Quelle: Mehrere Seiten und Interviews aus dem "Infrarot" Nr. 108.
Mirjam Haldimann, 22.3.1998
Gerda Rodel wurde 1915 in Mähren geboren. Sie wuchs in Wien auf, als ältere der zwei Töchter einer arbeitslosen und jüdischen Familie. Als junge Frau ernährte Gerda ihre Familie, da sie als einzige eine Stelle hatte. Schon damals versuchte sie die Leute, besonders die jungen Frauen, von der Gleichstellung zu überzeugen. Als 1938 die Nazis in Österreich einmarschierten und sich das Land dem Deutschen Reich anschloss, floh sie nach Paris. Dort sollte sie alles vorbereiten, damit ihre Familie nachreisen konnte, die zusammen mit den anderen Verwandten wieder in Mähren wohnte. Dort waren sie jedoch nicht mehr sicher. Die ganze Verwandtschaft kam in Auschwitz um.
Gerda blieb zwei Jahre in Paris, wo sie in organisierten Widerstandsgruppen tätig war. Als die Nazis auch dort auftauchten, flüchtete sie nach Südfrankreich. Dort lebte sie mit etwa sechs anderen jungen Leuten auf einem verlassenen Bauernhof, wo sie gemeinsam arbeiteten und Flüchtlingen aus dem Norden halfen. Als der Winter einbrach, überlegten sich die Jungen, wo sie ihren Widerstand fortsetzen wollten. Gerda sollte in die Schweiz fliehen und von dort aus Flüchtlingen über die Grenze helfen. Beim zweiten Versuch glückte es ihr, dank einem Hirten, der ihr einen Schleichweg zeigte, über die grüne Grenze in die Schweiz zu gelangen. Sie konnte sich bis nach Zürich durchschlagen, wo sie bei einer Genossin untertauchen konnte. Von dort aus schickte sie die Beschreibung ihrer Fluchtroute nach Südfrankreich, damit andere denselben Weg gehen konnten.
Etwa ein Jahr lang konnte die junge Frau bei verschiedenen GenossInnen wohnen und Flüchtlinge in die Schweiz schleusen. Dann wurde sie eines Nachts von der Polizei aufgegriffen und kam für ein Jahr ins Gefängnis. Danach wurde sie auf Lebzeiten ausgewiesen. Der Vollzug wurde jedoch aufgeschoben, und Gerda kam in ein Flüchtlingslager. Nachdem sie zwei Jahre dort verbracht hatte, gelangte sie als Dienstmädchen nach Arbon zum Redaktor der Thurgauer Arbeiterzeitung (AZ) Ernst Rodel. Zwischen den beiden entwickelte sich ein Verhältnis.
Nach dem Krieg kehrte sie nach Wien zurück, um beim Wiederaufbau zu helfen. Da sie immer noch Antisemitismus spürte und sich überflüssig vorkam, verlor sie bald ihre Illusion von der klassenlosen und freien Nachkriegszeit. Sie heiratete noch in Wien ihren Freund Ernst Rodel, damit sie wieder in die Schweiz einreisen konnte. Zuerst arbeitete sie als Hausfrau, dann als Stellvertreterin ihres Mannes bei der AZ, wo sie viel verändern wollte. Später konzentrierte sie sich ganz auf den Journalismus und schrieb viel für Frauen. Ihr Mann und sie trennten sich, weil er ihre feministischen Ideen nicht dulden konnte und fand, ihr Platz sei im Haushalt.
Gerda Rodel starb am 3. Februar 1998 in Arbon.
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