Im zweiten Teil gehe ich auf die Schwächen des politischen Systems ein. Es gibt allerdings keine exakte Trennlinie zwischen dem ersten Kapitel, da das wirtschaftliche und politische System eng zusammenhängen.
In der UdSSR versuchte man die einzelnen Teilrepubliken voneinander abhängig zu machen. So kam es, dass die Bevölkerung Usbekistans Getreide und andere landwirtschaftliche Produkte nicht aus dem Umland, sondern aus Kasachstan erhielt, oder rohstoffabhängige Industrien in Lettland errichtet wurden, wo selbst keinerlei entsprechende Rohstoffe vorhanden waren.
2.1 Klassenunterschied zwischen Funktionären und Arbeitern:
Der sowjetische "Totalitarismus" basiert auf dem Prinzip der alleserfassenden Leitung. Die daraus entstehenden Probleme wurden bereits erörtert. Es gab keine Kontrolle der Elite des Landes. Die Korruption stieg stark an. Es entwickelten sich zwei Schichten: Die armen Arbeiter und die durch Bestechung reich gewordenen Funktionäre.
Diese Funktionäre hatten außerdem noch zahlreiche Privilegien: eigene Geschäfte, bessere Versorgung, Plätze in Ferienheimen, Eliteschulen, Erlaubnis zu Auslandsreisen, etc. Die materiellen Interessen der Bürokratie werden damit zur wichtigsten Triebfeder der Planerfüllung. Alle müssen den Interessen der Bürokratie dienen.
2.2 Streik als Zeichen wachsenden Unmuts:
Mit zunehmender Zeit der Katastrophe wurde der Unmut immer größer und das zeigt sich in großflächigen Streiks. 1989 begannen die Arbeitsniederlegungen im westsibirischen Prokopjewski. Die Bergarbeiter mussten mit vollkommen veralteten und teilweise defekten Geräten Kohle aus den Gruben befördern. Täglich waren fünf bis sechs Unfälle pro Schicht zu beklagen. Die seit Jahrzehnten renovierungsbedürftigen Wohnungen waren für die Familien meist viel zu klein. In manchen Sommern gab es nicht genügend Wasser, die Kanalisation fehlte ganz und die medizinische Versorgung war völlig unzureichend. Die Bergarbeiter fühlten sich mit ihren Problemen im Stich gelassen. Der Zorn gegenüber den Verantwortlichen im fernen Osten wuchs.
Mit Beginn der Streike änderte sich auch schnell das Verhalten der Arbeiter. Sehr bald war die Bewegung derart mächtig, dass sich kein Gebietsverantwortlicher mehr mit ihnen anzulegen wagte. Dadurch entstand ein starkes Selbstbewusstsein der Arbeiter. Es formierten sich "Gebietsstreikkomitees", in denen die weitere politische Linie und Strategie ausgehandelt wurde, sich gegen den Partei- und Verwaltungsapparat zu wehren. Ziel war die eigene Verwaltung der Kohlegruben.
Die Verwaltung der Kohlegruben funktionierte tatsächlich nicht. Tonnen Von Kohle wurden zwar abgebaut aber nicht mehr abtransportiert. Für die Bergarbeiter aber war es schwer möglich genug Kohle für den Winter zu bekommen.
2.3 Wahrnehmungsverzerrer:
Eine sehr große Wirkung auf die Menschen in diesem politischen System zeigte das sie die Lehre eingetrichtert bekamen die ihnen in Fleisch und Blut über ging.
Ähnlich, wie Liebe blind macht, wirkt sich auch dieses bedingungslose Annehmen dieses System aus. So war z.B. für die Schwächen der sowjetischen Wirtschaft laut damaligen KGB-Chefs Krjutschkow die Intrigen ausländischer Investoren und fremde Geheimdienste verantwortlich. Anstatt das marode System zu überdenken und Verbesserungen zu finden, vergrößerte man einfach den Geheimdienst.
Auch die Reaktion des Vorgängers von Gorbatschow Andropow: "Unser System funktioniert. Es ist nur an manchen Stellen reperaturbedürftig. Missstände, Missernten, Lebensmittelknappheit und schlechte Konsumgüter gibt es vor allem deshalb, weil die Normen Lenins nicht exakt eingehalten werden."
Der tiefe Glauben daran, dass man die Wahrheit vertritt und der Sozialismus in dieser Form der einzige Weg zum Ziel ist, verhinderte eine rechtzeitige Korrektur. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenem politischem System war kaum möglich. Es gab keine Fähigkeit zur Konfliktregelung. Erst zu Zeiten Gorbatschows gab es diese Konfliktregelung, dann wurde das System gesprengt.
2.4 Politisches System und Reformierbarkeit:
Die Strukturen dieses politischen Systems waren so ungeeignet das man sie erfolgreich reformieren hätte können. Gorbatschow sprach sich für eine politische Reform aus bei der dem Parteimonopol die Legislative, Exekutive und Gerichtsbarkeit entzogen werden sollte.
Aber diese Reform hätte nie durchgeführt werden können. Die Partei verfügte über einen gewaltigen Machtapparat, beherrschte und leitete alle und alles. Es gab keine Kraft die ihr entgegenwirken konnte. Tatsächlich waren KGB, Massenmedien, Gewerkschaften und Verbände dafür da der Partei Beistand zu leisten und sie in ihrem tun zu unterstützen, nicht um Missstände aufzudecken oder Diskussionen anzufangen.
Wenn die Partei also einen einmal eingeschlagenen Weg genau umdreht, so verliert sie ihre Glaubwürdigkeit. Die gesamte Basis würde zusammenstürzen. Daher wird die Basis solange wie möglich aufrecht erhalten und stürzt dann umso mehr ab wenn dieser Richtungswechsel zwingend erforderlich ist. Außerdem ist klar das sich die Herrschenden den zahlreichen Privilegien nicht entziehen wollten und daher von sich aus keine Änderung vornehmen wollten. Sie hatten Angst um ihr Geld und ihren Arbeitsplatz.
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