Die Imperialismus-Theorie steht in engem Zusammenhang mit der Negation des Kapitalismus, da die Herrschaft des Kapitals erst eine Ausbeutung der Dritten Welt ermöglicht, beziehungsweise für die westlichen Industrienationen notwendig macht. Nur durch weitere, kostengünstige Arbeitskräfte, welche
in großer Zahl in Afrika, Asien und Lateinamerika zur Verfügung stehen, ist eine weitere Akkumulation des Kapitals möglich, was schließlich auch Ziel des Kapitalismus ist.
Die RAF berief sich bei ihrer Imperialismus-Theorie hauptsächlich auf Lenin, Marx und Mao Tse-tung. Es wird in diesem ideologischen Ansatz darauf abgehoben, daß die ehemaligen Kolonien zwar alle ihre politische Unabhängigkeit erreicht hätten, jedoch jetzt der Neokolonialismus in Form der
Ökonomischen Ausbeutung an dessen Stelle getreten sei. Folge hieraus sei auch, daß in besagten Ländern meist eine, durch die Imperialismusstaaten initiierte, Militärdiktatur herrscht, die möglichen Reformismus mit gewalttätigen Mitteln niederschlagen würde. Den Zeitbezug hierbei bieten die Debatten über den Neokolonialismus im Anschluss an die formale Unabhängigkeit vieler ehemaliger Kolonien. Seine theoretischen Verfechter wie Paul A. Baran und Johan Galtung argumentierten, dass die neuen einheimischen Regierungen mit dem ausländischen Kapital zur Wahrung und finanziellen Ausnutzung ihrer Machtposition gemeinsame Sache machten und sich damit gegen die Interessen ihrer Bevölkerung stellten. Die Unabhängigkeit sei " [...] deshalb nur ein Schein und sie werde so lange nicht erreicht, wie die Ausbeutung durch das internationale Kapital andauere". Die RAF sah sich auch in großem Maße als solidarisch mit den Widerstandsbewegungen in Lateinamerika, Asien und Afrika. Sie war im strategischen Sinn sogar nach deren Guerillataktik aufgebaut und agierte auch so. In dem Grundsatzpapier \"Die Aktion des Schwarzen September in München Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes\" schreibt Ulrike Meinhof: \"Die Genossen vom Schwarzen September haben ihren eigenen Schwarzen September 1970 - als die jordanische Armee über 20000 Palästinenser hingemetzelt hat, dahin zurückgetragen, wo
Dieses Massaker ursprünglich ausgeheckt worden ist: Westdeutschland - früher Nazideutschland - jetzt imperialistisches Zentrum. [...] dahin, wo der Springerkonzern Israels Blitzkrieg im Juni 1967 als antikommunistische Orgie gefeiert hat [...] Dahin, von wo aus der Imperialismus - wenn anders er
Die arabischen Befreiungsbewegungen nicht zur Unterwerfung erpressen kann - seine Bombengeschwader gegen sie starten wird: Westdeutschland - München - NATO-Flughafen Fürstenfeldbruck [...] Vietnam ist die grauenhafte Erfahrung der Dritten Welt, daß der Imperialismus entschlossen ist, Völkermord an ihnen zu begehen, wenn nichts mehr bei ihnen herauszuholen ist - sie als Markt, als Militärbasis, als Rohstofflieferant, als Lieferant von billigen Arbeitskräften nicht mehr mitmachen [...]\" Die RAF erkannte also ein Bündnis der westlichen Industrienationen gegen die Dritte Welt, mit den USA als Anführer. Der BRD unterstellten sie das imperialistische Zentrum Europas zu sein, im Hinblick auf ihre starke politische und wirtschaftliche Verflechtung mit den USA sowie ihrer Handelskontakte mit Ländern der Dritten Welt. Zur Beseitigung des Imperialismus sei Solidarisierung mit den Befreiungsarmeen in den unterdrückten Ländern notwendig, wie sie das Konzept der Stadtguerilla erwähnt. Im Rahmen um die Diskussion des antiimperialistischen Kampfes tauchte oftmals der Terminus des \"als interessiert unterstellten Dritten\" auf. Nach der Ideologie der RAF handelt es sich hierbei zum einen um
die neuen Regierungen der Dritten Welt, zum anderen um die neue Linke in der Bundesrepublik Deutschland. Durch die Solidarisierung mit den Befreiungskämpfern jener Länder gegen ihre kleptokratischen Regierungen und die imperialistischen Aggressoren der westlichen Welt, sah die Terrorgruppe ihre eigenen Anschläge auf dem Boden der BRD als gerechtfertigt an, da sie sowohl im Sinne der unterdrückten Bevölkerung der Dritten Welt, als auch im Sinne des bundesrepublikanischen Proletariats geschehen waren. Dieses entsprach auch den Theorien von Mao Tse-tung und Che Guevara, welche die weltweite Auflehnung des Proletariats gegen die imperialistische Aggression propagierten.
Mit den USA als treibende Kraft und Vorreiter des westlichen Imperialismus waren auch die Ziele der linksterroristischen Anschläge klar vorgegeben: sämtliche US-amerikanische Einrichtungen auf dem Boden der BRD. Die Spur des terroristischen Kampfes gegen den Aggressor USA zog sich fortan durch
die Geschichte der RAF, beginnend mit dem Bombenattentat auf das Hauptquartier des V. Corps der US-Armee in Frankfurt am 11. Mai 1972, über das Autobombenattentat auf das Heidelberger Hauptquartier der US-Landstreitkräfte am 24. Mai 1972 bis hin zum Anschlag auf die
US-Airbase in Frankfurt am 08. August 1986. Weitere antiimperialistische Ziele der Aktionen waren Vertreter der Militärmacht der USA sowie Einrichtungen und Personen des westlichen Militärpaktes der NATO.
Wie in der Einleitung erwähnt, ist dieses Feld sehr umfangreich und theoretisch komplex. Auch waren sich die ideologischen Köpfe der Vereinigung - Ulrike Meinhof und Horst Mahler - über wesentliche Teile der Ideologie der RAF uneins, wie dies aus den neuen Analysen zum Terrorismus hervorgeht. Dieses Spannungsverhältnis über die ideologische und strategische Vorgehensweise hat schließlich zum Ausschluß von Horst Mahler aus der Gruppierung geführt. Mahler bemerkte, daß \" [...] die ideologische Grundlage [...] die Leninsche Imperialismus-Theorie in ihrer Zuspitzung auf die Situation in den 60er Jahren [...]\" war. Er führte weiter aus, daß die \" [...] Befreiungskriege der Völker der sog. Dritten Welt [...] als die moderne Erscheinungsform des Klassenkrieges zwischen Kapital und Arbeit [...] \" gesehen wurden und berief sich hierbei auf
Lenins Schrift \"Staat und Revolution, die in diesem \"[...] Kontext [...] zu lesen [...]\" sei. Die Theorie vom faschistoiden Staat teilte Mahler damit nicht. Er ging sogar noch weiter, indem er behauptete, die RAF sei selbst faschistisch. Ein Vorwurf, der so abwegig gar nicht erscheint: "Ein wesentlicher Grund zur Revolte der 68er war der Kampf gegen die Naziväter. Die Opfer der Nazis waren die Juden. Und dann gehen die Kinder zur Al Fatah, deren Religion darin bestand, die Juden ins Meer zu treiben und die Überlebenden auszurotten. Das
ist die schändlichste Niedrigkeit der RAF". Baader zeigt mit seinen kritischen Worten zugleich auf, wie weit sich die RAF von ihren Ursprüngen in der Apo entfernt hatte.
Aktuelle Publikationen wie "Der Baader-Meinhof-Komplex" von Stefan Aust verweisen berechtigterweise auf ein bedeutendes Realitätsdefizit in der Ideologie der RAF. Es bestand darin mit bislang unbekannter Rigorosität einen Kampf gegen ein politisches System zu führen und aufrechtzuerhalten, das hauptsächlich in den Köpfen der Terroristen existierte, aber mit der Realität nur ansatzweise zu tun hatte. Noch atemberaubender muss erscheinen, dass die RAF die Hilfe von Kräften annahm, die sie selbst in ihrer Ideologie befeindete. Dieser Umstand tat der Glaubwürdigkeit der Gruppe auch in den eigenen Reihen empfindlich Abbruch, wie das Beispiel Mahler zeigt.
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