Ein bedeutender Faktor für die Begründung der APO und somit auch der RAF ist die Theorie vom faschistoiden Staat. Eine Reflexion über die jüngere deutsche Vergangenheit hatte bereits Ende der fünfziger Jahre eingesetzt. Die jungen, politisch interessierten Menschen fragten sich: Welche Rolle in
der NS-Diktatur haben meine Eltern, Verwandten und Bekannten gespielt, wo sind die damals beteiligten Personen jetzt? Nehmen sie vielleicht noch immer politische und gesellschaftliche Führungsaufgaben wahr?
Die Vermutung, in einem mehr und mehr zum Faschismus neigenden Land zu leben, wurde durch die Notstandsgesetze - mit der Einschränkung von Grundrechten -, das harte Vorgehen der Staatlichen Macht gegen die Protestbewegungen und nicht zuletzt durch die ähnliche Reaktionen aus dem Ausland bestärkt. Es war ein Ziel der RAF durch Gewaltaktionen den als faschistisch diffamierten Staat zu entlarven, um damit revolutionäres Bewusstsein bei der Bevölkerung zu erzeugen. Die RAF schien jedoch genau das Gegenteil zu erreichen. Mit Zunahme ihrer Gewaltaktionen konnte sich die Staatsgewalt immer stärker in weiten Teilen der Bevölkerung als Hüterin der freiheitlich-demokratischen Grundordnung profilieren, womit er den Faschismusverdacht zerstreuen konnte. Denn eben sein konsequentes Eintreten für die Demokratie und gegen politischen Terror ließ sich nicht mit faschistischen Diktaturen verbinden, obgleich der Staat den Bogen seiner im Grundgesetz umgrenzten Möglichkeiten nicht selten überspannte.
In enger Verbindung zur Faschismustheorie steht die Kampfansage gegen den Vietnam-Krieg. Hier wurde eine Verbindung zum zweiten Weltkrieg hergestellt, welchen die damalige Generation nicht zu verhindern wußte. Es stand fest, daß die Geschichte sich nicht wiederholen dürfte und dieser eskalierende Krieg mit allen Mitteln bekämpft werden mußte. Ferner wurde ein faschistischer Komplott der westlichen Industrienationen, an der Spitze die Vereinigten Staaten von Amerika, gegen die Dritte Welt angenommen. Dieser Umstand sollte den Vietnam-Krieg erst möglich gemacht haben.
Einen weiteren ideologischen und strategischen Ansatzpunkt bot die Faschismustheorie noch dazu: Ziel der RAF war das Heraufbeschwören der staatlichen Gegengewalt, verursacht durch gezielte Anschläge, da man vermutete, hierdurch die Akzeptanz und Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen und schließlich den antiimperialistischen Kampf gemeinsam zu führen: \"das ist die Dialektik der Strategie des antiimperialistsichen Kampfes: daß durch die defensive die Reaktion des Systems, die Eskalation der Konterrevolution, die Umwandlung des politischen Ausnahmezustandes in den militärischen Ausnahmezustand der feind sich kenntlich macht, sichtbar - und so, durch seinen eigenen Terror, die Massen gegen sich aufbringt, die Widersprüche verschärft, den revolutionären Kampf zwingend macht.\" Die Faschismustheorie erlangt ihren Höhepunkt nach der Ergreifung des Führungskaders Baader, Raspe, Ensslin und Meinhof 1972 und der anschließenden Haft in Stuttgart-Stammheim. Demnach zeigte der Staat jetzt, da er der Haupttäter habhaft geworden war, sein wahres, faschistisches Gesicht, durch die sogenannte Isolationsfolter und den toten Trakt. Die gefangengenommenen Führungskader der RAF erlebten eine strenge Einzelhaft, zum einen getrennt untereinander und zum anderen von den übrigen Häftlingen. In einer Notiz stellt Ulrike Meinhof zu ihren Haftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf fest: \"der politische Begriff für den toten Trakt, Köln, sage ich ganz klar - ist: Das Gas [...] Meine Auschwitzphantasien darin waren realistisch\" In gerade neurotischer unterstellte die RAF nun jeder Aktion der Staatsgewalt gegen sie faschistische Motive.
Mit der Theorie vom faschistoiden Staat und der jetzigen zur Passivität verurteilten Situation der Führungspersonen in der Haft erkannte die RAF als eine neue Legitimation für ihr gewalttätiges Handeln sich selbst. Die Täter thematisierten sich verstärkt als Opfer eines "unmenschlichen" Systems.
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