Zu Beginn des Krieges wurden die meisten europäischen Länder von einer Woge nationaler Euphorie und Kriegsbegeisterung erfasst. Besonders in Deutschland verfiel nicht nur die breite Masse der Bevölkerung in einen für den heutigen Betrachter nur schwer nachvollziehbaren "Hurra-Patriotismus", sondern auch die große Mehrheit der geistigen Führungsschichten des Deutschen Kaiserreiches, sowohl Hochschulprofessoren und Vertreter der Kirchen als auch Publizisten und Schriftsteller. Sie alle begrüßten - von wenigen Ausnahmen abgesehen - den Krieg als "sittlichen Erzieher der Nation", als "Gewitterregen", dessen vermeintlich reinigende Kraft nicht nur eine geistig-kulturelle Erneuerung des deutschen Volkes bewirken würde, sondern auch die innenpolitischen Spannungen des Kaiserreiches ein für alle Mal beseitigen sollte. Und im August 1914 schienen all diese Hoffnungen auch Wirklichkeit zu werden: im Rausch nationaler Aufbruchsstimmung strömten Tausende und Abertausende zu den Meldestellen der Regimenter, im Reichstag beendeten die Parteien ihre Zwistigkeiten und schlossen einen Burgfrieden, in dem sie einander feierlich versprachen, für die Dauer des Krieges auf jede öffentliche Opposition untereinander und gegen die Reichsregierung zu verzichten, um die Einheit der Nation nicht zu gefährden. Selbst die einst vom Kaiser als "vaterlandslose Gesellen" verunglimpften, eigentlich international ausgerichteten Sozialdemokraten stimmten im Parlament geschlossen für eine Bewilligung der Kriegskredite und erklärten, sie ließen "in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich". Kaiser Wilhelm II. traf die Seelenlage der im Einheitsrausch befindlichen Nation, als er am 4. August verkündete: "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!"
Ähnliches geschah in Frankreich mit der Bildung der Union Sacrée aller Parteien unter Ministerpräsident Raymond Poincaré. Nur die Sozialisten Russlands und anfangs auch Englands hielten an den Ideen der Zweiten Internationalen fest, nach denen sich die sozialistischen Parteien aller Staaten geschlossen einem Krieg widersetzen sollten.
Dieser einmütigen Geschlossenheit, mit der die Völker hinter ihren Regierungen standen, machte im Verlauf des Krieges zunehmend Ernüchterung und Protesten Platz. Die unerwartet lange Dauer des Krieges mit seinen starken finanziellen Belastungen, der wachsenden Inflation und der Rationierung von Lebensmitteln (besonders bei den von der britischen Blockade betroffenen Mittelmächten) ließ in den meisten Ländern die von der Kriegseuphorie nur vordergründig überdeckten inneren Spannungen wieder hervorbrechen. Die Ausweitung der Rüstungsproduktion sowie die Versorgung von Soldaten und Zivilbevölkerung führten in den meisten Staaten zu einer staatlich gelenkten Kriegswirtschaft, die die Freiheit von Unternehmern und Arbeiterschaft mehr und mehr einengte und spätestens seit 1916/17 immer wieder zu inneren Krisen, Massenprotesten und Streiks führte. Wurden trotz teilweise diktaturähnlicher Maßnahmen in Frankreich (unter Clemenceau) und Großbritannien (unter Lloyd George) die bereits bestehenden demokratischen Regierungssysteme bestätigt, so haben in keinem der europäischen Kaiserreiche die alten Verfassungsstrukturen den Krieg überdauert. Aufgrund der physischen und psychischen Strapazen des Krieges wurden immer größere Teile der Bevölkerung von Kriegsmüdigkeit und politischer Unzufriedenheit erfasst, die in einen Ruf nach Abkehr von den weit gesteckten Kriegszielen, nach sofortiger Beendigung des Krieges und inneren Reformen der gesellschaftlichen Verhältnisse mündete. Doch auch zögerliche, letztlich nur zur Stärkung der Kriegsmoral unternommene Versuche einer "Reform von oben", wie sie Wilhelm II. ankündigte (Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen zugunsten freier und gleicher Wahlen), wurden im Verlauf der letzten beiden Kriegsjahre von den politischen Revolutionen in Russland, Deutschland (Novemberrevolution) und Österreich-Ungarn überrollt.
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