Den Bestimmungen vom Wienerkongress zufolge, sollte fast ganz Italien
von Öster-reich beherrscht werden. Ihnen gehörte die Lombardei und
Venetien. Der Kirchen-staat, die Toscana, sowie die Herzogtümer Parma
und Modena waren von österreichi-schen Garnisonen besetzt. Italien war
alles andere als eine Nation.
Während des Sturmjahres 1848/49 wollte Piemont an die Spitze der
Nationalbewegung treten, erlitt aber schwere Niederlagen. Italiens
Patrioten hatten erkennen müs-sen, dass die aus eigener Kraft die Macht
Österreichs nicht brechen konnten. Dennoch fand der Einigungsgedanke in
der italienischen Öffentlichkeit immer grösseren an-klang.
Den entscheidenden Durchbruch schaffte schliesslich der
Ministerpräsident des klei-nen Königreiches Piemont-Sardinien, der Graf
Camillo Cavour, der der nationalen Idee mit Mitteln der "Realpolitik",
also durch die Berücksichtigung eigener und frem-der Machtinteressen,
zum Erfolg verhelfen wollte. Cavour wusste, dass er ohne die Hilfe einer
Grossmacht nichts erreichen konnte. Deshalb führte Cavour sein Land in
den Krimkrieg, um die Westmächte zu unterstützen. So gewann er viele
Sympathien, nicht zuletzt die des franösischen Kaisers Napoleon III.
Cavour erhoffte dessen Hilfe gegen Österreich. So einigten sich die
Beiden 1858 und Napoleon versprach Cavour militärischen Beistand, als
Gegenleistung verlangte er die Abtretung Savoyens an Frankreich. Bei
einem Erfolg des Unternehmens plante man einen Bund italienischer
Staaten, der weiterhin auf Frankreichs Schutz angewiesen gewesen wäre.
In einem raschen Feldzug schlugen die vereinigten piemontesischen und
französischen Truppen die österreichische Armee und besetzten die
Lobardei. Doch, bevor der Vor-stoss nach Venetien hinein fortgesetzt
werden konnte, schloss Frankreich nach erst wenigen Kriegswochen einen
Waffenstillstand mit Österreich. Der Grund: Napoleon hatte Angst, dass
bei einer Weiterführung eines siegreichen Krieges gegen Österreich, eine
unaufhaltsame italienische Nationalbewegung entstehen würde, die auch
den Kirchenstaat wegspülen könnte. Doch dazu durfte es nicht kommen,
denn Napoleon war innenpolitisch auf die Unterstützung durch die
Katholische Kirche angewiesen. Au-sserdem befürchtete Napoleon ein
preussisches Eingreifen, zur Unterstützung Öster-reichs. So gab
Österreich zwar die Lombardei ab, behielt jedoch Venetien.
Doch Cavour begünstigte insgeheim mehrere Volksabstimmungen in
Mittelita-lien, die den geplanten Bund ablehnten und direkten Anschluss
an Piemont-Sardinien forderten. Napoleon musste sich mit dem Volkswillen
einverstanden erklären, ver-langte und erhielt aber als zusätzlichen
Preis ausser Savoyen auch noch Nizza. So ver-einigten sich nun ausser
der Lombardei auch noch Parma, Modena, die Toscana und der nördlichste
Teil des Kirchenstaates, die Romagna, anfangs 1860 mit Piemont.
Mit dem bisherigen Ergebnis war nicht nur Cavour unzufrieden. Unter der
Führung Garibaldis formierte sich ein freiwilliges Heer und eroberte in
kurzer Zeit das König-reich Neapel-Sizilien ("Zug der Tausend"). Als
sich die Bevölkerung dieses Gebietes für den Anschluss an Oberitalien
aussprach lenkte Garibaldi ein und plante nun auch noch gegen Rom zu
marschieren. Das hätte aber einen Konflikt mit Frankreich ausgelöst, das
dort immer noch eine Schutztruppe unterhielt. Deshalb liess Cavour
piemon-tische Truppen durch den Kirchenstaat südwärts vorstossen, ohne
aber Rom zu berüh-ren, und verunmöglichte dadurch Garibaldis Angriff auf
die heilige Stadt. Garibaldi war reichlich verärgert und zog sich aus
dem öffentlichen Leben zurück.
1861 entstand in Turin ein gesamtitalienisches Parlament, das Viktor
Emanuel als Kö-nig von Italien bestätigte. Damit hatte Cavour im
wesentlichen sein Ziel erreicht. Der Anschluss Venetiens (1866) und des
Kirchenstaates (1870) schloss die Einigung Italiens ab. Doch das
Bestreben nach unerlösten Gebieten, die ausserhalb der italienischen
Grenzen lagen und italienischsprachige Bevölkerung hatten, dauerte noch
an und richtete sich hauptsächlich gegen Österreich, zu denen Triest und
Südtirol gehörte.
Diese Vorgänge in Italien machten grossen Eindruck auf die europäische
Öffentlich-keit und lösten vor allem in Deutschland neue Diskussionen
der nationalen Frage aus. Das Nationalbewusstsein der Völker in Europa
stieg an. Da sich besonders in Ostmitteleuropa historische Grenzen und
Siedlungsgebiete verschiedener Sprach- und Kul-turgruppen überlagerten
und verzahnten, entstanden häufig Abgrenzungsprobleme und rivalisierende
Gebietsansprüche und damit ein aggressiver Nationalismus zwischen den
Völkern. So zeigt die Vielzahl neuer Staaten, die in Europa bis zum Ende
des 1. Weltkrieges bzw. kurz danach entstanden sind, dass die
europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts entscheidend vom Durchbruch
der Nationalstaatsidee geprägt ist.
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