Seit 1945 haben sich im Westen die Ansichten grundlegend geändert. Es wagt niemand, sich offen zum Rassismus zu bekennen oder ihn mit angeblich wissenschaftlichen Gründen zu verteidigen. Warum? Da ist einmal das Entsetzen vor den Naziverbrechen. Die Europäer fühlen sich in gewisser Weise an den Verbrechen mitschuldig. Es vollzog sich eine beachtliche intellektuelle Revolution. Die Entwicklung der Kommunikationsmittel, das Auftreten neuer, den Unterschieden gerechter werdender Theorien brachten viele Vorurteile zum Verschwinden.
Schließlich darf man die Auswirkungen der antirassistischen Gesetzgebung in vielen Ländern und die Tätigkeit internationaler Organisationen nicht vergessen. Dennoch überlebt ein "traditionalistischer" Antisemitismus. Da ist zum Beispiel einmal der Konflikt zwischen den Israelis und den Arabern, der die Gefahr birgt, daß der Haß weiter geschürt wird und sogar eine rassistische Bedeutung erhält.
Die Lage in Westeuropa ist trotz einiger dunkler Punkte (Schändung jüdischer Friedhöfe, Hakenkreuzschmierereien, Briefbomben usw.) weniger beunruhigend. Gewisse Soziologen sprechen von einer Toleranzschwelle. Das bedeutet solange eine Minderheit zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht, ist sie zu ertragen, jenseits dieser Schwelle nicht mehr. Seit einigen Jahren haben sich Attentate und rassistische Akte vervielfacht: Schlägereien, Angriffe auf Häuser und heftige Kampagnen in der darauf spezialisierten Presse.
Das Fremdarbeiterproblem trifft man in fast allen Ländern Westeuropas an. So stellt der Rassismus, obgleich abgeschwächt, noch immer eine wirkliche Gefahr dar. Der erste Schritt zur Bewältigung dieser Geißel ist der, zu verstehen, welche Ursachen ihr zugrunde lagen, welche Sehnsüchte und Hoffnungen sie in der Vergangenheit erweckte.
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