7a. Die Love Parade - Feste(r) feiern r />
Die Diskussion um die politische Aussagekraft der Love Parade bleibt bis heute ein Thema. 1995 will der Berliner Innensenator Dieter Heckelmann den Umzug verbieten, da sie keine Stellungnahme zu öffentlichen Angelegenheiten sei, und die Beseitigung des anfallenden Mülls sei ein zu hoher Kostenfaktor.
Nachdem die Stadt Frankfurt bereit ist, eine Million Mark für die Austragung und den damit verbundenen Imagegewinn an die Love Parade GmbH zu zahlen, lenkt Berlins Oberbürgermeister Diepgen ein und gestattet die Durchführung bei Übernahme aller Kosten.
Love Parade \'96: Die Stadt Berlin findet in dieser Form von (Jugend-)Demonstration einen positiven Imagegewinn für die Stadt und das Tourismusgeschäft, so konnte man es in der Berliner Tagespresse nach der Veranstaltung lesen. In Berlin passierte etwas, und diesmal waren nicht die zahlreichen Aktivitäten auf den hiesigen Baustellen gemeint.
Die Love Parade sieht sich fern von konservativen politischen Ansichten und trifft als Aushängeschild einer neuen Jugendbewegung keine expliziten Aussagen zu diesbezüglichen Themen oder Problemen. Techno ist einerseits unpolitisch: \"Es gibt uns, wir sind viele, wir sind anders, wir wollen Spaß.\"
Techno ist andererseits doch politisch: \"Techno ist sehr politisch und Soziologen sind alte Wichser, die nichts verstanden haben. Techno ist deswegen politisch, weil es die Musik demokratisiert hat und sich jeder seine Musik machen kann. Wir brauchen Fehler anderer Jugendbewegungen nicht mehr zu wiederholen. ... Wir sind keine Antibewegung zur Spießergesellschaft, sondern stellen eine Alternative dar.\"
Cord Schnibben vom \'Spiegel\' sieht diese Komponente eher zynisch:
\"Die Love Parade ist so politisch wie ein Sommerpicknick und so unpolitisch wie eine Friedensdemo, aber wenn Politik die Verständigung darüber ist, wie man zusammenleben will, dann sind drei Tage voller \'Love, Peace and Unity\' politischer als drei Kilo Parteiprogramm.\"
Wie politisch oder unpolitisch diese Bewegung letztendlich bewertet wird, Parallelen zu anderen Massenerscheinungen und Massenmeinungsbekundungen können aufgezeigt werden. Im Grunde ist der Umzug der Liebe nicht anders als die Anti-Vietnam-Kriegs-Demonstration oder der Karnevalsumzug in Mainz. Man demonstriert Einheit und Zusammenhalt, versucht das Gute im Menschen zu vermitteln:
\"Love, Peace und Unity als Selbstzweck. Diese Kids sind nicht explizit gegen etwas, und sie haben nicht im Sinn, zu kämpfen. Sie wollen - im Gegensatz zu den HipHoppern zum Beispiel - nicht einmal Spuren in der Außenwelt hinterlassen. Keine Grafitti, keine Texte, höchstens in der Mode manifestiert sich die Technokultur. Gelingt es aber, von den Ansprüchen an eine Jugend, die per definitionem rebellisch sein soll, abzurücken, stellt man fest, daß die Techno-Kids praktizieren, was vorangegangene politische Bewegungen und Gruppierungen gefordert haben. Diese Kids skandieren keine Parolen, in ihrer abgeschlossenen Raver-Gesellschaft existiert weder Rassismus noch plumpe Anmache, noch Ausgrenzung. Aus der Sehnsucht nach dem Wunderland heraus haben sie vielleicht entdeckt, was bis dahin als Utopie angestrebt wurde, aber kaum je in Realität stattgefunden hat. Die Raver planen keine \'Revolution\', ihr Umgang miteinander ist aber in einem gewissen Sinn durchaus revolutionär.\"
Oder eine andere Stellungnahme dazu: \"Techno ist eben nicht ausgrenzend, Techno besteht nicht auf ethnische Besonderheiten, sondern ist offen nach allen Seiten hin. Die Love Parade ist friedlich orientiert. So etwas hat einen Einfluß auf das Alltagsleben. Nur Love, Peace & Unity zu denken und sich anzulächeln, anstatt sich gegenseitig auf die Füße zu treten und sich anzurempeln, das ist für mich schon so politisch: Ich glaube, das geht in das kollektive Bewußtsein der Menschheit ein, da bin ich idealistisch.\"
Der praktizierte Pazifismus der Ravolution findet seinen Feind möglicherweise in dem kopfschüttelnden Spießer am Rande des Geschehens, sonst nirgends. Die Szene grenzt sich nicht gesellschaftlich ab, die propagierte Liebe, Friede und Einigkeitsdemonstration braucht keine ideologische Zusammengehörigkeitsformel. Doch dies empfinden dennoch nicht alle so:
\"Die Inhaltslosigkeit wird kompensiert durch dieses Familiy-Gehabe. Es wird eine Homogenität herbeigeschworen, die es eigentlich gar nicht gibt.\"
Nach 1991 lautete das Motto der Friede, Freude & Eierkuchen-Demonstration anders, eine an den Punk angelehnte \"Leckt uns alle am Arsch\"-Philosophie als Ausdruck der kommerziellen Verweigerung und Anpassungsunlust:
\"Wir machten unsere eigenen Klamotten und unsere eigene Musik, wir sind kulturell und ökonomisch autark, weil wir unser eigenes Ding machten: Das ist jetzt nicht mehr so: 1994 ist das ganze Ding umgekippt.\"
Ein Generationswechsel hat zur Folge, daß der idealistische Geist von 1991 teilweise verlorengegangen ist und sich die Szene von ihren ehemaligen, ursprünglichen Ideen entfernt. Die ökonomische Expansion des Erlebbaren bei den Raves spaltet die Szene und die engen Beziehungen der Macher aus den Anfangszeiten. Man kennt sich nicht mehr persönlich, die Szene ist unüberschaubarer geworden. Auch die Love Parade GmbH ist längst machtpolitisch strukturiert. Die Teilnehmer des Umzugs werden ebenso von ihr bestimmt wie die Auswahl von Sponsoren.
\"Du mußt erstmal einen Antrag ausfüllen, wenn du mit einem Wagen bei der Love Parade mitmachen willst. Der Antrag kostet etwa 400,- DM Bearbeitungsgebühr. Wenn du genommen wirst, mußt du noch einmal 5000,- DM fürs Mitmachen zahlen. ... Love, Peace & Unity klingt dann schon etwas lächerlich, wenn Machtkämpfe auf dem Berliner Markt knallhart ausgetragen werden. Wir durften z.B. lange nicht mit einem eigenen Wagen mitmachen. Der Bunker stand immer außen vor, weil wir erst später (1992) dazukamen. ...\"
Nach der 1995er Love Parade gibt es von 65 Anbietern für die Massen an Rave-Touristen eine Party danach. Doch deren Hoffnung auf ein gutes Geschäft wird zu einer überraschenden Pleite. Anstatt in Clubs zu gehen, sonnen sich die Teilnehmer lieber an der Spree bei einer kostenlosen Party der Radiosenders Kiss FM oder setzen die Feier in Parks mit eigens mitgebrachten VW-Bussen fort.
Im Jahr 1995 wird deutlich, daß der Zenit der ökonomischen Auswertung der Parties längst überschritten ist. Die Schadenfreude der Szene über den Mißerfolg der Veranstaltungen im Rahmen der Love Parade verdeutlicht den neuerlichen Trend, sich wieder in kleine, weniger kommerzielle Szenen aufzusplitten. In der Masse kann nichts Neues mehr entstehen. Dieser Eindruck bleibt auch nach der 1996er Love Parade, die diesmal aufgrund der großen Erwartung von Teilnehmern durch den Berliner Tiergarten führte: Die Medien haben zwar in erster Linie über die erneut gestiegene Anzahl an Ravern (ca. 750.000 Teilnehmer) geredet, an zweiter Stelle wurde jedoch von den Medien das Müllproblem im Anschluß an die Love Parade angeschnitten. Motto der Presse: \'Don\'t waste our times with nothing.\' - keine Rede von den Parties vor und nach dem Massenumzug.
7b. Mayday - Das Kind der Love Parade
Der Kult-Charakter der Love Parade zieht auch andere Metropolen in ihren Bann. Das karnevalistische Ritual wird in Zürich seit 1992 erfolgreich imitiert: In Köln mit dem Night Move, 1994 raven auch 1.500 Österreicher durch die Straßen der Alpenstaat-Metropolen. Bayern folgt 1995 mit dem Münchener Union Move.
Schon sechs Monate nach dem kulturellen Durchbruch der Love Parade folgt ein weiteres, bundesweites Ereignis aus der Berliner Techno-Event-Erfinderküche. Die Mayday-Party, die die immer größere Dimension der Rave-Veranstaltung zum Ziel hat und sich zum Berliner Party-Exportartikel Nummer eins entwickelt. Auch ihr gelingt es, immer neue Besucherrekorde zu brechen. 1995 raven 30.000 Teilnehmer in der Frankfurter Festhalle. Trotz des Eintrittspreises von 85,- DM ist die Veranstaltung schon Monate vorher ausverkauft:
\"Es gibt leider keine größere geeignete Halle für einen Rave in Deutschland, sonst wäre Mayday sicherlich größer. Fußballstadien eignen sich jedenfalls von der Atmosphäre her wegen der schlechten Akustik schlecht dafür.\"
Die Mayday-Party steht in der Tradition der früheren Raves, den Technozid-Parties, zu denen schon bis zu 3.000 Tänzer im Gleichklang monotoner Baßlinien die Massenekstase erleben durften. Die letzte Party unter Technozid-Motto findet 1991 statt und sechs Monate nach der Love Parade, im Dezember 1991 ist das erste Mayday-Happening:
\"Ich wollte so etwas wie die Party nach der Love Parade nochmal, nur irgendwie anders veranstalten. Also habe ich mich mit den Low Spirit-Leuten zusammengesetzt und mit Marusha, die durch ihre Radiosendung Rave-Satelite bei DT 64 großen Einfluß im Osten hatte. Als der Sender zumachte, haben wir überregional zu pushen begonnen und Mayday gemacht. Mayday bedeutete damals: Rettet das Jugendradio DT 64. Der Demonstrationscharakter war da, und DT 64 hat das Ereignis stark in seinem Programm gepusht.\"
Auch der Berliner Untergrund solidarisiert sich mit dem Sender DT 64 und damit gleichzeitig mit der Mayday. Zur Rettung des Senders werden Vereine gegründet und Tausende von Unterschriften gesammelt. Fanclubs gehen in den Hungerstreik oder ketten sich an das Brandenburger Tor. DT 64 gilt als der kritischste unter allen Radiosendern und das scheint der Grund für dessen schnelle Beseitigung durch die Landesmedienanstalten.
Der Empfangsradius des einzigen überregionalen Jugendradios reicht über die gesamte DDR bis nach Niedersachsen und Bayern hinein und so entstehen auch in der Bundesrepublik DT 64-Fanclubs. Im Jahr 1991 hat das Radio Kultstatus und ist ein mächtiges Medium.
Techno symbolisierte bis dahin die kulturelle Öffnung zum Westen. Bei der ersten Mayday funktionierte Techno auch als Musik eines gemeinsamen Widerstandes gegen die fortschreitende Zerstörung der Ost-Kultur durch westdeutsche Entscheidungsträger. Im Gegensatz zum engagierten Einsatz der DT 64-Moderatoren für die Mayday in der Halle Weißensee ließ der Idealismus zur Rettung von DT 64 seitens der Mayday-Veranstalter zu wünschen übrig.
Die erste Mayday kostete 200.000,- DM. Nach deren erfolgreichem Export in andere deutsche Städte wird schnell vergessen, daß es einmal ein Jugendradio DT 64 gab.
Heute werden bei den Parties Millionen umgesetzt. Aus den einst improvisierten Parties mit drei VW-Bussen voll Musikanlagen, Stroboskop und Bier an ungewöhnlichen Orten, an denen der Geist des Techno herbeigefeiert wurde, sind Riesenraves geworden. Deren Aufwand an Technik gleicht dem der Rolling-Stones-Konzerte.
1991 wirkten die Love Parade und die Mayday-Raves auf die Mitglieder der ersten Stunde wie erste kulturelle Siegesfeiern ihres noch jungen Techno-Underground. Die Bewohner verschiedener (Techno-)Städte lernten sich kennen. Ein neues überregionales Bewußtsein entstand, eine neue Mobilität - Techno-Tourismus - gab der Sache neuen Schub. Die Zahl der Techno-Anhänger ist seitdem immer weiter angewachsen.
8. Body & Sex - Einfach schön oder schön einfach?
Wie keine andere Jugendkultur zuvor hat sich Techno die Nacht als Raum erobert. Techno-Parties machen die Nacht zum Tag und den Tag zur Nacht. Die Nacht ist der Raum des Traumes und des Unergründlichen, des Körperlichen - des Sexuellen. Zusätzlich eroberte sich Techno auch den Untergrund der Städte: dunkle Fabrikhallen, Keller und Nischen, die oft zuvor brachlagen.
Techno findet also gewissermaßen in einer von der Gesellschaft noch unkontrollierten Zone statt. Kommerzdiscos und Techno-Tracks im Radio können demnach als bloßer Versuch angesehen werden, das \"Bedrohliche\" unter Kontrolle zu bringen. In der nächtlichen Partywelt läßt sich historisch zwischen Club Culture und den auf sie folgenden Raves unterscheiden.
Clubs und Raves weisen unterschiedliche Merkmale auf: Im Gegensatz zum Rave (oder auch: Rave Nation) ist die Club Culture tribalistisch organisiert, sie variiert von Club zu Club und ist jeweils durch die Interessen und Codes einer bestimmten Szene geprägt. Wichtiges Merkmal der Unterscheidung sind unter anderem sexuelle Interessen und Vorlieben:
So existiert eine traditionelle, heterosexuelle Nightclub-Szene, deren Droge in erster Linie Kokain und deren Musik eher House als Techno ist. Eine reiche Tradition an Club Culture aber haben vor allem Homosexuelle: Clubs waren - und sind teilweise immer noch - der Ort, wo die gesellschaftlich zu großen Teilen geächtete Homosexualität sich inszenieren und ausleben konnte. Im Untergrund wuchs eine lebendige Subkultur, die sich mit der Entstehung von House und Techno selbstbewußt geöffnet und diese neue Kultur geprägt hat.
Die neuartige Durchmischung der Szenen ist die unabdingbare Grundlage für die heute bestehende Party- und Club Culture. Dabei hat sich diese, jedenfalls nach außen hin, stark sexualisiert:
\"Kommunikation findet nicht mehr nur in Worten statt. Körper korrespondieren im Tanz, das Gespräch führen die Bewegungen. Arme antworten Beinen, Leiber erzählen eigene Geschichten. Worte und Werte der anderen Welt verlieren ihre Bedeutung, Gedanken formen sich zu Bildern. Hat man sich am Anfang noch gewundert über die seltsam gewundenen Bewegungen und die Figuren, die die Hände in der Luft beschreiben, staunt man alsbald bloß noch, wie schnell man ohne Scheu ähnliche Bewegungen ausführt. Der Abbruch des Austausches zwischen Tanzenden ist zwangloser als bei einem Gespräch mit Worten und ebenfalls fließend.\"
Aus dem Boom von Techno und House geht eine neue Art der Selbstinszenierung hervor, die sich vorallem in Form einer neuen Mode ausdrückt. Diese ist stark auf sexuelle Reize (oder: Über-Reize) ausgerichtet. Selbst S/M-Accessoires feierten Einzug in die Clubmode. Wenn schon \'Sehen-und-Gesehen-werden\', dann bitte richtig und möglichst voyeuristisch. Die Präsentation des eigenen Körpers bleibt allerdings nur auf die Kleidung beschränkt.
Techno hat die Clubs von stereotypen Tanzritualen befreit - alles ist erlaubt. Die Szene wird pornographisiert, Sexualität zelebriert. Die Szene feiert rauschend den Abgrund: den Abgrund der industriealisierten Welt, den Abgrund, an dem sich ihre Gesellschaft befindet. Dem trüben Sein wird der Schein vorgezogen. Die Lust zu spielen und zu repräsentieren ist größer geworden - allerdings auch der Druck dazu.
Die Allgegenwertigkeit des \'Schönen\' in faltenloser Hochglanz-Erotik verstärkt den Zwang zur Perfektion. Dieser verhindert Nähe - Stellt Sex zukünftig für Generation Y und Z Safer Sex, Cybersex, Softporno und MTV dar?
\"Die Zeremonie des Ankleidens ist von großer Bedeutung. ... Wiederum entsteht das Gefühl, daß die Raves ermöglichen, was das Leben nur in normierten Abläufen und zu festgelegten Zeiten ermöglicht: Das Verkleiden, das Spiel mit einem anderen Ich, das kindliche Herumtollen in schräger Aufmachung.\"
Raves sind andererseits sinnliche Erlebniswelten, in denen die Grenzen verwischen und ein neues Experimentierfeld für neue Formen der Sexualität entstehen: Androgynität, die Vermischung von homo- und heterosexuellen Szenen, neue Begegnungen zwischen den - nicht mehr eindeutig bestimmten Geschlechtern, die Lust und Freiheit, sich zu inszenieren, kollektive Trance-Erlebnisse.
\"Beim Rave nun ist Tanzen nicht mehr länger der vertikale Ausdruck horizontaler Sehnsüchte, sondern zuvorderst Selbstzweck.\"
Interessant ist aber auch die Infantilisierungstendenz dieser Bewegung: \"Die Versprechungen des sexy Aufzugs werden nicht eingelöst, vielmehr nimmt jetzt das Kind überhand. Und die Sehnsucht ist spürbar, die Sehnsucht, daß die Nacht kein Ende hat, daß sich der Wechsel zwischen Ekstase und leichtem Schweben ohne Ende nachvollziehen möge, daß der Tanztempel seine Türen nicht schließt - und daß die andere Welt in der Zwischenzeit untergegangen ist. Daß sie hier in ihrer ganzen Unschuld sitzen bleiben können und die Erinnerung an die normierte Welt da draußen verschwindet. Irgendwann steigen sie dann trotzdem wieder in ihre Autos, S-Bahnen und Trams, lassen sich in die Alltagswelt zurücktransportieren, in der Hand einen Flyer, auf dem steht, wo die nächste Party stattfindet.\"
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