sterben um mit ihr zu leben. Die Ironie in dieser tragischen Szene liegt darin, daß Tony, im Glauben Maria sei tot, versucht Chino herbeizurufen um wie Maria von ihm getötet zu werden. Während Tony nach Chino sucht, taucht Maria auf, doch just in diesem Moment kommt Chino tatsächlich und streckt Tony nieder.
Bevor er in ihren Armen stirbt, entwickelt sich noch ein Dialog zwischen den beiden, der zeigt, daß die Liebe für beide richtig war, nur der Ort und das Umfeld waren falsch. Tony: "Ich habe wohl nicht genug daran geglaubt.", Maria: "Lieben ist genug!", Tony: "Nicht hier, sie würden uns nicht in Ruhe lassen."; Maria: "Dann werden wir weggehen.", Tony: "Ja, wir können. Ja, wir werden!". Das Vertrauen in die Liebe ist für Tony Garantie dafür, daß die Liebe siegt. Doch er muß feststellen, daß Lieben und Glauben allein eben nicht reicht um nach seinen Vorstellungen leben zu können bzw. leben zu dürfen.
Die Nachricht von Julias Tod stürzt Romeo nicht in den zu vermutenden Zorn, er versinkt auch nicht in Depression, denn seine Trauer ist viel zu tief, als das er sie zur Schau stellen würde. Sein Leiden betrifft die ganze Seele und die Entscheidung, was zu tun ist, fällt ihm nicht schwer. Mit scheinbar kühlem Kopf und motiviert sein Geschick selbst zu bestimmen um nicht länger den Launen des Glücks ausgeliefert zu sein, beschließt Romeo seiner Frau in den Tod zu folgen, um die Liebe, die auf Erden unmöglich war, wenigstens im Jenseits zu finden. Mit folgenden Worten verabschiedet sich Romeo von der toten Julia um gleichzeitig - durch seinen Tod - eine Vereinigung mit ihr zu feiern: "Umarmung! und o Lippen, ihr, die Tore des Odems, siegelt mit rechtmäß'gem Kusse den ewigen Vertrag dem Wucherer Tod."
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