Zwei Argumente erhellen zuletzt die Rechtfertigung von Freuds psychoanalytischer Lesart der Erzählung: Hoffmann läßt offen, ob die Vorgänge um Coppelius - Coppola sich in der Realität abspielen oder einzig psychotische Reaktionen, also unbewußte Vorstellungen Nathanaels sind. Damit gibt er einen deutlichen Fingerzeig auf eine rein psychologische Deutung des Werks.
Möglich wäre aber auch, daß der Erzähler im Sandmann nur einen Auszug aus der eigenen Psychobiographie geschrieben hat: \"Die Beziehung zum Vater war immer eine der wundesten Stellen in des Dichters Gefühlsleben.\" (Das Unheimliche, S. 245) Ist die Erzählung gar Hoffmanns unbewußte Deutung des eigenen Vaterproblems, das von einem nicht überwundenen Ödipuskomplex herrührt? Oder führt dieser Schachzug endgültig weg vom Werk und in die Tiefen von Freuds eigener Seelengeschichte?
Ein Wort zum Schluß: Eine Diskussion der Thesen Freuds möchte ich an dieser Stelle nicht führen. Sie scheint uferlos. Auch beschränken sich dergleichen Auseinandersetzungen zumeist auf die polemische Frage nach Sinn und Zweck psychoanalytischer Literaturinterpretation oder gar der Analyse überhaupt.
Moderne Literaturwissenschaftler sollten die Literaturpsychologie als Werkzeug begreifen: Wie alles Werkzeug erleichtert sie die interpretatorische Arbeit, wenn sie meisterlich gehandhabt wird. Aber sie kann auch zur unsinnigen und gefährlichen Waffe werden, einem Totschläger in der Hand des unerfahrenen Dilettanten
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