Die deutsche Regierung, vertreten durch den Reichsminister Dr. Walther Rathenau, und die Regierung der Russischen Sozialistischen Förderativen Sowjetrepublik, vertreten durch Volkskommissar Tschitscherin, sind über nachstehende Bestimmung übereingekommen:
Artikel1. Die beiden Regierungen sind darüber einig, daß de Ausernandersetzung zwischen dem Deutschen Reiche und der Russischen Sozialistischen Förderativen Sowjetrepublik über die Fragen über die Zeit des Kriegszustandes zwischen Deutschland und Russland auf folgender Grundlage geregelt wird:
a) Das Deutsche Reich und die Russische Sozialistische Förderative Sowjetrepublik verzichten gegenseitig auf den Ersatz ihrer Kriegskosten sowie auf den Ersatz der Kriegsschäden, das heißt derjeniger Schäden, die ihnen und ihren Angehörigen in den Kriegsgebieten durch militärische Maßnahmen einschließlich aller im Feindesland vorgenommenen Requisitionen entstanden sind. Desgleichen verzichten beide Teile auf den Ersatz der Zivilschäden, die den Angehörigen eines Teils durch die sogenannten Kriegsausnahmegesetze oder durch Gewaltmaßnahmen staatlicher Organe des anderen Teils verursacht worden sind.
b) Die durch den Kriegszustand betroffenen öffentlichen und privaten Rechtsbeziehungen, einschließlich der Frage der Behandlung der in die Gewalt des anderen Teils geratenen Handelsschiffe, werden nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit geregelt werden.
c) Deutschland und Rußland verzichten gegenseitig auf die Erstattung der beiderseitigen Aufwendungen für Kriegsgefangene. Ebenfalls verzichtet die deutsche Regierung auf Erstattung der von ihr für die in Deutschland internierten Angehörigen der Roten Armee gemachten Aufwendungen. Die russische Regierung verzichtet ihrerseits auf Erstattung des Erlöses aus von Deutschland vorgenommenen Verkäufen des von diesen Internierten nach Deutschland gebrachten Heeresgutes.
Artikel 2. Deutschland verzichtet auf die Ansprüche, die sich aus der bisherigen Anwendung der Gesetze und Maßnahmen derRussischen Sozialistischen Förderativen Sowjetrepublik auf deutsche Reichsangehörige oder ihre Privatrechte sowie auf die Rechte des Deutschen Reiches und der Länder gegen Rußland sowie aus den von der Russischen Sozialistischen Förderativen Sowjetrepublik oder ihren Organen sonst gegn Reichsangehörige oder ihre Privatrechte getroffenen Maßnahmen ergeben, vorausgesetzt, das die Regierung der Russischen Sozialistischen Förderativen Sowjetrepublik auch ähnliche Ansprüche dritter Staaten nicht befriedigt.
Artikel 3. Die diplomatischen und konsularischen Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und der Russischen Sozialistischen Förderativen Sowjetrepublik werden sogleich wieder aufgenommen. Das Zulassen der beiderseitigen Konsuln wird durch ein besonderes Abkommen geregelt werden.
Artikel 4. Die beiden Regierungen sind sich ferner auch darüber einig, daß für die Rechtsstellung der Angehörigen des einen Teils im Gebiete des anderen Teils und für die allgemeine Regelung der beiderseitigen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen der Grundsatz der Meistbegünstigung gelten soll. Der Grundsatz der Meistbegünstigung erstreckt sich nicht auf die Vorrechte und Erleichterungen, die die Russische Sozialistische Förderative Sowjetrepublik einer Sowjetrepublik oder einem solchen Staate gewährt, der früher Bestandteil eines ehemaligen Russischen Reiches war.
Artikel 5. Die beiden Regierungen werden den wirtschaftlichen Bedürfnissen der beiden Länder in wohlwollendem Geiste wechselseitig entgegenkommen. Bei einer Grundsätzlichen Regelungen dieser Frage auf internationaler Basis werden sie in vorherigen Gedankenaustausch eintreten. Die deutsche Regierung erklärt sich bereit, die ihr neuerdings mitgeteilten, von Privatfirmen beabsichtigten Vereinbarungen nach Möglichkeit zu unterstützen und ihre Durchführung zu erleichtern.
Artikel 6. Die Artikel 1b und 4 dieses Vertrages treten mit der Ratifikation, die übrigen Bestimmungen dieses Vertrages treten sofort in Kraft.
Ausgefertigt in doppelter Urschrift in Rapallo am 16. April 1922
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