Ein großer Teil unseres Wissens über die Germanen stammt aus historischen Berichten von zwei römischen Schriftstellern: aus Caesars Commentarii de Bello Gallico (51 v. Chr., Aufzeichnungen über den Gallischen Krieg) und Cornelius Tacitus' De origine et situ Germanorum (98 n. Chr., Über Ursprung und Wohnsitz der Germanen).
Ein Vergleich der beiden Geschichtswerke erlaubt Schlüsse über die Entwicklung der germanischen Stämme in der dazwischen liegenden Zeit:
Beide Autoren haben sich mit folgenden Bereichen befasst:
1) Götterkult und Glaube
2) Heerwesen und Krieg
3) Verwaltung und Gerichtsbarkeit
4) Land und Grundbesitz
5) Wirtschaft
6) Allgemeine Lebensweisen.
Ad 2) Bei direktem Vergelich der Beschreibungen über die Germanen von Tacitus und Cäsar fällt besonders auf, dass Cäsar, der Feldheer und Staatsmann weder auf das Heerwesen im allgemeinen, noch auf die Kriegsführung und die Verwaltung näher eingeht. Tacitus hingegen beschreibt diese Bereiche eingehend. Ihm haben wir es zu verdankn, dass wir Kenntnisse haben üpber das germanische Heer, die Art der Bewaffnung, Kampfverbände, Methoden der Kriegsführung bzw. Kampfablauf und Wehrhaftmachung.
Ad 3) Im Bereich der Verwaltung erfahren wir einiges über den Ablauf und die Kompetenz der Stammesleitung und der Volksversammlung.
Auch in der Darstellung der Gerichtsbarkeit gibt es Unterschiede zwischen den beiden Autoren:
Cäsar berichtet, dass nur die führenden Männer der einzelnen gebiete und Gaue Rechtsprechungen vornehmen und Streit schlichten. Tacitus berichtet hingegen, dass bei geringen Vergehen die Stammesleitung zuständig sei und bei schweren Delikten die Volksversammlung.
Divergenzen in der Darstellung der Stammesführung ergeben sich, da Cäsar im Frieden keine gemeinsame Regierung und im Krieg einen gemeinsam gewählten Oberbefehlshaber anführt, wohingegen nach Tacitus Könige nach Maßgabe des Adels und Heerführung der Tapferkeit gewählt werden.
Keine eindeutigen Aussagen besteht darüber, ob Könige nur zu Kriegszeiten gewählt wurden.
Unterschiedliche Darstellung finden wir auch hinsichtlich des Grundbesitzes:
So war zu Caesars Zeiten Grundbesitz nicht gleichbedeutend mit Privateigentum. Vielmehr wurden die Felder jährlich unter den Sippen aufgeteilt. Zur Zeit des Tacitus wurde das verfügbare Land dann jedes Jahr an Einzelpersonen je nach ihrem sozialen Status innerhalb des Stammes verteilt. Die soziale Grundeinheit war die Sippe, die nächst größere Einheit der Gau, die größte war der Stamm.
Die unterschiedliche Zusammensetzung der germanischen Gesellschaft:
Zu Caesars Zeiten hatten manche Gaue nur in Kriegszeiten einen Anführer; zur Zeit des Tacitus wählten einige Gaue auch schon für die Friedenszeiten ein Oberhaupt. Die Macht dieser Oberhäupter war nicht unumschränkt, sondern durch einen Rat der Adligen und eine Versammlung der Krieger eingeschränkt. Laut Tacitus setzte sich die germanische Gesellschaft aus Freien, Halbfreien und Sklaven zusammen. Die Freien stellten die Krieger, die in Gefolgschaften durch gegenseitigen Eid zusammengeschlossen waren und unter der Führung eines Fürsten standen; auf der Grundlage dieser Führungsrolle entwickelte sich eine von den Freien abgesonderte Adelsschicht, aus der wiederum das germanische Königtum entstand.
Abschließend ist zu sagen, dass der Bericht Cäsars - zwar augenscheinlich um Objektivität bemüht - eindeutige Wertungen enthält. Cäsars Informationen stammen größtenteils nur vom Hörensagen, deswegen haben sie auch fast sagenhafte Züge. Bei seinem Bericht ist die Wahrheit mit Gerüchten vermischt.
Tacitus hingegen schreibt nicht nur ausführlich und objektiv, seine Beschreibung wirkt auch objektiver.
|