3.1. Historischer Hintergrund
Tempel gibt es schon seit grauer Vorzeit, eine Entwicklung, wie sie die Architektur in der frühen An¬tike durchlief, wird nur verständlich auf dem Hintergrund der historischen Entwicklung. Dabei lohnt ein Blick auf die verschiedenen Völker in dem Bereich, der später Griechenland heißen sollte.
Im 3.JT. v.Chr. wurde die Basis für die Architektur der folgenden Epochen gelegt: In Troja I (vg. Abbildung 1), sowie auf Lesbos und Samos wurden Reste von \"Megaron\"-Häusern gefunden. Diese Hausform wurde ele¬mentare Grundlage der späteren Tempel.
Auf Kreta hatte sich schon früh eine Hochkultur gebildet. Diese Hochkultur hatte, als die \"Achäer \" und andere Volksstämme noch nomadenhaft umherzogen, bereits gigantische Paläste gebaut. Die Architektur dieser Paläste kontrastiert jedoch stark mit der des Megaron-Hauses. An die Stelle eines freistehenden, klar gegliederten Bauwerks tritt nun ein Labyrinth von Gängen, Räumen und Höfen, aus denen solch ein Palast eine \"ungeahnte, überraschend belebte Lebendigkeit\" bezieht.
Von diesem hohen zivilisatorischen Entwicklungsstand profitieren auch die anderen Völker Grie¬chenlands. Die Achäer besitzen selbst keine \"Kultur\" und können sich durch einen verstärkten Aus¬tausch mit den Minoern äußerst schnell entwickeln, sich neue Fertigkeiten aneignen und die Vorzüge des Fortschritts schätzen lernen. Ab dem 16.JH. v.Chr. bilden sich schließlich mächtige Dynastien in Mittel- und Südgriechenland. Mykene wurde Zentrum der achäischen Konföderation.
Im 12.JH. dringen die \"Dorier\" in Griechenland ein und verdrängen die Achäer, die nur noch Attika, Euböa und Arkadien halten können und z.T. weiter im Osten (auf den Kykladen und in Kleinasien) siedeln. Sie bilden den Stamm der \"Ioner\". Die Stammeszugehörigkeit verliert jedoch zunehmend an Bedeutung, da das politische Konstrukt der Polis Gestalt annimmt. Trotzdem bleiben gewisse Dialekte der Stämme, sowohl in der Sprache als auch in der Kunst erhalten.
3.2. Tempel der Frühzeit
Mit Frühzeit bezeichnen wir in diesem Zusammenhang den Zeitraum seit der Invasion der Dorier bis zum Ende des 8.JH\'s, in dem der \"Beginn der abendländischen monumentalen Kunst\" anzusiedeln ist. Oft wird dieser Zeitraum auch als \"Dunkles Zeitalter\" bezeichnet, denn die Völker sanken in pri¬mitive Lebensformen zurück. Gruben sieht dies als Befreiung von allen kretischen Elementen, die Griechen hätten gewissermaßen ihren Hang zu freistehenden Baukörpern entdeckt. Diese Entwick¬lung hat sich jedoch über einen langen Zeitraum erstreckt, denn außer hufeisen- (bzw. haarnadel-) förmigen Hütten, deren Rückseite eine halbkreisförmige Apsis bildet und deren Form das Vorbild Megaron erkennen läßt, gibt es keinerlei Hinweise auf Neuentwicklungen..
Göttern wurde vor dem 10.JH.v.Chr. vor allem an bestimmten Stellen in der Natur (etwa einem be¬sonders markanten Fels, oder einer Quelle) oder an Ruinen aus der Vorzeit gehuldigt, d.h. immer dort, wo sich das Wesen des jeweiligen Gottes offenbarte oder die Verbindung der Stätte mit einem ggfs. mythisch verklärten Stammesvater oder Heroen hergestellt werden konnte. Ab dem 10.JH.v.Chr. sind Opferaltäre und -gruben belegt, sowie Ummauerungen eines heiligen Bezirks (ê,ãÛäo@ ).
In dieser Zeit entstehen auch die Bauwerke, die wir im Allgemeinen als Tempel bezeichnen: kleine, schreinar¬tige Gebäude, die dem Schutz eines Standbildes (und nicht etwa als Versammlungsraum) dienen oder in deren Mitte ein Opferherd (\"eschara\") installiert ist. Diese Gebäude zeichnen sich durch einen Grundriß aus, der dem eines Megaron ähnelt. Die Grundfläche bildet ein Rechteck, dessen Längssei¬ten über die Stirnseite der \"Cella\" - des Raumes, der das Kultbild beherbergt - hinausragen. Meist sind beide Bereiche überdacht, so daß vor der Cella eine Art Veranda entsteht. Durch Hervorhebung der Stirnseiten der seitlichen Wände (Anten) , sowie durch Hinzufügen einiger (1-2) Stützen (sprich: Säulen) wird diese \"Veranda\" zum \"Pronaos\". Diese Art von Tempel wird \"Antentempel\" genannt und erfreut sich bis in die Spätantike als Grundlage für kleine Tempel (\"naiskos\"), Schatzhäuser (\"thesauros\") und Torbögen (\"propylon\") großer Beliebtheit.
Aus einem Bestreben nach Symmetrie heraus und um die \"allseitige Wirkung\" des Baus zu verstär¬ken, fügt man dem Bauwerk einen rückwärtigen Raum (allerdings ohne eigenen Zugang zur Cella), den opisthodomos, hinzu (= Doppelantentempel). Ist dieser Raum so angelegt, daß er nur von der Cella aus zu erreichen ist, wird er im Allgemeinen \"adyton\" (das Unbetretbare) genannt. Er durfte oft nur von bestimmten Personen zu bestimmten Zeiten betreten werden.
Wird der Eingangsseite des Naos eine Säulenreihe vorgestellt, so entsteht der Grundriß eines Prostylos (meist wird dabei die Verlängerung der Längsseiten vernachlässigt). Beispielhaft für diesen Typus sei ein Tonmodell aus dem Heraion von Argos angeführt, das als frühestes Modell eines solchen Tempels gilt. Dementsprechend nennt man Tempel, deren Front und Rückseite durch eine Säulen¬reihe ergänzt sind, \"Amphiprostylos\" (z.B. der Illissos-Tempel oder der Tempel der Athena Nike).
Der Grundriß, der unser Bild vom antiken Tempel wohl am meisten geprägt hat, ist jedoch der \"Peripteros\", dessen Naos von einem Säulenkranz (Peristasis) umgeben ist. Dieser Säulenkranz ist bis in römische Zeit nur für Tempel belegt. Er unterstreicht als \"reinster Ausdruck sakraler Weihe und Würde\" die vitruvianische \"auctoritas\". Der Säulenkranz bedingt als einheitliches Äußeres eine ge¬wisse Monumentalität und Ruhe, steht jedoch auch im Gegensatz zur soliden Masse des \"Innenlebens\" des Tempels. Schon Dendrup erkennt in dieser Tempelform zwei grundlegende, Würde und Göttlichkeit verkörpernde Objekte integriert: den Baldachin und die Säule. Zusätzlich zu dieser inneren Spannung, betont Scully den Kontrast zwischen Landschaft und Tempel; dennoch seien Landschaft und Tempel als einheitliches Ganzes zu sehen. Die Ebene dieses Zusammenhangs scheint Scully jedoch in einer romantischen Ästhetik zu sehen, nach der ein Tempel dort gebaut wurde, wo er \"schön\" in die Landschaft paßte. Dabei ist es wahrscheinlicher, daß Tempel an Orten gebaut wur¬den, die schon früher Kultstätten des jeweiligen Gottes waren.
Dadurch, daß die unterzubringenden Götterbilder (weniger abstrakt und damit auch) größer wurden, mußten auch neue, größere Tempel gebaut werden. Die ersten großen Tempel sind 100 Fuß lang (ca. 32,8 m) und ca. 6-10 m breit; sie zeichnen sich (im Vergleich zu späteren Proportionen) durch ge¬ringe Wandhöhen und eine kleine Cella aus.
Zusätzlich zu diesen rechteckigen Tempeltypen werden sog. \"Tholoi\" gebaut. Tholoi sind Rundtempel (mit oder ohne Peristasis), die ursprünglich wohl dem Heroenkult dienen und als Umfassung für Op¬fergruben oder Grabhügel gedacht sind.
(Grundrisse: vgl. Abbildung 2)
3.3. Die Ordnungen
Die beiden in Griechenland vorherrschenden Stämme, Dorier und Ioner, versuchen nun, gewisse Normen für den Tempelbau aufzustellen. Dabei werden zwei unterschiedliche Systeme entwickelt: die dorische und die ionische Ordnung. Diese Ordnungen werden häufig mit Dialekten in der Sprache verglichen, sind sie doch jeweils stammestypische Rezeptionen und Berarbeitungen einesThemas.
3.3.1. Die dorische Ordnung
Die dorische Ordnung (Abbildungen 3-8) zeichnet sich durch eine monumentale Klarheit aus, die Vitruv mit der stren¬gen Schönheit des männlichen Körpers vergleicht. Zentren des dorischen Tempelbaus waren Argos und Korinth, wobei in letzterem aufgrund der später entwickelten korinthischen Ordnung kaum dori¬sche Tempel erhalten sind.
Die oberste Kante des Stereobats (des Fundaments), die Euthynterie, stützt die meist dreistufige Krepis (oder Krepidoma), deren letzte Stufe, der Stylobat, die Standfläche des übrigen Baus bildet (vgl. Abbildung 7). Die Cella-Wände stehen auf dem Toichobat, einer zusätzlichen (jedoch äußerst kleinen) Stufe. Der Schaft (Skapos) der Säule steht direkt auf dem Stylobat. Die Säulen, deren Höhe 5-6 untere Säulen¬durchmesser (\"scapus imus\") betragen sollte und deren Durchmesser um 1/4 abnimmt, verfügen meist über 16-20 senkrecht verlaufende Kanneluren , die in den Anuli (bzw. in früher Zeit in einer archai¬schen Blattkranzkehle) abschließen. Zuvor \"passieren\" die Kanneluren den Scamillus (den \"kleinen Graben\"), der sich aus 1-3 Kerben zusammensetzt, die einen waagerechten Ring bilden. Durch diesen Ring wird der Schaft der Säule vom Säulenhals (Hypotrachelion) getrennt. An die Anuli schließt sich der Echinus an, ein \"kreisrunder Wulst\" , der im Laufe der Zeit an Umfang verliert und an Höhe gewinnt, so daß der Eindruck erweckt wird, die Last des Gebälks würde den Echinus kaum belasten. Auf dem Echinus liegt der Abakus auf, eine quadratische Platte, die zwischen Echinus und Architrav, dem schmucklosen Tragbalken, vermitteln soll. Zwischen Architrav und Triglyphenfries ist eine vor¬springende Leiste, Taenia, angebracht, an deren Unterkante jeweils unterhalb der Triglyphen eine kleine Leiste befestigt ist, an der 6 zylindrische Stifte (Guttae) hängen. Über der Taenia befindet sich jeweils über einer Säule und einem intercolumnium (Raum zwischen zwei Säulen) eine Triglyphe, eine rechteckige Platte, in die zwei senkrechte Kerben sowie zwei Halbkerben an den Seiten gemeißelt sind. Zwischen den Triglyphen befinden sich die Metopen (=\"Raum zwischen den Augen\"), rechtec¬kige, meist bemalte oder skulpturierte Platten. Metopen und Triglyphen bilden das Triglyphon, den Fries. Seit dem Hellenismus gilt die Regel, daß die Frieshöhe 5/8 der Gesamthöhe des Gebälks betra¬gen solle. Jeweils über einer Triglyphe oder einer Metope ist, der Dachneigung folgend, ein Mutulus, d.i. eine rechteckige Platte, mit 3 Reihen à 6 Guttae befestigt. Es folgt ein den ganzen Bau umringen¬des Geison, das die Basis für den Giebel bildet: Ein Schräggeison, das am Geison angebracht ist, ver¬leiht der Sima Halt und begrenzt mit dem Geison das Tympanon, ein dreieckiges Feld, das häufig zur bildlichen Darstellung bestimmter, mit der betreffenden Gottheit in Verbindung stehender Themen genutzt wurde. An den Traufen, sowie am First biegen sich die Kalyptere (verbindende Glieder zwi¬schen Ziegelplatten) zu Antefixa auf. Zudem sind an der Schrägsima (oft löwenkopfförmige) Wasser¬speier, sowie als \"Giebelbekrönung über dem First und an den Seiten\" Akrotere befestigt (Ornamente: vgl. Abbildung 14). Akrotere entwickeln sich von simplen verzierten Scheiben über pflanzliche zu figürlichen Darstellungen, die meist Sagenwesen (z.B. eine Sphinx) darstellen.
Stehen an der Frontseite des Pronaos (respektive des opisthodomos) Säulen \"in antis\", so tragen sie einen bis zu den Seitenwänden der Cella reichenden Architrav, der einen Triglyphenfries stützt. Bis¬weilen stützt eine Säulenreihe die in Kassetten gegliederte Decke. Die Anzahl der Säulen in antis korrespondiert mit der Anzahl der Säulen der Peristasis und der Anzahl der Säulenreihen. Die Ach¬sen der vorderen Säulen des klassischen hexastylen Typus\' treffen in ihrer Verlängerung jeweils auf:
1. die Säulen an den äußeren Flanken
2. die Seitenwänder der Cella
3. zwei Säulen in antis, die sich als Reihe durch die Cella ziehen und somit 3 \"Schiffe\" entstehen lassen.
Beim Tempel des Apollo in Thermum jedoch, dessen Front von 5 Säulen gebildet wird, wird nur eine Säulenreihe gebildet . Die Anzahl der Säulenreihen, die die Cella durchqueren, ist jedoch auf zwei begrenzt. Dies zeigt auch die sog. Basilika in Poseidonia (Paestum), eine Kolonie der achaeischen Kolonie Sybaris. Dort wird lediglich der Mittelsäule der 3 in antis stehenden Säulen eine Säulenreihe durch die Cella zugeordnet. Die Besonderheit dieses Tempels liegt jedoch woanders. Den 3 Säulen in antis würden im Normalfall 7 äußere Säulen zugeordnet. Die vordere Säulenreihe bilden jedoch 9 Säulen, der Tempel ist (fast ) pseudodipteral, d.h. die Ausmaße der Ptera (der Abstände zwischen seitlicher Cellawand und äußerer Säule) werden verdoppelt; man verzichtete jedoch auf eine zweite seitliche Säulenreihe (wie sie im \"echten\" Dipteros vorkommt).
Das klassische Verhältnis von Quer- und Längssäulen beträgt 6:13 oder 6:14 (die Ecksäulen werden jeweils doppelt gezählt), in archaischer Zeit treten auch schmalere Grundrisse auf, mit einem Ver¬hältnis von 5:15, 6:17, 6:16, 6:15. In Ausnahmefällen werden 9 Vordersäulen 18 seitl. Säulen zuge¬ordnet, oder ein Verhältnis von 6:17 oder 8:17 zugrundegelegt.
In fast allen dorischen Tempeln ist ein ausgeklügeltes System von kaum wahrnehmbaren Neigungen und Krümmungen erkennbar. Diese Inklinationen und Kurvaturen folgen gewissen Regeln, und auch Vitruv empfiehlt eine geschickte Kombination dieser Mittel. Häufig (zumindest nach dem 5.JH.v.Chr.) ist der Stylobat an den Ecken abgesenkt, sei es aus ästhetischen oder aus praktischen Gründen (etwa um einen Ablauf von Regenwasser zu ermöglichen). Die Neigung der äußeren Säulen zur Cella hin könnte stabilisierend wirken. Einzig und allein die Entasis, die Wölbung der Säulen, scheint lediglich einem ästhetischen Anspruch zu genügen. Vitruv\'s Quellen (wahrscheinlich Ionische Architekten des 4. oder 3. JH\'s v.Chr.) glaubten durch den Einsatz solcher Elemente bestimmte opti¬sche Illusionen korrigieren zu können. Die Wirkung dieser Subtilitäten auf Betrachter ist zweifels¬ohne gewaltig:
\"To him who sees the Parthenon [=Paradebeispiel für Inklination und Kurvatur] even as it stands to¬day the elasticity and life which spring from these unnoticed subtleties are a revelation.\"
(D.S. Robertson)
3.3.1.1. Der dorische Eckkonflikt
Die strengen Regeln, die beim Bau eines dorischen Tempels beachtet werden mußten und noch aus Zeiten stammten, als Tempel noch aus Holz gebaut wurden, wurden dieser Ordnung zum Verhängnis. Drei dieser Regeln wirkten sich besonders schwerwiegend aus:
1. Eine Triglyphe muß sich jeweils über einer Säulenachse bzw. über einem Intercolumnium befin¬den
2. Die Ecktriglyphen müssen Kontakt haben
3. Die Triglyphe muß sich genau in der Mitte von Säule bzw. Intercolumnium befinden
Anfangs stellten diese Anforderungen kein Problem für die Architekten dar. Da jedoch später größere Tempel gebaut wurden, und somit aus Stabilitätsgründen ein breiterer Architrav benötigt wurde, war es unmöglich, die Triglyphen so lang wie den Architrav breit zu halten. Plazierte man nun die Trigly¬phe -gemäß Regel 3- direkt über der Säulenachse, wäre Regel 2 nicht erfüllt; es würde sich eine ein¬springende Ecke bilden. Regel 2 wurde jedoch immer befolgt. Die archaische Lösung zu diesem Pro¬blem liegt in der Verbreiterung der der Ecktriglyphe folgenden Metope und damit einer Verschiebung der Triglyphe nach außen um A-T2 (A = Breite des Architravs, T = Länge der Triglyphe) . Bei klas¬sischen Tempeln findet man häufig eine Eckkontraktion vor; d.h. das letzte Intercolumnium wird verkleinert (z.B. \'Herkules-Tempel\' in Agrigentum). Auch eine doppelte Eck-kontraktion ist belegt (z.B. Concordiatempel in Agrigentum), bisweilen wurden beide Hilfsmittel kombiniert (z.B. Posei¬dontempel in Paestum oder am Heraeum v. Olympia).
Für Robertson ist klar, daß der dorische Eckkonflikt für den Untergang dieser Ordnung verantwort¬lich war . Jedenfalls ist zu beobachten, daß die dorische Architektur seit dem Prinzipat quasi aufhört zu existieren, sei es aus Desinteresse an dorischer Architektur oder Verzweiflung an dem angespro¬chenen Problem.
(Eckkontraktion: Abbildungen 5 und 6)
3.2.2. Die ionische Ordnung
Ionische und dorische Tempelarchitektur verfügen über grundlegende, gemeinsame Elemente, in Io¬nien entwickelt sich jedoch stammesbedingt eine andere architektonische Struktur. Vitruv vergleicht sie mit der Anmut einer Frau. Insgesamt wirkt ein ionischer Tempel besonders durch seine Orna¬mente sehr organisch, das Bauwerk scheint nur als Gerüst für etwas \"Lebendiges\" zu dienen.
Der ionische Stereobat unterscheidet sich nicht von dem dorischen, allerdings stehen die Säulen auf Basen. Man unterscheidet 3 Basentypen (vgl. Abbildung 13):
1. Inselionisch: Die samische Basis besteht aus einem kräftigen Wulst (Torus), der auf einem leicht konkaven Zylinder (Speira oder Spira) ruht. Eine horizontale Gliederung wird durch Anwendung von Stabprofilen und Kanneluren erreicht.
2. Kleinasiatisch-ionisch: Bei der populären ephesischen Form ruht auf einer Plinthe (quadratische Fußplatte) eine durch 3 Einzel- oder Doppelstabprofile und doppelten Trochilus horizontal geglie¬derte Spira, auf der der Torus aufliegt.
3. Attisch: Ein ausladender Torus ist durch einen Trochilus vom oberen (kleineren) Torus getrennt. In römischer Zeit kommt eine Plinthe hinzu.
Der schlankere Säulenschaft (Höhe = unterer Durchmesser*8) wird an beiden Enden durch ein Astragal, ein \"halbkreisförmiges Profil mit plastischen oder gemalten alternierenden Halbkugeln und Scheibchen\" , begrenzt. Im Gegensatz zum dorischen Säulenschaft, findet man häufig sehr enge Kannelierungen vor (24 - 48 halbkreisförmige bzw. flach-konkave Kanneluren). Bisweilen wird der Säulenhals durch Anthemien (Lotos-Palmetten-Verzierung) umkränzt.
Das Kapitell setzt sich aus dem schon erwähnten Astragal, einem Echinus mit ionischen Kymation- (Eierstab-) Verzierungen, einem Volutenteil, sowie einem kymationverzierten Abakus zusammen. Der Volutenteil springt beiderseits über den Schaft hervor und bildet schneckenförmige Voluten. Der sog. Kanalis verbindet beide Voluten, deren Seitenansicht, das Pulvinum (Polster), von einem Balteus (Gürtel) zusammen\"geschnürt\" wird. In der ionischen Ordnung gibt es ein dediziertes Eckkapitell, das insgesamt drei Voluten bildet. Dabei bildet die (verlängerte) Achse der mittleren Volute einen 45° Winkel zum Innenwinkel des Architravs.
Die ionischen Architraven gliedern sich in drei Fascien (stufenartige Vorsprünge). Die Gestaltung oberhalb des Architravs divergiert je nach Region. Bei kleinasiatisch-(ost-)ionischen Bauten ruht auf dem Architrav ein von Kymatien eingefaßter Zahnschnitt (\"Geisipodes\") . Dieser Zahnschnitt hat sich als dichte Reihe von stilisierten Balkenköpfen aus der Zeit des Holztempels erhalten. Es folgt das Geison, welches eine anthemienverzierte Sima trägt oder mit Palmettenantefixen verziert ist. Der übrige Aufbau (Dach- und Giebelbildung) unterscheidet sich nicht von einem dorischen Tempel. Im inselionisch-attischen Gebälk erscheint kein Zahnschnitt, dafür befindet sich oberhalb des Architravs ein Relieffries (Zophoros). Im kleinasiatisch-hellenistischen Stil wird solch ein Fries mit einem Zahn¬schnitt kombiniert (vgl. Abbildungen 9 und 12).
Die Anten werden erst ab dem 4.JH.v.Chr. von den Seitenwänden des Naos abgesetzt, zeichnen sich jedoch durch spezielle Kapitelle aus. Besonders prachtvoll werden zusätzlich die Türen zur Cella ver¬kleidet.
Vitruv widmet sich in einem seiner Kapitel (III, 3, 6) ausführlich dem Begriff \"eustyl\" im Zusam¬menhang mit Säulenabständen. Dieser Begriff sei von Hermogenes entwickelt worden; Vitruv hat Hermogenes jedoch schon in (III, 3, 8) fälschlicherweise die Erfindung des octastylen Pseudodip¬terons zugedichtet, insofern ist diese Information nicht gesichert. Vor der Entwicklung des eustylen Typs orientierte man sich entweder am pycnostylen (Abstand zweier Säulen -nicht deren Achsen! - = 1 1/2 * unterer Säulendurchmesser), am systylen (Abstand zweier Säulen = 2 * unterer Säulendurch¬messer) oder am diastylen (Abstand zweier Säulen = 3* unterer Säulendurchmesser) System. War der Säulenabstand größer als 3*(unterer Säulendurchmesser), bezeichnete man den Säulenabstand als aerostyl. Liegt ein eustyles System zugrunde, beträgt der Säulenabstand 2 1/4 untere Säulendurch¬messer. Nur das mittlere Intercolumnium sollte einen diastylen Abstand aufweisen (das stellte eigent¬lich keine Neuerung dar, denn dieses Intercolumnium war normalerweise immer ein wenig größer dimensioniert).
Mit dem Beginn des Hellenismus werden zunehmend ionische Großtempel gebaut, oft sog. Dipteroi (z.B. Apollon-Tempel in Didyma bei Milet). Dipteroi zeichnen sich durch zwei den Naos umgebende Säulenkränze aus. Die Cellastruktur derartiger Großtempel unterschied sich z.T. von orthodoxen Formen, so entfallen Opisthodome, oder im Innern der Cella befindet sich ein Naiskos, ein kleiner Schrein.
3.3.3. Die äolische \"Ordnung\"
Das äolische Kapitell unterscheidet sich insofern vom ionischen, als daß direkt aus dem Schaft zwei Voluten senkrecht aufwachsen. Der Zwischenraum zwischen den Voluten wird mithilfe einer stili¬sierten Palmette gefüllt, während sich unterhalb der Voluten noch ein Blattring befindet. Sonst unter¬scheidet sich die äolische Ordnung kaum von der ionischen; viele Wissenschaftler sehen das äolische Kapitell als Vorform oder als eine Variante des ionischen Kapitells . Auf der anderen Seite wäre ein ionisches Kapitell auch ohne äolische Vorläufer denkbar. Beide Formen sind ägyptisch-asiatisch be¬einflußt. Das äolische Kapitell ist demnach nur eine Variante des so berühmten Palmetten-Kapitells, das die Minoer einst aus Ägypten importierten und im 7. und 6. JH.v.Chr. erneut von Griechen aus dem Orient mitgebracht wurde.
3.3.4. Die korinthische Ordnung
Auch die korinthische Ordnung unterscheidet sich von der ionischen lediglich durch eine andersartige Kapitellform. Das korinthische Kapitell (Abbildungen 13 und 15) ist angeblich von Kallimachos, einem Metallarbeiter, entwic¬kelt worden. Auch die filigranen Ornamente deuten auf metallische Modelle hin, und in einigen syri¬schen Gebäuden aus römischer Zeit (z.B. Bel-Tempel in Palmyra) war das Kapitell tatsächlich aus Metall. In klassischer Zeit findet das korinthische Kapitell nur innerhalb des Tempels Anwendung, erst in hellenistischer Zeit wird es gleichberechtigt mit dem ionischen Kapitell für Außensäulen ver¬wendet. Der Vorteil des korinthischen Kapitells liegt vor allem in der Tatsache, daß alle vier Seiten ein gleichmäßiges Ganzes darstellen.
Um einen Kalathos (Kelch) sind 1-2 Reihen Akanthuslaub angeordnet, aus deren Mitte Cauliculi (Blatthülsen) zwei Helices (Volutenranken) pro Seite hervorsprießen lassen. Im Zentrum des Kapi¬tells befindet sich zusätzlich eine Blüte oder Palmette, die von zwei Helices getragen wird.
4. Der Römische Tempel
Der Römische Tempel wird häufig als Kombination aus etruskischem und griechischem System ange¬sehen . Der etruskisch-italische Stil absorbierte dabei erst den Einfluß aus Süditalien und Sizilien, im 2. und 1. JH.v.Chr. kommt der Einfluß aus Griechenland, Kleinasien, Syrien und Ägypten hinzu. Dies wird recht plausibel, betrachtet man die Ausdehnung des römischen Machtbereiches zur jeweili¬gen Zeit. Er erfüllt dabei nicht nur die Funktion des Schutzes des Gottesbildes, sondern ist auch von repräsentativem, historisch-dokumentativem Charakter.
4.1. Historischer Hintergrund
Spätestens seit Gründung der Stadt Rom steht die Bevölkerung Roms in Kontakt mit den Etruskern. Im Stadtgebiet selbst wurden etruskische Gräber gefunden, die aus der 2. Hälfte des 7. JH v.Chr. stammen. Zur Zeit der Punischen Kriege erfährt der römische Machtbereich schließlich eine Ausdeh¬nung nach Süden bzw. Westen, die einen engeren Kontakt mit den griechischen Kolonien in Südita¬lien und Sizilien zur Folge hat (z.B. Paestum). Im 2. JH v.Chr. orientiert sich Rom gen Osten: Die Annexion Makedoniens (168) sowie die Attalidische Erbschaft (138) bergen eine gute Ausgangslage für künftige Erweiterungen. Begeistert übernehmen die Römer vieles aus dem griechischen Kultur¬kreis, kopieren Kunstwerke, lassen sich vom griechischen Götterhimmel mehr als inspirieren und lassen griechische Architektur in ihre Tempel einfliessen.
4.2. Der etruskische Tempel
Die Grundlage für den römischen Tempel (aedes [sacra]) bildet jedoch der etruskisch-italische Ty¬pus (Abbildungen 16 und 17). Die Kanonisierung dieses Typs findet etwa zur gleichen Zeit statt wie die verbindliche Festle¬gung der einzelnen Ordnungen in Griechenland. Der aus Holz gebaute Tempel basiert auf einem rechteckigen Grundriß (etwa 5:6). Steine finden (in dieser Zeit) nur als Fundament für Wände und Säulen Verwendung; die Wände bestehen aus Ziegeln. Der Raum läßt sich in vier Abschnitte glie¬dern: Die vordere Hälfte (sic!) wurde als Pronaos genutzt, während die rückwärtige Hälfte in 3 \"Schiffe\" unterteilt war, deren Breite im Verhältnis 3:4:3 stand. Im Pronaos befinden sich 2 Reihen von jeweils einer Säule als Verlängerung der seitlichen Außenwand und jeweils eine Säule als Ver¬längerung der Seitenwände der Cella Media. Die Säulen standen aerostyl zueinander, d.h. ihr Ab¬stand war relativ groß gemessen an griechischen Verhältnissen. Auch war die Hervorhebung der Stirnseiten der Wände (Anten) fakultativ. Vitruv beschreibt einen Tempel aus späterer tuskischer Zeit , der bisweilen im Widerspruch zu Ausgrabungsergebnissen steht. Ab dem 4. JH.v.Chr. finden Steine auch in den Cellae und Monolithen als Säulen Verwendung.
Der etruskische Tempel steht grundsätzlich auf einem Podium aus steinquadereingefaßten Bruchstei¬nen im Lehmverband, das ihn aus der Profanität herauslöst, bleibt jedoch von der Frontseite her über eine Freitreppe zugänglich. Auf der Freitreppe kann ein Altar stehen. Der unkanellierte Säulenschaft ruht auf einer Basis (spira), die sich aus Plinthe, Torus (Wulst), Quadra (Stäbchen) und Apophysis (Ablauf) zusammensetzt. Ihre Höhe steht wiederum in Abhängigkeit zum Schaftdurchmesser (Höhe der Basis = 0,5*Schaftdurchmesser), der sich nach oben hin um ein Viertel verkleinert. Auch die Ge¬samthöhe läßt sich über den Schaftdurchmesser berechnen (Gesamthöhe = 7*Schaftdurchmesser). Das Capitulum (Kapitell, Kapitellhöhe stimmt mit der Höhe der Basis überein) besteht aus Hypotra¬chelium (Hals), Astragal, Quadra, Echinus (Polster) und Abakus (vermutl. quadratische Platte). Der Architrav besteht aus zwei nebeneinanderliegenden Holzbalken (trabes compactiles), auf denen wie¬derum über den Architrav hinausragende Längsbalken (mutuli) ruhen. Sie bilden, zusammen mit ei¬nigen Querbalken, die Kassettendecke. Die Cantharii (die aufsteigenden Dachbalken) werden von den seitlichen Längs- sowie vom eigenartig stabilisierten Firstbalken gestützt und bilden die Grundlage für Latten zur Aufnahme der Ziegel. Die zahlreichen (Terrakotta-)Verzierungen waren nicht nur schmückende, sondern auch schützende Elemente: Sie schützten die hölzernen Bestandteile des Tem¬pels vor Witterungseinflüssen.
Im Vergleich zu den griechischen Tempeltypen wird die Spannung zwischen Last und Stütze archi¬tektonisch kaum ausgewertet. Die Struktur folgt eher praktischen Gesichtspunkten, läßt Subtilität und Reife, wie sie griechische Tempel aufweisen, vermissen.
4.3. Rechtliche Grundlagen, Sprachliches
Um einen \"Gottesdienst\" in Rom einzurichten, ist es nötig einen Ort festzulegen, der diesem Gott gehört und somit menschlichem Zugriff entzogen ist. Schon Mommsen unterscheidet zwischen Pri¬vateigentum, Gemeindeeigentum und Gotteseigentum. Eine gewisse Spannung entsteht aus der Über¬schneidung von Gemeinde- und Gotteseigentum. Schließlich obliegt der Gemeinde die Pflicht, loca sacra instandzuhalten und zu beschützen. Quasi als Gegenleistung dafür, wird der Gemeinde das Recht übertragen, durch eine consecratio einen Ort als sacer zu deklarieren. Das Eigentum eines Gottes wird somit unter die Verwaltung des Staates gestellt. Ein locus sacer unterliegt jedoch keinem menschlichen Rechtsverkehr.
Die \'Sacertät\' einer Stätte bezieht sich immer auf den Boden. Die Gestaltung der Kultstätte ist also von sekundärer Bedeutung. Es kann sich z.B. um einen Hain, eine Quelle, eine Grube, eine Höhle oder um ein Gotteshaus handeln. Dies hängt natürlich von der Eigenart des zu verehrenden Gottes ab, von der Solvenz der Verehrenden oder vom Anlaß der Weihung.
Alle Tempel sind vor dem Gesetz gleich. Das \"Tempelhaus herrscht unbedingt\" , Indigetes (alteingesessene Götter) und Novensides (\"Newcomer\") sind also gleichberechtigt.
Später verengt sich der Begriff fanum dahingehend, daß er nur noch als Bezeichnung für Kultstätten alten Stils oder für Tempel außerrömischer Gottheiten gebraucht wird. Sacella können entweder \'loca dis sacrata sine lecto\' (staatl. Kultstätten) oder Privatheiligtümer sein. Seit der Republik setzt sich das aedes-Haus immer mehr durch, nur noch alten Gottheiten wird wirklich in Hainen geopfert. Die exi¬stierenden Altäre bleiben bestehen, weil sie nicht mehr genutzt werden oder in ein neues Heiligtum integriert werden.
Ab Augustus nimmt der Altar an Bedeutung zu, und man legt viel Wert auf eine möglichst prunkvolle Gestaltung (s. ara pacis).
Zusätzlich zu den offiziellen Tempeln gab es sog. \"sacella\", in denen z.B. sehr alten Gottheiten ge¬huldigt wurde, oder kleine Larenkapellen am Wegesrand (wie wir sie heute in ähnlicher Form auch kennen). Als Sonderform bleibt stets der Vestalinnentempel erhalten: Die aedes Vestae blieb stets ein kleiner Rundtempel ohne Kultbild, war also kein Wohnhaus der Göttin (das sich zu Lebzeiten Ciceros als aedicula neben dem eigentlichen Tempel befand). Im Vestatempel befand sich eine Feuerstelle sowie eine Vorratskammer (penus) der römischen Gemeinde.
Bei der Anlage eines Tempels gibt es gewisse sakralrechtliche Regeln zu beachten. So darf z.B. der Tempel des Mars nicht innerhalb des pomeriums liegen; landfremde Gottheiten dürfen nicht in der Innenstadt verehrt werden, u.v.m. Der Tempel sollte nach allen Seiten frei liegen.
Die Auguren legen einen Grundplan für den Tempel fest und geben der festgelegten rechteckigen Fläche die Bezeichnung \"templum\". Nach Fertigstellung des Tempels wird dieser schließlich geweiht (\"Dedication\"). Diese Dedication wird durch einen Magistrat durchgeführt, dem der Pontifex Maxi¬mus assistiert, indem er eine bestimmte Formel vorspricht; dabei berühren beide Personen den Tür¬pfosten des Tempels. Die consecratio, also die eigentliche Weihung wird durchgeführt, indem die \"sollemnia pontificalis carminis verba\" gesprochen werden, also \"indem die Gemeinde sich ihres Eigentumsrechtes zu Gunsten der Gottheit entäußert\" . Der Tempel wird somit Eigentum des Gottes und damit eine res sacra.
Die oben erwähnte Dedicationsformel hat gewissen Richtlinien zu genügen: Sie muß den Namen des Empfängers, den Namen des Dedicierenden, die Grenzen der überwiesenen Kultstätte und nähere Bedingungen der Überweisung enthalten (z.B. so etwas wie eine lex dedicationis, die den Kultbetrieb regelt). Das Musterexemplar für eine lex dedicationis ist die lex arae Dianae in Aventino. Sie bein¬haltet den Anspruch des Heiligtums auf Schutz gegen profane Inanspruchnahme, Verletzung, Raub, die vermögensrechtliche Handhabung der Gaben und Weihgeschenke, die Zulässigkeit/Statthaftigkeit bestimmter Opfer und Sakralhandlungen, die Zulassung/den Ausschluß bestimmter Klassen oder Per¬sonen sowie u.A. bestimmte Privilegien (z.B. Asylrecht). Auch konnten in einer solchen lex von Staats wegen regelmäßig darzubringende Opfer festgelegt werden. Normalerweise wurde ein Staats¬opfer einmal im Jahr (am Stiftungstag) dargebracht. War dazu kein spezielles Personal vonnöten, wurde das Opfer vom Pontifex Maximus oder einem Unterbeamten durchgeführt. Festtage werden in einschlägigen Kalendern mit Name, Ort und Datum vermerkt (Ausnahme: das Kollektivopfer für die in Feuersnöten hilfreichen Götter). Dadurch, daß der Stiftungstag an die feriae der einzelnen Götter gebunden waren, waren die feriae publicae gleichzeitig auch die Tage des Tempelopfers.
War ein Tempel kaputt, wurde er wiedererrichtet, und neu geweiht. Eine consecratio war überflüssig, da die Heiligkeit schließlich am Boden \"haftete\".
Tempel waren also grundsätzlich die Wohnstätten der Götter; vor dem Eingang befand sich meist ein Opferaltar, das Tempelhaus umschließt das entsprechende Götterbild, sowie die göttlichen Besitztü¬mer. Dazu gehört z.B. der heilige Hausrat (sacra cuppellex), der sich aus Opfertischen (mensae), tragbaren Feuerherden (foci), Opfergefäßen (vasa) und sonstigen Gerätschaften zusammensetzte. Diese Ausstattung wurde zusammen mit dem Tempel consecriert und wurde somit zum unveräußerli¬chen Göttergut.
Die Aufwartung beim Gotte war Aufgabe des aeditu(m)us, der beim Tempel wohnt . Der aedituus ist als Verwalter und Tempelhüter für die Reinigung, die Aufsicht über das Tempelgut und die dort nie¬dergelegten Wertgegenstände verantwortlich. Er untersteht einem Magistraten dem die cura aedium sacrorum anvertraut ist. Da die Tempel normalerweise geschlossen waren (außer am Festtag natür¬lich), mußte der aedituus außerdem den Zugang regeln. Wenn z.B. Privatleute ein Gelübde einlösen wollten, mußten sie sich an die festgesetzten Regeln halten und ggfs. eine Gebühr entrichten. Der Tempel konnte auch auf Geheiß der Magistrate geöffnet und zur öffentlichen Nutzung freigegeben werden, falls die Tempelvorschriften dies nicht verboten. Des weiteren ist der adituus verpflichtet, Prodigien im Einflußbereich des Tempels zu melden.
Privatheiligtümer sind sakralrechtlich gesehen profana, doch auch sie werden \"geweiht\"; nur eine consecratio findet nicht statt. Dennoch stehen Privatheiligtümer unter einem bestimmten Gesetz, denn trotz ihres profanen Status\' haftet ihnen eine religio an. Dies trifft auch auf Heiligtümer außerhalb des solum italicum, Blitzgräber, besondere Stellen historischen oder mythischen Interesses, sowie Gräber zu.
Varro benutzt das Wort templum nicht im Sinne von \"Haus\". Er erwähnt unter anderem das himmli¬sche Templum, das in vier Teile geteilt sei (gemäß den vier Himmelsrichtungen). Ein irdisches Templum wird wie folgt definiert:
\"Auf der Erde wird Tempel der Bezirk genannt, der zum Zwecke des Auguriums oder
Auspiciums mit gewissen, ganz klar definierten Worten bestimmt wird. Es wird aber nicht
überall mit den gleichen Worten gesagt. Auf der Burg heißt es wie folgt: \'Templa und Tesca
sollen die Grenzen haben, wie ich sie mit meiner Stimme benenne: Dieser Baum sei die
Grenze zur Linken für Templum und Tescum, jener Baum sei die Grenze zur Rechten
für Templum und Tescum. In diesem Raumausschnitt, Blickfeld, Bezugsbereich sollen
meine Beobachtungen gelten.\"
Im Gegensatz zu aedes bezeichnet templum (zumindest zu jener Zeit) nicht das Gebäude eines Gottes, sondern das Beobachtungsfeld der Auguren.
4.4. Tempel der Republik
In Rom selbst gibt es kaum Gebäude die als gesichert vor-sullanisch gelten können, allerdings sind z.B. in Pompeji Gebäude erhalten, die vor dem 2. JH.v.Chr. gebaut wurden (aus der sog. Tuff[stein]- Periode). In Pompeji finden sich auch einige dorische Säulen, die in Rom aufgrund der oben genann¬ten Problematik sehr rar sind. Oft sind die Bauwerke in Rom schwer datierbar; Einflüsse lassen sich ob der eklektizistischen und nachahmenden Grundhaltung nur schwer auseinanderhalten. Noch Horaz ermahnte die Römer, daß die Sünden der Väter sie belasten würden, wenn sie die Tempel nicht re¬staurierten. Augustus erledigte diese Aufgabe gewissenhaft, und \"verbaute\" uns damit die Chance, mehr über die Architektur der vorchristlichen Jahrhunderte zu erfahren.
Zu den ältesten Tempeln zählt wohl der Kapitolinische Tempel in Rom, der aus dem 6. JH.v.Chr. stammt, zwar nach Bränden oft wiederaufgebaut wurde, aber dennoch einige tuskische Eigenarten bewahrt hat.
Der römische Tempel steht, wie der etruskisch-italische Tempel auch, auf einem Podest und weist eine eindeutige Orientierung auf. Kähler weist darauf hin, daß der römische Tempel dadurch mehr am Raum denn im Raum stehe. Auch durchkreuzen keine Säulen die Cella, der Raum bleibt also \"unversehrt\" und kann als Raum wirken (und nicht nur als Aufbewahrungsstätte für ein Standbild).
4.5. Tempel der Kaiserzeit
Der Siegeszug des korinthischen Stils zeigt sich deutlich an der Häufigkeit der Verwendung in Rom. Schon früh werden dorische und ionische Ordnung verdrängt und durch das korinthische System er¬setzt. In Pompeji wurden im Rahmen einer Restauration mit Meißel und Stuck ein ionisches Kapitell in ein korinthisches verwandelt. Dies macht einen Sachverhalt ganz deutlich: Die Ordnungen unter¬scheiden sich in Rom meist nur durch ihr Kapitell.
4.6. Die römischen Ordnungen
Diese Ordnungen finden nicht nur im Tempelbau Verwendung. Häufig werden sie auch zur Gestal¬tung von Profanfassaden benutzt (zu den römischen Ordnungen, vgl. Abbildung 18).
4.6.1. Die römisch-dorische Ordnung
Die römisch-dorische Ordnung war wohl eine der ersten \"römischen\" Ordnungen. Sie erscheint erst¬mals am Grab des Cornelius Scipio Barbatus (cos. 298 v.Chr.) und zeichnet sich durch eine schmale, flachkanellierte Säule aus, die auf einer Basis steht. Bei dieser Ordnung kommt kein Holz zum Ein¬satz. Die römisch-dorische Ordnung geizt mit Ornamenten, ist sehr schlicht und streng gehalten. Über dem sehr flachen Architrav sind die Triglyphen befestigt, von denen auf jede Säule 5 entfallen. Unterhalb des kymatienverzierten Echinus wird ein \"Halsring\" hinzugefügt. Die Metopenfelder sind mit Rosetten, bestimmten Abzeichen oder Bukranien (Rinderschädelskeletten) verziert. Seit dem 1. vorchristlichen Jahrhundert wird dieser Stil hauptsächlich an Profanbauten eingesetzt, kommt jedoch in der Kaiserzeit außer Mode.
4.6.2. Die italisch-dorische (tuskische) Ordnung
Die italisch-dorische Ordnung zeichnet sich durch ionisierende Basisformen, glatten Schaft, stark hervorgehobenes Hypotrachelion sowie breite Anuli aus. Typische Elemente sind zudem ein flacher Echinus, auf dem ein breiter Abakus aufliegt sowie eine einheitliche Metopenverzierung (Schilde oder Rosetten). Zuweilen lassen sich in einem tusckischen Gebälk auch ionisierende Zwischenglieder fin¬den. Die Architekten italisch-dorischer Tempel vermeiden eine Eckkontraktion.
4.6.3. Die italisch-ionische Ordnung
Der an unteritalisch-sizilianische Vorbilder angelehnte italisch-ionische Typus erweckt durch Diago¬nalkapitelle die Aufmerksamkeit des Betrachters, deren Palmettenornamente sehr ausladend gestaltet sind. Ferner verfügt dieser (archaisierende) Typus über geschwungene Helices im Kapitell.
4.6.4. Die römisch-ionische Ordnung
Tempel römisch-ionischer Ordnung (ab dem 1. JH.v.Chr.) unterscheiden sich von ihren griechischen Vorbilder hauptsächlich dadurch, daß die Kanalis zwischen den Voluten nicht konkav gebildet ist und alle Teile des Tempels stärker verziert werden. Der Architrav ist deutlich flacher als an früheren Tempeln.
4.6.5. Die italisch-korinthische Ordnung
Kräftige Helices wachsen bei dieser Ordnung aus einem Blätterkranz heraus. Eine Rosette ersetzt die griechische Palmette. In Paestum findet man sogar (als Sonderfall) ein figürliches Kapitell.
4.6.6. Die römisch-korinthische Ordnung
Der Siegeszug dieser Ordnung ist ein Beleg für die Prachtliebe der Römer, kein Tempelelement bleibt unverziert. Auf einer attisch oder kleinasiatisch-ionisch nachempfundenen Basis steht der kannelierte oder andersartig verzierte Schaft. Das Kapitell wird durch den neuartigen Kalathos bestimmt, aus dem 16 oder 24 Akanthusblätter aufragen, hinter denen acht (schlingpflanzenartige)Volutenpaare emporwachsen, die zusammen den Abakus tragen (im griechischen Bereich übernehmen diese Auf¬gabe ja nur die Eckvoluten). Eine Blüte endet entweder unter oder in der Mitte des Abakus. Auf den durch Kymatien getrennten Fascien ruht ein ionisches Kyma zwischen Pelstäben und eine \"im Akan¬thus-Palmetten-Wechsel verzierte Hohlkehre mit Leiste\" . Darüber befindet sich -getrennt durch ein Flechtband- der Zahnschnitt. Das Kranzgesims wird von Volutenkonsolen getragen (die an die her¬vorstehenden Längsbalken an etruskischen Tempeln erinnern).
Diese Ordnung wurde sehr populär , nachdem einige Säulen vom unvollendeten Olympieion (Athen) in Rom aufgestellt wurden. Sie wurden bei der Restauration des Kapitols unter Sulla verwendet.
4.6.7. Das Kompositkapitell
Im Kompositkapitell werden zweireihige Kalathoi mit jeweils vier ionisierenden Diagonalvoluten¬paaren (meist nicht durch eine Kanalis verbunden) kombiniert. Es findet erst ab dem 1. JH.n.Chr. Verwendung.
5. Schlußbetrachtung
Im antiken Tempel kulminieren alle technischen und architektonischen Erkenntnisse damaliger Zeit. Wie sehr das Lebensgefühl einzelner Stammesgruppen den Stil eines solchen Tempels beeinflußte, wird an den verschie¬denen Ordnungen sichtbar. Diese Ordnungen waren einerseits unveränderbare Standards für die Griechen, andererseits scheuten sich die Römer nicht, sie zu modifizieren oder in der Profanarchi¬tektur einzusetzen. Die Art, in der die antiken Tempel die Spannung von Last und Stütze zum Aus¬druck bringen und durch subtile Mitttel einen bestimmten Eindruck erzeugen, ist bis heute beispiellos.
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