4.1 Die Lausanner Anleihe
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Gleich nachdem Dollfuß Bundeskanzler geworden war, unterzeichnete er im Zuge einiger Versuche wirtschaftlicher Sanierung den Vertrag von Lausanne, der für Österreich eine neue Völkerbundanleihe in Höhe von 300 Millionen Schilling mit einer Laufzeit von 20 Jahren. Österreich verzichtete für diese Zeit auf den Anschluss an und auf eine Zollunion mit Deutschland. Der Vertrag wurde im Nationalrat auf Grund heftigster Opposition der Sozialdemokraten und der Großdeutschen nur mit einer extrem knappen Mehrheit von 82:80 Stimmen angenommen. Durch diese Abkehr von der großdeutschen Ideologie wurde die Selbständigkeit Österreichs noch stärker betont, vor allem im Kampf gegen den Nationalsozialismus, der, als von außen gelenkte Bewegung, zu einem neuen, sehr aktiven Gegner heranwuchs.
4.2 Die allmähliche Übernahme der staatlichen Machtmittel
Dollfuß bildete innerhalb von 10 Tagen ein antisozialistisches Kabinett. Dieses bestand aus der Christlichsozialen Partei, dem Bauernbund und der Heimwehr. Die Großdeutschen machten durch übertriebene Forderungen an Regierungsposten Probleme, die Sozialdemokratie, die größte Partei des Landes wurde von Dollfuß natürlich nicht einmal eingeladen. Schließlich wurde er von der Heimwehr gegen seine Überzeugung dazu gezwungen, das Unterrichtsministerium einem Mann zu überlassen, dem er persönlich mißtraute - dem verschlagenen Doktor Anton Rintelen, dem Landeshauptmann der Steiermark, der später im Juliputsch noch eine wichtige Rolle übernehmen sollte.
Im Herbst 1932 zeichnete sich der neue Weg des Bundeskanzlers durch die Anwendung des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes anläßlich der Creditanstalt - Krise bereits deutlich ab. Österreich drohte die Gefahr einer permanenten Ausnahmegesetzgebung.
Der österreichische Regierungschef musste sich mit heftigen Angriffen des deutschen Reichs auseinandersetzen; seit Hitlers Machtübernahme versuchten die Nationalsozialisten in Österreich massiv an Macht zu gewinnen und bekämpften Dollfuß hartnäckig.
So kühlten die Beziehungen zu Deutschland weiter ab, die Verbindungen zu Italien vertieften sich hingegen.
4.3 Die Ausschaltung des Nationalrates
Die parlamentarische Regierungsform kam in Österreich am 4.März 1933 zu einem jähen Ende, als ein sozialdemokratischer Abgeordneter, einem menschlichen Bedürfnis folgend, einen Parteigenossen ersuchte, an seiner Stelle den Stimmzettel abzugeben, während er auf die Toilette ging. Es ist ein trauriger Gedanke, daß sechs Millionen Menschen wegen der Blasenschwäche eines Mannes ihre Freiheit verlieren mussten.
Am 4. März 1933 trat der Nationalrat in einer auf allen Seiten gereizten Stimmung zusammen. Schuld daran war die Hirtenberger Waffenaffaire (Schmuggel von Waffen über österr. Gebiet von Italien nach Ungarn mit Hilfe des österr. Waffenproduzenten Mandl und zu Gunsten der Heimwehr) und ein Streik der Eisenbahner, der auch von den christlichen und nationalen Gewerkschaften unterstützt worden war. Diesen Streik hatte Dollfuß mit Waffengewalt gebrochen.
Bei der zu erwartenden Parlamentsabstimmung ging es um die Amnestierung der Anführer des Streiks. Da einige Mitglieder der Regierungskoalition erkrankt waren, ging der Antrag auf Amnestierung durch.
Wegen des sozialistischen Abgeordneten auf der Toilette kam es zu einem Fehler beim Abstimmungsvorgang (2 Stimmzettel mit dem gleichen Namen) und es wurde eine Wiederholung der Abstimmung verlangt. Der sozialistische 1. Vorsitzende Renner wollte dem nicht zustimmen. Als nun doch eine Wiederholung unumgänglich schien, riet der sozialistische Klub dem Vorsitzenden zurückzutreten (es würde der christlichsoziale Ramek auf den Vorsitz nachrücken, der Vorsitzende sei aber nicht stimmberechtigt und somit die Mehrheit weiter ausgebaut). Letztlich wollte Ramek auch nicht mehr den Vorsitz und auch der 3. Vorsitzende (der Großdeutsche Straffner) trat zurück. Die Sitzung endete im allgemeinen Tumult, ohne ordnungsgemäß geschlossen worden zu sein.
Niemand maß dem Vorfall viel Bedeutung bei - doch Dollfuß sah darin sofort die Möglichkeit, die ihm verhasste Einrichtung loszuwerden und sich so von der irritierenden Kritik Otto Bauers und der Gefahr der Naziforderung nach Neuwahlen zu befreien ohne eine Antinazikoalition mit den Sozialdemokraten eingehen zu müssen.
Es folgten einige streng vertrauliche Besprechungen zwischen Dollfuß und General Vaugoin.
Diesen wurde ein jüdischer Staatsbeamter namens Hecht hinzugezogen.
Dr. Hecht war ein seltsamer Vogel, ein Kasuistiker mit großer juristischer Begabung.
Nachdem er sich mit Dollfuß und ein paar anderen 48 Stunden lang unterredet hatte, teilte man der überraschten österreichischen Bevölkerung am 6.März mit, dass die demokratische Regierungsform zu Ende war und der Kanzler einen unblutigen "kalten Putsch" durchgeführt hatte. Ab sofort regierte Dollfuss durch ein schwer veraltetes, von einem Herrn Dr. Hecht entdeckten, "Kriegsermächtigungsgesetz" aus der Zeit der österreichisch - ungarischen Monarchie, das die kaiserliche Regierung vom Jahr 1916 dazu ermächtigte, in Kriegszeiten gewisse dringende Wirtschaftsangelegenheiten ohne Zustimmung des Parlaments durch Verordnungen zu regeln. Diese mussten jedoch im nachhinein vom Parlament sanktioniert werden. Dieses Gesetz diente während des 1. Weltkrieges zum Regieren ohne Parlament.
Zu einer solchen Sanktion kam es unter Dollfuß aber nie - durch die diktatorische Maiverfassung von 1934 wurde das Parlament schließlich vollkommen beseitigt.
Bundespräsident Miklas unterstützte Dollfuß, indem er Straffner in einem Brief ersuchte, von der Einberufung des Parlamentes abzusehen. Straffner wollte sich seiner Pflicht jedoch nicht entziehen. Für 15. März 1933 rief der 3. Präsident des Nationalrates eine Sitzung ein, doch die Regierung bezeichnete dies sofort als verfassungswidrig und Dollfuß versuchte die Sitzung mit Gewalt zu verhindern - mit Hilfe der Kriminalpolizei die Abgeordneten einfach nicht ins Parlament lies.
Die Sozialdemokratische Partei hatte als Vorbereitung für eine Gegenaktion ihre Parteimitglieder informiert, dass im Falle der Verhaftung eines einzigen Abgeordneten die Straßenbahnen als Signal für den Generalstreik eingestellt werden sollten. Doch Dollfuß, als Meister der Umgehungstaktik tat ihnen diesen Gefallen nicht. Um 2:30 sperrten die Kriminalbeamten den Sitzungssaal, indem sich jedoch bereits eine beschlussfähige Zahl von Abgeordneten versammelt hatte.
Sozialisten und Großdeutsche hatten die Sperre umgangen, indem sie sich schon eine halbe Stunde früher trafen, wobei Straffner das Zusammentreffen angesetzt hatte, um die vorangegangene Sitzung vom 4. März 1933 ordnungsgemäß zu schließen.
Doktor Straffner hielt eine letzte Rede, in der er von einer Behandlung des Vorfalls in der nächsten Sitzung sprach, bei der wieder alle anwesend sein sollten, die aber nie stattfand. Dann gingen die Abgeordneten der Opposition wieder auseinander.
Die Heimwehr unterstützte diesen von Dollfuß und den Klerikalen durchgeführten Staats- streich.
Dollfuß wollte die Sozialisten nachträglich für seinen Plan, angeblich nur gegen die Nazis gerichtet, gewinnen, aber er erhielt keine eindeutige Antwort.
Während der folgenden 14 Monate sollte die Regierung Dollfuß hunderte von Verordnungen unter Berufung auf das Kriegwirtschaftliche Ermächtigungsgesetzes erlassen.
4.4 Maßnahmen gegen die politischen Gegner
Die Regierung erließ ein Verbot gezielt gegen politische Versammlungen und eine willkürliche Vorzensur, betreffend die Presse und öffentliche Ankündigungen. Diese Bestimmungen wurden einseitig gegen die Sozialisten eingesetzt, womit bewiesen wurde, daß die Regierung Dollfuß einen vollkommen unbedeutenden Fehler benutzt hatte, um einen Verfassungsbruch zu ihrem Programm zu machen. Ende März 1933 wurde der Republikanische Schutzbund verboten, am 1. Mai durfte kein Aufmarsch mehr stattfinden.
Vorerst versuchten die Nazis mit Dollfuß einig zu werden, sie verlangten Ministerposten für ihre Leute. Dollfuß lehnte ab. Er erließ am 10. Mai 1933 ein Verbot der Abhaltung von Gemeinde- und Landtagswahlen (Angst vor Gewinnen der Nazis), der deutsche Nazi-Minister Frank wurde, nach einer Anti-Dollfuß-Rede in Graz, des Landes verwiesen. Hitler schlug mit der "1000-Mark- Sperre" zurück (jeder nach Österreich einreisende Deutsche mußte an seinen Staat 1000 Mark abliefern). Dies war praktisch der Todesstoß für die österreichische Tourismusbranche. Es folgten zahlreiche Sprengstoffattentate der Nazis in Österreich. Nachdem im Mai die Kommunistische Partei verboten worden war, wurde im Juni 1933 die NSDAP in Österreich verboten.
Ebenfalls im Mai 1933 erfolgte die Gründung der "Vaterländischen Front", eine auf der Enzyklika Quadragesimo Anno basierende Gesellschaftsordnung, die auf Berufsstände aufgebaut war, durch Dollfuß. Sie hatte das Ziel, alle regierungstreuen Österreicher überparteilich zusammenzufassen. Sie war auf eine berufsständische Ordnung und auf die Betonung der Unabhängigkeit Österreichs ausgerichtet - wandte sich also hauptsächlich gegen die Ideologie des Nationalsozialismus. Zunächst stand sie neben den bisherigen Parteien, trat aber immer stärker in den Vordergrund und wurde schließlich nach Auflösung der Parteien die alleinige Trägerin der politischen Willensbildung (siehe Kapitel 4.6).
Am 26. Mai erfolgte das Verbot der KPÖ.
Die unversöhnliche Feindschaft Hitlers zog sich Dollfuß durch das bald darauf folgende Verbot der österreichischen NSDAP im Juni 1933 zu. Sofort reagierte der deutsche Rundfunk mit Hetzreden und falschen Nachrichten über Österreich.
In der Trabrennplatzrede legte Dollfuß am 11. September 1933 sein zukünftiges Programm fest. Er wandte sich darin gegen Kapitalismus, Liberalismus, Marxismus, Nationalismus und Parteienherrschaft und sprach sich für einen sozialen, christlichen Staat auf ständischer Grundlage unter autoritärer Führung aus.
Im Verlauf des Jahres 1933 - nach der Ausschaltung des Parlaments - erließ Dollfuß mehr als 300 verfassungswidrige und ungesetzliche Verordnungen die sich auf das von Dr. Hecht entdeckte Gesetz stützten (siehe Kapitel 4.3).
Dollfuß gebrauchte es als eine willkommene Waffe im Klassenkampf, um die sozialen Rechte der Lohnempfänger zu schmälern, die Renten der Besitzenden zu erhöhen, um seinen Anhängern unter der Bauernschaft auf Kosten der Arbeiter in den Städten Zuwendungen zu machen, um die Rechte der Geschworenengerichte einzuschränken, die Presse- und Versammlungsfreiheit zu vernichten und das Briefgeheimnis aufzuheben.
4.5 Die Lage spitzt sich zu
Einer autoritären Regierung stand nun nur noch die Sozialdemokratie im Weg.
Diese stützte sich auf eine mächtige Parteiorganisation und auf den Schutzbund, der trotz des Verbotes im März 1933 noch immer illegal weiterbestand.
Doch alle Versuche von sozialdemokratischer Seite (auch auf christlichsozialer Seite durch Leopold Kunschak) durch Leopold Bauer, der autoritären Entwicklung Einhalt zu gebieten, blieben vergeblich. Das Jahr 1934 setzte mit einer verstärkten Terrorwelle der National¬sozialisten ein, die Heimwehr versuchte gleichzeitig, durch die Machtübernahme in einzelnen Bundesländern das autoritäre Regime zu verbreiten.
In diesen Bundesländern brannten die Arbeiter darauf, der Gewalt mit Gewalt zu entgegnen.
Der italienische Unterstaatssekretär Suvich stellte im Namen Mussolinis am 18. Jänner 1934 die Forderung endlich die Sozialdemokratie als letztes Hindernis zur Errichtung eines austro - faschistischen Staates auszuschalten. Er fand damit besonders beim Sicherheitsminister Emil Fey Gehör. Dollfuß verstärkte daraufhin die Provokationen gegen die Sozialdemokraten:
- Entfernung der demokratisch gewählte Führung der Arbeiterkammern.
- Waffensuchaktionen.
- Verhaftung der militärischen Führer des aufgelösten Schutzbundes (u. a. Major A. Eifler und Hauptmann R. Löw).
Der verbotene Schutzbund stand (auf sozialistischer Seite) in ständiger Alarmbereitschaft.
Die Partei selbst nahm eine abwartende Haltung ein. Sie veröffentlichte ein Flugblatt (das sofort konfisziert wurde), dass sie das Signal zum allgemeinem Widerstand im ganzen Lande geben würden, wenn die Regierung
- die sozialdemokratische Partei aufgelöst,
- die Gewerkschaftsbewegung verboten,
- die Arbeiterpresse unterdrückt,
- das Wiener Rathaus besetzt oder
- eine "faschistischen Verfassung" eingeführt werden sollte.
Während am 8. Februar das Wiener Parteihaus von bewaffneter Exekutive besetzt wurde, forderten die Heimwehren Tirols nach Einsetzung von Regierungskommissären und Vertrauensmännern der Heimwehr.
Dollfuß begab sich 4 Tage vor dem Putsch - als solchen bezeichnet Gedye die Vorkommnisse des 12. Februars - nach Budapest und erhielt dort durch Suvich seine letzten Anweisungen durch Mussolini. Am Samstag, den 10. Februar kam er nach Wien zurück und hielt eine letzte Unterredung mit Fey.
Am Sonntag, dem letzten Tag vor dem Beginn der Kämpfe, hielt Fey eine Ansprache bei einer Heimwehrkundgebung - "Ich habe mit Dollfuß gesprochen und kann euch nun mit Gewissheit sagen, dass er unser Mann ist. Morgen schon werden wir mit dem Aufräumen beginnen und wir werden ganze Arbeit leisten."
Als letzte Vorbereitung "beraubte" Fey Karl Seitz auf vollkommen ungesetzliche Weise der Kontrolle über die Polizei, die dieser als Bürgermeister und Landeshauptmann Wiens innegehabt hatte und ersetzte ihn durch einen Sicherheitskommissär.
Alle diese Umstände, von der Ausschaltung des Parlamentes an, gaben den sozial¬demokratischen Aktionen vom 12. Februar 1934 eine Art Aktivlegitimation, die österreichische Bundesverfassung verteidigt zu haben.
4.6 Der Bürgerkrieg
Der Regierung Dollfuß genügte nicht nur die Tatsache des formellen Verbotes des Republikanischen Schutzbundes, sondern sie wollte diese im Untergrund weiter existierende Organisation endgültig vernichten.
In allen sozialistischen Zentralen wurden überfallsartig Razzien zur Waffensuche angesetzt. Am 12. Februar 1934, bei einer solchen Durchsuchung, im Hotel Schiff, dem Sitz der Linzer Parteizentrale, gaben die lokalen Sozialisten unter R. Bernaschek nicht mehr nach, verbarrikadierten sich und es kam zu einem heftigen Schußwechsel.
Es war geschehen, worauf die Regierung Dollfuß' gewartet und gerechnet hatte.
- bewaffneter Widerstand
Der Bürgerkrieg in Österreich hatte begonnen.
In ganz Österreich wurde durch die Sozialdemokraten der Generalstreik ausgerufen.
Wiens Bürgermeister Seitz wurde, als er das Rathaus nicht verlassen wollte, zusammen mit allen sozialdemokratischen Gemeinderäten, die Heimwehr und Polizei fassen konnten, ins Gefängnis geworfen.
Die Kämpfe weiteten sich auf die Zentren der Arbeiterschaft in ganz Österreich, insbesondere in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich und Steiermark, aus. Dem Kampf in Linz folgten Aufstände in Wien und anderen Industrie - Orten (Steyr, St. Pölten, Weiz, Eggenberg b. Graz, Kapfenberg, Bruck a. d. Mur, Wörgl usw.). Zentren des mit Artillerieeinsatz niedergekämpften Widerstands in Wien waren Arbeiterheime und Gemeindebauten (Karl-Marx-Hof, Goethe-, Sandleiten-, Reumannhof u. a.), bes. in Floridsdorf (z. B. Schlingerhof).
Die unorganisierte Aufstandsbewegung scheiterte hauptsächlich daran, daß der von der Sozialdemokratischen Partei ausgerufene Generalstreik nicht durchgeführt wurde
Die Schutzbündler kämpften 3 Tage lang ohne Verbindung mit der Außenwelt, auf sich allein gestellt, verbissen, tapfer und hoffnungslos. Die Sozialdemokraten beschränkten sich darauf, sich zu verbarrikatieren und die Gemeindehäuser mit Waffengewalt zu verteidigen.
Am 15. Februar 1934 ging alles zu Ende, die Linke in Österreich war ausgeschaltet. Die Regierungsverbände verzeichneten 105 Tote und 319 Verwundete beim Schutzbund gab es 137 Tote und 399 Verletzte. Durch Standgerichte wurden 21 Schutzbundführer zum Tode verurteilt, 9 Todesurteile wurden vollstreckt (z.B. am Floridsdorfer Feuerwehrkommandant Weissel,). Einige der Spitzen der Sozialisten und des Schutzbundes flüchteten in die Tschechei. Darunter waren J. Deutsch, O. Bauer und R. Bernaschek.
Der Bürgerkrieg, in dem die Gegner der Staatsgewalt als Beschützer der geknechteten Verfassung auftraten, hatte die Sozialisten eher überraschend getroffen. Der Schutzbund war schlecht organisiert. Schon Jahre zuvor hatte der Spitzenfunktionär der Sozialisten und hochdekorierte General des 1. Weltkrieges, Theodor Körner, davor gewarnt, den Schutzbund als pseudomilitärische Truppe einzurichten und hatte zu einer Art Untergrundarmee, die mit Hilfe der Massen der Straße operieren hätte sollen, geraten. Er hatte sich aber in der Parteispitze nicht durchsetzen können.
4.7 Der Ausbau des totalitären Staates und der Vaterländischen Front
Der militärische Sieg der Regierung machte jedoch nicht Dollfuß zum Sieger, sondern Fey, der sich auch sehr bald durch eine billige Propaganda als "Retter Österreichs feiern ließ".
Die Ausschaltung der sozialdemokratischen Bewegung und die Beseitigung des "Roten Wien" brachten Dollfuß jedoch nur einen Pyrrussieg.
Er kostete Dollfuß manche Sympathien, selbst bei eigenen Anhängern.
Außerdem wurde der Weg für den Nationalsozialismus erleichtert.
Nach den Februartagen verstärkten die Nationalsozialisten daher ihre Propaganda:
Flugblattaktionen, Schlägereien und Sprengstoffanschläge beunruhigten die Bevölkerung.
Nachdem Dollfuß die Sozialdemokraten also ausgeschaltet hatte, bemühte er sich Österreich in einen autoritär geführten Staat zu verwandeln, stieß dabei aber weiter auf heftigen innenpolitischen Widerstand.
Alle Organisationen der Sozialisten bis hin zum Konsum wurden liquidiert oder von Kommissaren der Vaterländischen Front besetzt. Die Partei war verboten. Illegal arbeiteten Sozialisten und Gewerkschaften aber im Untergrund weiter.
Außer den illegalen Nationalsozialisten kamen nun illegale Gruppen der Sozialdemokraten, der revolutionären Sozialisten und die nach den Ereignissen vom Februar stark angewachsenen KPÖ hinzu.
Sogar die traditionelle Christlichsoziale Partei mußte ihre Selbstauflösung beschließen und gliederte sich größtenteils in die Vaterländische Front ein.
Der Vaterländischen Front wurde nun voll zum Durchbruch verholfen.
Den Führern der bewaffneten Heimwehr wurde dabei früher schon ein entscheidendes Mitspracherecht eingeräumt. Als Symbol wurde das sogenannte "Kruckenkreuz" gewählt.
Nun glaubte Dollfuß, im Ständestaat für Ruhe und Ordnung gesorgt zu haben. Er ließ am 1. Mai 1934 eine neue Verfassung für Österreich verkünden ("im Namen Gottes, von dem alles Recht ausgeht"). Nicht mehr Parteien sollten den Interessen des Volkes Ausdruck geben, sondern die Berufsstände. Diese hatten aber nur beratende Funktion. Was wirklich zu geschehen hatte, bestimmte nur die Regierung unter dem Bundeskanzlers. Der Bundespräsident sollte nur mehr von den Bürgermeistern des Landes gewählt werden. Bürgermeister konnte nur ein Mitglied der Vaterländischen Front werden. Der Bundespräsident sollte auf Vorschlag der Regierung politische Vertreter in den Staatsrat berufen. Andere Gruppen sollten Mitglieder in einen Kulturrat (Kirchen, Wissenschaft), in einen Bundeswirtschaftsrat (Berufsstände) und in einen Länderrat (Landeshauptmänner) entsenden.
Die Sozialisten wurden zuerst durch Standgerichte, dann mittels politischer Prozesse verfolgt. Sozialisten verloren ihre Posten im öffentlichen Dienst und sogar in der Privatwirtschaft, sie wurden verfemt .
Einige 1000 Funktionäre flüchteten. In Brünn erschien die illegale Arbeiter-Zeitung, die von treuen Mitarbeitern unter höchster Gefahr nach Österreich geschmuggelt wurde. Darunter auch der spätere Bundeskanzler Bruno Kreisky.
Bis zum Sommer verschlechterte sich die Popularität Feys und des Bundeskanzlers, der stets bemüht war sich gegen widerstrebende Kräfte abzusichern, ohne freilich von den Vorbereitungen für den 25. Juli auch nur das geringste zu ahnen.
In den Monaten Mai und Juli setze eine neue nationalsozialistische Terrorwelle ein. Die Regierung traf daraufhin energische Gegenmaßnahmen, die zu zahlreichen Verhaftungen und Einweisungen in das seit 1933 bestehende Anhaltelager Wöllersdorf führten. Es wurde das Bundesgesetz zur Wiedereinführung der Todesstrafe im ordentlichen Verfahren beschlossen.
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