» Ein schöner Tag hat begonnen. Die Straßen, die von den Litauern abgesperrt worden waren, sind mit Leben und Bewegung erfüllt.
Schnell haben wir einen ersten Blick vom Zuzug im Ghetto bekommen, ein Bild aus dem Mittelalter- eine grau-schwarze Masse, die gebeugt von den schweren Bündeln geht, die auf ihren Rücken drücken. Wir begreifen, dass unsere Zeit bald gekommen sein wird. Ich betrachte die Unordnung im Haus, die zusammengebündelten Sachen und die verzweifelten Menschen. Ich sehe meine Habe verstreut. Sachen, die ich benutzt habe und die mir lieb geworden waren.
Die Frau steht verzweifelt mitten in ihren zusammengebundeten Habseligkeiten und weiß nicht, wie sie damit hantieren soll. Sie weint und verdreht ihre Hände. Plötzlich fängt alles um mich herum an zu weinen. Alles weint. «
Y.R. 13 Jahre, 6. September 1941
» Dieser Tag, Sonntag, der 13. Oktober, machte einen wunderlichen Eindruck auf mich. 140000 Juden aus den Vororten Warschaus werden gezwungen, ihr Heim zu verlassen und in das Ghetto zu ziehen. Alle Vororte sind von Juden geleert worden, und 140000 Christen werden gezwungen, die Ghettoquartiere zu verlassen. Den ganzen Tag bewegten die Menschen Möbel. Der Jüdische Rat wurde von Menschen belagert, die wissen wollten, welche Straße zum Ghetto gehörten «
E.R. Oktober 1940
Der mächtige Herr im Ghetto
Das Dasein im Ghetto bot keinen Anlass zur Heiterkeit, doch manchmal fanden die Bewohner trotzdem Grund zum Lachen. Chaim Kaplan schreibt in seinem Tagebuch unter dem 15. Mai 1940:
» Einmal kam ein bestimmter Nazi ins Ghetto, aus einem Teil des Landes, wo die Juden jeden Nazi-Soldaten, dem sie begegnen, grüßen und dabei die Kopfbedeckung abnehmen müssen. Diesen Brauch gibt es im Warschauer Ghetto nicht, aber der verehrte Gast wollte streng auftreten und zwang uns die Regeln auf, die in seinem Herkunftsort galten. Plötzlich entstand ein gefährlicher Tumult in der jüdischen Karmelicka-Straße: Irgendein wahnsinniger Nazi forderte, dass ein jeder, der an ihm vorübergeht, als Respekterweis den Hut abnehmen soll. Viele flohen, viele versteckten sich, viele wurden ergriffen und für ihren Ungehorsam verprügelt und viele brachen in lautes Gelächter aus. Die kleinen Besserwisser, die wahren Herren der Straße, merkten, was vor sich ging, und fanden großen Gefallen darin, dem Nazi Folge zu leisten; sie erwiesen ihm die große Ehre auf eine Weise, die den
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mächtigen Herrn zum Gespött der Vorbeigehenden machen sollte. Sie sprangen vor und zurück und grüßten ihn hundertfach, wobei sie jedes Mal die Mützen abnahmen. Ihre Zahl wuchs und sie hörten nicht auf, mit vorgespiegeltem erschrockenen Gesichtsausdruck die Mützen abzunehmen und sich zu verbeugen. Einige machten das mit unbewegter Miene, während die hinten Stehenden in Gelächter ausbrachen. So ging es weiter, andere kamen hervor und verbeugten sich vor dem Nazi mit entblößtem Haupt. Das Gelächter wollte nicht enden. «
Der Tod auf der Straße
Im Ghetto war der Tod allgegenwärtig. Die Krankenschwester Adina Blady Swajger schildert den Alltag im Warschauer Ghetto im Sommer 1941:
» Nach drei Wochen ging ich wieder in die Klinik wieder an meine Arbeit in der Typhusstation, wo wenigstens keine Kinder starben. Nur hatten wir nicht genug Betten für sie, sodass sie zu zweit, bisweilen gar zu dritt in einem Bett lagen, jedes mit einem kleinen Stück Heftpflaster auf der Stirn, das eine Nummer trug, damit wir die kleinen Patienten voneinander unterscheiden konnten. Glühend vor Fieber, riefen sie in einem fort und verlangten zu trinken. Doch am Fleckfieber starben sie nicht. Wir entließen sie, waren jedoch völlig erschöpft, denn täglich nahmen wir ein Dutzend neuer Kinder auf, so musste dieselbe Anzahl entlassen oder von Verdacht auf Sicher umgeschrieben werden, und die Krankenblätter der Typhusstation kamen schließlich alle in die Hände der Deutschen. Wir entließen die kleinen Patienten, damit sie zu Hause an Hunger sterben oder mit aufgedunsenem Leib wiederkommen konnten, um hier die Gnade eines sanften Todes zu erfahren. So war es jeden Tag. «
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