Philip Glass ist sich treu geblieben. Bereits nach seiner ersten Oper scheint er seine endgültig Musiksprache gefunden zu haben, es scheint aber auch Stagnation an die Stelle musikalischer Weiterentwicklung zu treten. ,,Mein Problem ist es eher, Produktionstermine zu finden. Manchmal braucht es länger, eine Oper zu produzieren als die Musik zu schreiben. Wenn ich an einer schreibe, plane ich schon einige andere. Es sind die Produktionsprobleme, das Geld, die Suche nach einem Produzenten, was viel Zeit braucht" So Glass in einem Interview. Über ein Dutzend Opern, in jedem Jahr eine, hat Glass in der letzten Zeit dabei vorgelegt. Mit dem eigenen Ensemble ist er daneben seit über 20 Jahren ,,on Tour" und gibt nach eigenen Angaben rund 50 Konzerte im Jahr. Etliche Sinfonien, Streichquartette sowie einige Klavierstücke sind Nebenprodukt der Kompositionstätigkeit. In der Tat kommt diese Produktionsweise "quasi-industrieller Fliessbandfertigung" (um einen Begriff Gottwalds zu gebrauchen) nahe.
1978 erhält Glass einen Preis der Rockefellerstiftung, der sich über drei Jahre erstreckt und mit insgesamt 90000 Dollar dotiert ist. Er investiert die Summe in die Sicherung seiner Zukunft: Nach eigenen Angaben verwendet er die Hälfte des Preises, ,,to make his career more business like." Auch die weiteren Geschäftspraktiken Glass\' verraten einiges Geschick. 1971 gründet er ein eigenes Plattenlabel und publiziert erste Aufnahmen seines Werkes. 1982 dann unterschreibt Glass einen Exklusivvertrag mit dem amerikanischen Konzern CBS. Diese Entwicklung zeigt ihn auf einem Weg zu einem sich stets vergrößernden Publikum. ,,Glass had become perhaps the most popular serious composer" bemerkt Gregory Sandow über den Minimalisten. Ein eigenes Label hat er gegründet um den Konflikt mit der Produzentenseite zu umgehen. Spätestens seit dem Erfolg der Oper "Einstein on the Beach" wird Glass von der Kritik nicht selten als "Cross-over-Phänomen", also als Komponist der ein Massenpublikum erreicht, bezeichnet. Auch Steve Reich muss(te) sich damit auseinandersetzen. Beide scheinen mit der Aufnahme ihrer Werke die Kluft zwischen elitärem Kunstverständnis und populärer Kultur zu überwinden. Manchmal ist gar von einer Pop-Musik für Intellektuelle die Rede. Doch auch kritische Stimmen wie diese können den Umstand nicht außer Acht lassen, dass die Tonschöpfungen Steve Reichs und Philip Glass\' eine für zeitgenössische Kompositionen erstaunlich breite Aufnahme finden und somit einen Beitrag dazu leisten, die Trennung der Musik in ein sogenanntes ernstes und ein unterhaltendes Fach ein bisschen aufzuheben.
Glass selbst hat sich gegen die Etikettierung als Cross-over-Komponist gewehrt: ,,Die Plattenfirmen sind es, die den Cross-over erreichen, das Publikum macht einen Cross-over, aber nicht ich. Ich habe angefangen, in einer bestimmten Weise Musik zu schreiben, weil ich immer an der musikalischen Grammatik interessiert gewesen bin. Ich bin ein ernsthafter Komponist. Aber ich arbeite in einer Zeit in der sich das Publikum nicht mehr streng an einen Stil bindet. Das entscheidende ist nicht was mit mir passiert, sondern was mit dem Publikum passiert." Der Kontakt zu Brian Eno oder David Bowie ist seit den 70er Jahren eng, der Einfluss der Glassschen Musik - wie auch der Klänge seiner minimalistischen Mitstreiter - auf die Welten der Rockmusik ist unübersehbar und zeichnet sich beispielsweise in den grosformatigen Epen von "Pink Floyd" "Tangerine Dream" oder der amerikanischen New-Wave-Band "Talking Heads" um David Byrne ab. Dass eine Zusammenarbeit jedoch nicht immer ein Erfolg wird, zeigt beispielsweise Glass\' Projekt "Songs from Liquid Days" das in Zusammenarbeit mit Suzanne Vega, Linda Ronstad, Paul Simon und David Byrne entstand und das von der Kritik dementsprechend eher zurückhaltend aufgenommen wurde.
Doch auch auf anderem Gebiet beweist sich Glass als Grenzgänger. Als Produzent des Plattenlabels ,,B1ack Point" beispielsweise wechselt der Komponist nicht nur die Seiten, sondern präsentiert dabei auch so unterschiedliche Konzepte wie das der brasilianischen Gruppe ,Uakti" oder John Morans Oper ,,The Manson Family". Auch seine eigene Musik bindet sich nicht an bestimmte Aufführungsbedingungen und wird dementsprechend auf Jazz-Festivals, Open air, im Rock-club oder Konzertsaal gespielt. Eine Flexibilität, die sich das Musik- Konzept aus den "frühen Tagen" der Minimal-Music gerettet zu haben scheint. Wenn auch sein Weg und manche Werke der Kritik etliche Ansatzpunkte bieten, so ist Glass\' Rang als erfolgreichster zeitgenössischer Opernkomponist dennoch unumstritten. Die Zahl seiner Auszeichnungen, Uhraufführungen und Aufführungen und nicht zuletzt der Umsatz, der seinen Unternehmungen machen, spricht für sich. 1988 beispielsweise sind alle nach 1976 komponierten Opern des Komponisten im Umlauft (d.h. sie werden aufgeführt). Gleichzeitig erlebt das Jahr 1988 zwischen Mai und Juli gleich drei Glassuraufführungen. Der Komponist selbst erhält in diesem Jahr den begehrten Auftrag der Metropoliten Opera, ein Stück zum Kolumbusjahr zu schreiben. Der Auftrag schließt mit 525000 Dollar ein Entgelt ein, das als das höchste bis dato gezahlte Opernhonorar gi1t. Das Werk zum 500. Jahrestag von Kolumbus\' Reise nach Amerika, ,,The Voyage" wird im Oktober 1992 in New York uraufgeführt
Zum Schluss der Ausführungen über Glass sei nochmals ein Gedanke aufgegriffen, der die Rezeption der Minimal-Music. Seine Opern sind eine starke Frucht des Minimalismus amerikanischer Prägung. Und obwohl der Minimal-Music nicht selten das Attribut eines rein amerikanischen Phänomens zugeschrieben wird, so ist doch erstaunlich, dass sich der entscheidende Erfolg erst in Europa einstellt. Es kling seltsam, dass ausgerechnet die Kunstrichtungen, die eindeutig der amerikanischen Avantgarde zugerechnet werden, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten selbst recht schnell ihre Grenzen finden. Wichtige Uraufführungen finden in Europa statt. Terry Rileys Bemerkung: ,,Ja, am meisten mache ich in Europa. In Amerika gibt es da nicht allzu viel, wie du vielleicht weiss. Es gibt schon bestimmte Leute, die hier neue Musik bringen, aber um einen Lebensunterhalt daraus zu machen, müssen die meisten Leute nach Europa gehen, wo es die besseren Honorare gibt, die Rundfunk-Mitschnitte."
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