Im Januar 1961 übernahm John F. Kennedy von seinem Vorgänger die
Verpflichtung, Indochina auf keinen Fall den Kommunisten zu überlassen. Dabei
setzte er auf ein korruptes Regime, das im Volk verhasst war.
Zwischen 1945 und 1950 wandelte sich die amerikanische Indochinapolitik von einer
Frankreich zuneigenden Neutralität zu einer aktiven Unterstützung der Kolonialmacht
im Kampf gegen den Viet Minh. Der Hauptgrund war die amerikanische
Bedrohungsangst, dass der Kommunismus sich von der Sowjetunion und China
weiter über ganz Asien und darüber hinaus ausbreiten könnte.
Auf diese nun strikte Ablehnung und Bekämpfung des Kommunismus entstand unter
Truman ein weiteres Schlagwort: die Dominotheorie. Sie sagte aus, dass sobald ein
Land in kommunistische Hände fällt, auch das benachbarte Land bald von den
Kommunisten übernommen sein wird. Die Amerikaner hatten Angst, falls Vietnam
kommunistisch würde, ein asiatisches Land nach dem anderen wie im Domino fallen
würde. Die Schreckensvision eines kommunistisch regierten Asiens machten die
Dominotheorie sowohl unter Truman als auch unter den nachfolgenden Präsidenten
Eisenhower, Kennedy, Johnson und Nixon zu einer der Haupttriebfedern für ein
Engagement Amerikas in Vietnam.
Bereits während der Genfer Indochina-Konferenz schaute sich
das amerikanische Außenministerium nach einer geeigneten Person als Anführer
der südvietnamesischen Verwaltung um. Sie sollte
wenn möglich sowohl antikommunistisch als auch antikolonialistisch
eingestellt sein. In Ngo Dinh Diem meinte Außenminister Dulles den richtigen Mann gefunden zu haben. Diem war überzeugter Katholik und Antikommunist und hatte nach seiner Auswanderung nach Amerika Beziehungen zu amerikanischen Regierungsangestellten gepflegt. Diem zog noch während der Indochina-Konferenz auf Drängen von Dulles als Premierminister in die Regierung Südvietnams ein.
Doch bereits Ende Jahr wurde dem amerikanischen Außenministerium bewusst, dass Diems wirkungslose Regierung von Korruption beherrscht wurde. Daraufhin gelang es Diem jedoch überraschenderweise und zur Begeisterung Washingtons, die beiden Sekten Cao Dai und Hoa Hoa zu neutralisieren. Die beiden Sekten hatten in Vietnam als mafiaähnliche Gruppierungen bis anhin grossen Einfluss. Fünf Monate später ließ sich Diem durch eine manipulierte Wahl zum Präsidenten der Republik Vietnam (RVN) wählen. Es gelang ihm danach mit Hilfe der USA die in Genf beschlossenen Wahlen in Vietnam zu verhindern.
Zu dieser Zeit gelangte der militärische und wirtschaftliche Aufbau Südvietnams
durch die Unterstützung der USA (nation building) in eine neue Phase. Amerika
gewährte der südvietnamesischen Regierung zwischen 1955 und 1961 neben 500
Millionen Dollar Militärhilfe 1.5 Milliarden Dollar Wirtschaftshilfe. Dieses
Förderprogramm verstärkte jedoch zunehmend die Korruption in der Regierung.
Im März 1960 gründeten alle Gegner der USA und Diems zusammen die NLF
(National Liberation Front). Darin vertreten waren der Viet Minh, Buddhisten die
beiden einflussreichen Sekten und vereinzelt auch Katholiken. Von Diem wurde die
Befreiungsfront Vietcong (vietnamesische Kommunisten) genannt. Die amerikanischen Soldaten nannten sie später Charlie. In der Folge ging die NLF auch
zunehmend aggressiver im Süden vor. Die Waffen und Munition wurden über den
legendären \"Ho Chi Minh-Pfad\" durch die entmilitarisierte Zone am 17. Breitengrad
(siehe Kapitel 2.3) geschmuggelt. Dieser Pfad führte vom Norden über Grenzgebiete
und Territorien von Kambodscha und Laos in den Süden. Er wurde während der
folgenden Kriegsjahren dauernd ausgebaut und weiter verzweigt.
Am 20. Januar 1961 zog der neue amerikanische Präsident John F. Kennedy im
Weißen Haus ein. Während seiner Amtsperiode verstrickten sich die USA immer
stärker in das Geschehen in Vietnam.
5.1 Die Außenpolitik von John F. Kennedy
Für Millionen Amerikaner war Kennedy ein Hoffnungsträger. Jung, charmant,
gebildet, voller Tatendrang und Idealismus, so hatte er sich stets in der Öffentlichkeit
präsentiert.
Die \"Neue Grenze\" wurde zum Leitgedanken vor allem der jungen Generation: Kampf gegen Armut, Rassendiskriminierung und Tyrannei, die Eroberung des Weltraums, das alles verhieß Kennedys kraftvolle Rhetorik.
Sich nicht mehr an sein Votum als junger Abgeordneter gegen die Unterstützung der
französischen Kolonialisten erinnernd,setzte Kennedy auf Bewährtes; auf
kompromisslosen Antikommunismus. Er erweiterte diese Taktik jedoch in einem
entscheidenden Punkt: Er machte Südvietnam zur Messlatte amerikanischer
\"Glaubwürdigkeit\" in der Welt. Kennedy verknüpfte sein außenpolitisches
Prestige mit Südvietnam. Und bald gründete sich die Motivation für das
amerikanische Engagement in Südvietnam nicht mehr auf \"nation building\" und Antikommunismus, sondern vorwiegend auf außenpolitisches
Ansehen. In den ersten Monaten seiner Amtszeit wurde der Vietnam zu einem
Brennpunkt des amerikanischen Krisenmanagements.
Zunächst konzentrierte sich die Kennedy-Administration auf Laos. Ein halbes Jahr
zuvor hat hier Prinz Suvanna Phuma eine neue neutralistische Regierung gebildet.
Unter anderem weil die kommunistisch ausgerichtete Partei Pathet Lao in dieser
Regierung beteiligt war, arbeiteten in Amerika die \"Vereinigten Stabschefs\" (JCS) Pläne für eine Militärintervention aus. Das Fiasko der Schweinebucht-Intervention auf Kuba verhinderte jedoch eine weitere Eskalation. Statt Truppen nach Laos zu schicken, bevorzugte der Präsident aus Misstrauen zum JCS und dem CIA eine
Lösung durch Verhandlungen. Daneben startete Kennedy um die gleiche Zeit einen geheimen Untergrundkrieg, bei welchem südvietnamesische Agenten, ausgebildet und bewaffnet durch die CIA, in den Nordvietnam eindrangen, um dort Verkehrsverbindungen, Fabriken und Militäreinrichtungen zu sabotieren.
Trotz aller Aktivität gab es in der US-Regierung unterschiedliche Vorstellungen, wie
der Konflikt beendet werden könnte. Die Armeeführung drängte darauf, Truppen
in den Südvietnam zu entsenden. Zivile Berater waren hingegen für einen geordneten Rückzug. Kennedy wählte einen Mittelweg, der langfristig fatale Folgen haben sollte: Er ordnete an, die Zahl der Militärberater zu erhöhen, die Finanzhilfe aufzustocken und die Waffenlieferungen auszuweiten. Mit diesen Maßnahmen sollte die ARVN (Armee der Republik Südvietnam) verstärkt werden. Dadurch verstrickte er die USA immer tiefer in den Konflikt. Die Zahl der Militärberater stieg in zweieinhalb Jahren von rund 700 auf etwa 16300 Mann. Offiziell sollten die Berater lediglich Südvietnamesen ausbilden, damit diese sich selbst verteidigen können. Tatsächlich griffen US-Soldaten als Piloten in Hubschraubern und Bombern aktiv in das
Kriegsgeschehen ein. Bereits unter Kennedy starben 78 amerikanische Soldaten im
vietnamesischen Dschungel. Schon damals setzten US-Piloten Napalm und
Landminen ein.
Das größte Problem blieben jedoch Diem und dessen Bruder, welche hartnäckig
eine demokratische Reform verweigerten. Das von Vetternwirtschaft und Korruption
bestimmte Regime der beiden Brüder machte es der NLF auch leicht, unzufriedene
Männer und Frauen anzuwerben. Im Januar 1962 rief die Kennedy-Regierung ein
Spezialprogramm zur Bekämpfung der Guerilla ins Leben. Zentraler Punkt war die
Errichtung so genannter Wehrdörfer. Die Bewohner aus gefährdeten Gebieten sollten in befestigte Dörfer umgesiedelt werden. Danach sollte der Aufbau einer
Lokalverwaltung anstehen und ergänzt werden durch gezielte Förderungsprojekte,
welche die Lebensverhältnisse verbessern würden. Dadurch wollte man die \"Herzen
und den Verstand\" der Menschen gewinnen. Das in der Theorie viel versprechende
Modell erwies sich als Fehlschlag. Vor allem die zwangsweise Umsiedlung in diese
Wehrdörfer verstärkte den Hass der Betroffenen auf die Regierung.
Am 11. Juni verbrannt sich der Mönch Quang Duc aus Protest gegen das Diem-Regime auf offener Straße. Die Bilder der Selbstverbrennung gingen um
die Welt. Der Bürgerkrieg im Südvietnam trat in eineneue Phase ein. Nun griff der Widerstand auch auf die Städte über. Auslöser waren Demonstrationen
südvietnamesischer Mönche, welche im Mai 1963 den Geburtstag von Buddha feiern wollten. Diem verbot die Feier jedoch. Nachdem bei Auseinandersetzungen
mit der Polizei die ersten Opfer unter den Demonstranten fielen, schlossen sich den Mönchen Studenten an. Kennedy änderte nun seinen Plan, lehnte ein Angebot von Charles de Gaulle, welcher sich als Vermittler im Vietnam anbot, ab und wechselte auf Konfrontationskurs mit dem Diem-Regime. Der Grund waren das skrupellose Vorgehen gegen die Demonstranten und die Gerüchte, das Diems Bruder Nhu Kontakt zum Nordvietnam aufgenommen hatte.
Im August 1963 stürmten südvietnamesische Spezialeinheiten buddhistische
Tempelanlagen. Nur wenige Tage später kontaktierten sie den CIA und meldeten, sie
wären bereit den Präsidentenpalast zu übernehmen und warteten nur noch auf die
Zusage der USA. Daraufhin zerstritt sich das Kabinett Kennedys über die Frage,
ob sie den Sturz Diems billigen konnten solange kein passender Ersatz in Aussicht
war und überließen die Entscheidung dem Botschafter in Saigon.
Mit ihrem Staatsstreich am ersten November, in welchem Diem und Nhu umkamen,
stürzten die Verschwörer im Südvietnam endgültig ins Chaos. Allein 1964 wurde die
Regierung in Saigon sieben Mal durch gewaltsame Eingriffe der Armee umgebildet.
Nur drei Wochen später fiel auch Kennedy einem Attentat zum Opfer. Es war ihm in
knapp drei Jahren nicht gelungen, die südvietnamesische Regierung so zu
stabilisieren, dass sie den kommunistischen Einflüssen hätte widerstehen können.
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