Bestimmte Phänomene der angloamerikanischen Pop-Art-Bewegung wurden im Laufe der sechziger Jahre zunehmend internationalisiert und fanden in weiteren Teilen Europas Parallelen. Dort standen sie oft weniger in Konfrontation zu den eigenen kulturellen Traditionen.
In London waren es die Independent Group und das Institute of Contemporary Art, die in den fünfziger Jahren die Entwicklung der Pop Art mit einer gegenwartsbetonten, interdisziplinären und kulturkri¬tischen Interpretation von Fortschrittstheorien, Technologiekonzepten und Kommunikationswissen¬schaften verbanden.
In England und Amerika artikulierte sich eine vitale Pop-Generation; bildende Kunst, Musik, Litera¬tur, Massen- und Populärkulturen griffen ineinander über. In den sechziger Jahren konnten in Europa eher jugendkulturelle Kräfte der Pop Art vergleichbare Aktivitäten mobilisieren, allerdings immer als Reaktion auf amerikanische Vorbilder. Der Pop artikulierte sich weniger radikal, teilweise aber gestalterisch differenzierter, eigenwillig und aktuell, geprägt von einem veränderten Generationsge¬fühl.
Es sind auch die Auseinandersetzungen mit den eigenen (kunst)geschichtlichen Traditionen und die darin begründeten Abnabelungstendenzen unterschiedlich intensiv. Im folgenden sollen einige As¬pekte der europäischen Pop Art unter besonderen Gesichtspunkten zusammengefasst werden:
Amerikanische Ikonografie
Topografie
Herausragende Künstlerpersönlichkeiten
Inflationäre Phänomene
Zeit- und sozialkritische Politisierung
Wechselbeziehungen zwischen amerikanischen, englischen und kontinentaleuropäischen Künstlern durch Reisekontakte
Ausstellungen und Lehrtätigkeit.
Das Motiv der Marilyn Mon¬roe ist ein zentrales Bei¬spiel für Ame¬rikanismus in Europa - vom Poster bis zur Kunst.
Paris hat in den früheren sechziger Jahren viele auswärtige Künstler angezogen, die sich für neorealis¬tischen Tendenzen in der Kunst interessierten: Mimmo Rotella, Eduardo Paolozzi, Arthur Köpcke, Öy¬vind Fahlström, Daniel Spoerri. Der Schweizer Daniel Spoerri produziert absurde Objekt-Assembla¬gen, die surrealistisch inspiriert sind. Pop Art wäre ein Synonym für bestimmte Phänomene einer Epo¬che, aber keinesfalls ein Zeitstil; denn die Kunst lebte damals von der Infragestellung jeglicher stilisti¬scher Vereinbarungen und Perspektiven. Der daraufhin ausufernde Internationalismus der Pop-Be¬wegung und ihre modischen Auswüchse rechtfertigten ihre massenmedialen Bezüge wie von selbst.
Der schwedische Maler Öyvind Fahlström gilt als der bedeutendste Pop-Künstler außerhalb Eng¬lands und Amerikas. Er kam 1961 über Paris nach New York und gehörte dort zum festen Kreis der New Yorker Pop-Szene. Bei Aktionen von Robert Rauschenberg und verschiedenen Performance-Veranstaltungen wirkte er mit. Er verfremdet und aktualisiert die Bildklischees der Comicindustrie zu "Chroniken" der Zeit, zu politisch herausfordernden Gegenbildern alltagskultureller Geschmacks¬muster. Seine Kompositionen wirken wie ornamentierte Geflechte, es entstehen panoramaartige Bil¬der einer Enzyklopädie des Trivialen.
In den späten sechziger Jahren entwickelte ein politischer Realismus aus der Pop Art und dem radi¬kalen Realismus künstlerische Tendenzen, die - mit inspiriert durch die russische Revolutionskunst - den Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung artikulierten und sich als Parallelerscheinung zur Studentenbewegung jener Zeit verstanden.
Eine der Hauptquellen der amerikanischen Pop Art ist die Tradition der Volkskunst, die dem ausge¬prägt positiven Lebensgefühl, der realistischen Mentalität, der Abenteuer- und Erfindungslust des Amerikaners Ausdruck gab und seine Häuslichkeit dekorierte und seine Gebrauchsgegenstände formte. Es waren die persönlichen Signets ,, die Status- und Nationalsymbole, geschichtliche Mythen, Geschichten, Alltag und familiäre Häuslichkeit, die die Amerikaner in ihrer früheren Volkskunst - besonders des 19. Jahrhunderts - auf ungewöhnliche Weise einfach, erzählfreudig, lebendig, selbstbe¬wusst und formal konzentriert ins Bild setzten. Ihre Erzeugnisse sind Ausdruck einer kulturellen Wandlung und Selbstbestimmung, sind Spiegel von Menschen (Porträts), Typen, Moden, auch Zeichen einer nationalen historischen Identität.
Gerade Warhols Arbeiten der fünfziger Jahre demonstrierten viel Sympathie für die Lockerheit, Verspieltheit, Kessheit und Direktheit amerikanischer Volkskunst. Die Volkskunst als eine ihrer Quellen verweist darauf, dass die amerikanische Pop Art aus dem Lebensgefühl und dem Lebensstil der Menschen erwuchs und bürgerlichen Traditionen folgte. Das verbindet die alte, unverwechselbare Volkskunst mit der Rigorosität der Pop Art als einer Populär-Kunst, einer Volkskunst der Neuheit. Unterhaltung, Show, Optimismus, Witz, die kritisch-amüsante Pointe finden wir auch in der Karikatur, in Reportagen, Illustrationen, Bildergeschichten usw. Die Zeichnungen des Amerikaners Saul Stein¬berg und die Bilder von William Copley zeigen, wie fließend die Grenzen zwischen Karikatur, Volks¬kunst und Pop Art ist.
Pop Art lässt sich mit allen jenen Realismen der Kunstgeschichte in Verbindung bringen, die darauf abzielten, die Gegensätzlichkeiten und Absurditäten der realen Welt wie eingeschliffen oder harmo¬nisiert erscheinen lassen. Der Realismus einer Dingwelt ohne Hierarchien ist für die Pop Art Zeichen einer gesellschaftlichen Emanzipation von Kunst und Künstlern.
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