4. Dezember 1944: Der Luftangriff auf Heilbronn
Gegen vier Uhr nachmittags waren von den nordenglischen Flughäfen eine Reihe von viermotorigen Bomberverbänden aufgestiegen und hatten sich zum Einflug auf das Reichsgebiet formiert. Einer der Verbände, die fünfte Bomberflotte, bestehend aus 255 viermotorigen Langstreckenbombern "Lancaster\", hatte als Hauptauftrag die Zerstörung der Stadt Heilbronn und als Nebenziel die Unterbrechung der Bahnlinien in und bei der Stadt.
In den Abendstunden erfolgt ein Luftangriff der britischen Royal Air Force auf Heilbronn. In 37 Minuten werden auf die Stadt und auf den Rangierbahnhof insgesamt 830.500 kg Sprengbomben und 430.300 kg Brand- und Markierungsbomben abgeworfen. Die Altstadt wird durch den entstehenden Feuersturm zu 100 Prozent zerstört, der Vernichtungsgrad in der gesamten Stadt beträgt 62 Prozent. Durch diesen Angriff sterben mehr als 6500 Menschen, die meisten von ihnen ersticken in den Luftschutzkellern.
In den Städtischen Krankenanstalten (Paulinenstraße), die bereits wenige Minuten nach Angriffsbeginn in Flammen stehen, können durch das Pflegepersonal fast alle Patienten gerettet werden. Nur im Bunker der Augenstation verlieren einige Kranke sowie ein Oberpfleger, eine Krankenschwester und eine Hausgehilfin das Leben. Auch in der in der Moltkestraße untergebrachten Kinderklinik fallen 20 Säuglinge und vier Kinderschwestern dem Angriff zum Opfer. Noch in der Nacht flüchten Pflegepersonal und Patienten in die Staatliche Heilanstalt Weinsberg im Weißenhof, wo der Krankenhausbetrieb in beengten Räumlichkeiten und unter schwierigsten Bedingungen weitergeführt wird. Auch die durch den Bombenangriff Verletzten werden in den Weißenhof gebracht.
5. Dezember
Gegen Morgen lässt der Flächenbrand über der Stadt merklich nach. Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, Wehrmacht und auswärtige Helfer aus der Umgebung, aber auch aus Stuttgart, Ludwigsburg, Crailsheim und Pforzheim, geben in den Kasernen Kaffee, Eintopfessen und belegte Brote für die ausgebombte Bevölkerung aus. Sicherheitsdienst und Organisation Todt bahnen notdürftig Gehwege durch die trümmerbedeckten Straßen und bergen die ersten Toten aus den Kellern, die reihenweise auf freie Plätze gelegt werden. Erwachsene und Kinder irren auf der Suche nach Angehörigen verstört durch die Straßen. Gegen Abend lässt die NSDAP-Kreisleitung durch Lautsprecherwagen bekannt geben, die Zahl der Toten betrage bis jetzt 4000, die der vermissten 3000. Niemand schenkt diesen Zahlen Glauben; in der Bevölkerung spricht man von 18.000 bis 25.000 Toten.
6. Dezember
Im \"Köpfer\" wird mit den Aushebungsarbeiten eines Massengrabes für die Todesopfer des 4. Dezember begonnen (dem späteren Ehrenfriedhof). Neben städtischen Mitarbeitern und Polizisten, welche die Toten registrieren und Kleider und Wertsachen sicherstellen, werden dort 40-50 Häftlinge aus dem KZ Neckargartach, in ihrer Mehrzahl sog. Fremdarbeiter, zum Leichentransport eingesetzt. Die Aushebungsarbeiten werden von der Baufirma Koch & Maier zunächst mit einem, später drei Baggern durchgeführt.
Vom 8. Dezember ab wurden die Keller der Innenstadt, soweit sie zugänglich waren und ohne Mühe geöffnet werden konnten, straßenweise durchsucht und die Toten auf Sammelplätzen niedergelegt. Dann wurde den Toten ein Zettel mit Name und Fundort angehängt. In jenem lauen Winter trieb der Westwind den Leichengeruch oft bis in die hintersten Dörfer des Weinsberger Tals.
Von unbekannten Leichen wurde alles, was zur Identifizierung dienen konnte (Haare, Schmuck, Stoffreste usw.), in einer "Identifizierungstasche\" gesammelt. Die Überreste von Verbrannten und Verstümmelten wurden in Sammelsärgen bestattet.
Hunderte verbrannten zu grauer oder papierweißer Asche. Die Herkunft der Asche war oft unbestimmbar, sofern nicht Schlüsselbunde oder ähnliches gefunden wurden, die eine sichere Identifizierung ermöglichten. Andere waren durch die Hitze zur Hälfte ihrer normalen Größe zusammengeschrumpft, andere waren geschmort wie in einem Backofen. Unter der Straßensohle der unteren Turmstraße liegen heute noch einige Tote, die, von der unterirdischen Stadtgrabenmauer zerquetscht, nicht ausgegraben werden können.
Da das Ausmaß der Zerstörung groß war, wurde früher überlegt, die Ruinen Heilbronns als Mahnmal gegen den Krieg stehen zu lassen und im Süden ein neues Heilbronn aufzubauen. Schließlich entschied man sich jedoch für einen Wiederaufbau an alter Stelle. Heute ist Heilbronn mit 120 000 Einwohnern eine moderne Industrie- und Dienstleistungsstadt.
Im Frühjahr 1955 konnte die Zahl der Opfer vom 4. Dezember endgültig auf 6530 festgestellt werden. Darunter befanden sich über 1000 Kinder unter 10 Jahren und 112 Personen über 80 Jahren.
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