das letzte Kapitel beschreibt be¬hördliche Einrichtungen, um den wiederholten Nachweis der staat¬lichen Ohnmacht Galliens zu führen, die durch die Willkür der Herrschenden und die fehlende Staatsverfassung geprägt ist. Caesar berichtet von einer gesetzlichen Verordnung (legibus sanctum), dass jeder sofort der Obrigkeit melde, was er über den Staat (de re publica) von den Grenznachbarn aus Gerüchten gehört habe; die Be¬hörden handeln nach eigenen Interessen und teilen der Menge nur mit, was ihnen nützlich erscheint. Die Mehrheit des Volkes wird so in politischer Unmündigkeit gehalten aus einem Grund, der auf gal¬lische Mentalität und Eigenart ein bezeichnendes Licht wirft: ,,man hat vielfach die Erfahrung gemacht, dass sich diese unbesonnenen und unerfahrenen Leute durch falsche Gerüchte einschüchtern, zu einer schlimmen Tat hinreißen und zu einem Beschluss von größter Tragweite bestimmen lassen\". Seiner ganzen Veranlagung nach ist der Gallier also nicht in der Lage, die Spielregeln eines geordne¬ten Staatswesens zu befolgen. Diese Aussage gibt eine wirkungsvol¬le Erklärung der zuvor beobachteten politischen Missstände und lässt den großen Einfluss der Fürsten und Druiden im Leben der gallischen Stämme
verständlich werden. Die mühelose Verführbarkeit der Kelten werde durch sein sprunghaftes Wesen begründet. Dieses psychologi¬sche Moment stellt eine nicht unwesentliche Komponente dar im in¬neren Verlauf der zahlreichen gallischen Erhebungen, wie Caesar sie schildert.
Die Stilmittel im Gallierexkurs tragen wesentlich zum Eindruck der Sachlichkeit und Objektivität bei. Im Unterschied etwa zur Oritog¬natusrede, bei der ein metapherreiches Pathos den appellativen Charakter verstärkt, gibt hier Caesar eine nüchterne Schilderung ohne bildhafte Vergleiche. Trotzdem verzichtet er nicht auf Ana¬phern, Alliterationen, Parallelismen im Satzbau, Chiasmen, die den Aussagen prägnante Eindringlichkeit verleihen. Den factiones auf inhaltlicher Seite entspricht die antithetische Struktur auch for¬mal. Auch die Verwendung der partizialkonstruktionen, die den so umschriebenen Ereignissen eine allgemeine Bedeutung geben, objek¬tivieren den Bericht. Ihr Urheber bleibt zwar gegenwärtig, dies aber immer in Distanz; so können z.B. Misserfolge eher aus der Situation erklärt als Caesar angelastet werden - eine Technik, die sich im gesamten Werk bewährt. Die formale Gestaltung der Kapitel 11-20 beweist, dass der Gallierexkurs mit aller Sorgfalt konzipiert ist und damit auch stilistisch jenes Gewicht gewinnt, das ihm ent¬sprechend seinem Inhalt zukommt.
Anders sein, sich anders verhalten wird von Caesar nicht respek¬tiert. Wer seine eigenen Interessen zu wahren sucht, gegen den wird vorgegangen. Man muss sich anpassen. Diese röm. Einstellung wird noch zusätzlich deutlich gemacht durch eine Objektivität sug¬gerierende Sprache: nüchtern, gepflegt, distanziert, folgerichtig, sachlich. Auch die Kolonial- und Industriestaaten im 18. und 19. Jhdt. glaubten, mit ihren Machtmitteln in den sogenannten Entwick¬lungsländern die Zivilisation auszubreiten. Auch Caesar hat die Gallier im Gallierexkurs so beurteilt: befangen in unerträglichen politischen Strukturen, friedlos, willkürlich, unberechenbar, un¬kundig - sie dürfen gar nicht sich selbst überlassen werden; erst durch sein Auftreten seien geordnete Verhältnisse geschaffen wor¬den.
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