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geographie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Werte- und einstellungsmuster im ost-west vergleich



In Ostdeutschland stellte sich die sozialökonomische Situation für die Bürger anders dar. Das politische System war autoritär ausgerichtet und von einem Weg des Landes zu einer Dienstleistungsgesellschaft konnte nicht die Rede sein. Diese unterschiedlichen \"Rahmenbedingungen\" für Einstellungen im Alltag lassen erhebliche Differenzen im Wertebereich zwischen Ost und West vermuten. Diese Hypothese soll nun überprüft wer¬den.

1.Mentalitätsunterschiede in Ost und West?

Gebhardt und Kamphausen gehen in ihrem Artikel: \"Mentalitätsunterschiede im vereinig¬ten Deutschland? Das Beispiel zweier ländlicher Gemeinden\" einen eigenen Weg. Sie haben sich in \"zwei von der Geschichte, der Konfession, der Bevölkerungszahl, der Infra- , Wirtschafts- und So¬zialstruktur her\" (S.32) ähnlichen Gemeinden im bayrischen und sächsischem Vogtland umgesehen. Den Begriff Mentalität definieren die beiden Autoren dabei folgenderweise:
\"Mentalität bezeichnet [...] die Summe eingelebter, routinisierter, über Generationen hin¬weg stabiler Glaubensüberzeugungen und Sinngewißheiten mit alltäglicher Handlungsre¬levanz.\" Sie seien in der Regel \"die unreflektierte Grundlage allen sozialen Handelns im alltäglichen Lebensvollzug.\" (S.31)
Gebhardt und Kamphausen stellten fest, daß in beiden Gemeinden der Verlust der Sicher¬heit sowie die Bedrohung des Eigenen als die vordringlichsten Problembereiche angese¬hen werden. Die Autoren finden hier wie dort eine Situation vor, in der \"Fremde\" in Ge¬stalt von in- und ausländischen Durchreisenden mit einer zunehmenden Abkapselung und einer nostalgischen Verklärung der \"guten alten Zeit\" beantwortet wird (vgl.: S.32f.).
In der östlichen Gemeinde haben sich die gravierenden Einschnitte wie folgt ausgewirkt: Der Umgang mit der neuartigen westlichen Bürokratie und die Marktwirtschaft im Allge¬meinen werden als Belastung und Bedrohung empfunden. Zudem werden die beginnende soziale Differenzierung und das entstehende Wohlstands¬gefälle als gemeinschaftszerstö¬rende Faktoren wahrgenommen. (Vgl. S.33) Mit dem Geld verringerte sich die Bereit¬schaft, für andere unentgeltlich zu arbeiten, eine Anonymisierung der in Anspruch ge¬nommenen Dienste war die Folge (vgl. S.37.).
Laut Gebhardt und Kamphausen ist beiden Gemeinden die grundlegende Einstellung zur Bedeutung von Arbeit, Leistung und Eigentum (was in einem sozialistisch geprägtem Ort überraschen mag) sowie Religion und Heimat gemeinsam (vgl.: S.34). Die Familie gilt in Ost wie West als der entscheidende Ort für das Finden von sozialer Anerkennung, Ge¬borgenheit und Sicherheit eines Menschen. Neben der Familie gilt die Dorfgemeinschaft \"als diejenige Instanz, die soziale Verortung ermöglicht und Leitbildfunktion auszuüben vermag.\" (S.34) Konforme Einstellungen (negative Einstellung zur Stadt, öffentlich be¬kundete Zufriedenheit mit der sozialen Umgebung etc.) werden mit \"Identität\" belohnt. \"Diese Orientierung am Ideal der Gemeinschaft ist in beiden Gemeinden durchgängig zu beobachten.\" (S.35) Diesem Gemeinschaftstreben steht als unvereinbarer Gegenpol mit zunehmender Anziehungskraft Individualisierungtendenzen entgegen, die sich aus der Entwicklung zur Modernen ergeben (individuelle Wahlfreiheit und materieller Wohl¬stand, usw.). \"Dieser Zwiespalt, Unvereinbares vereinen zu wollen, kennzeichnet die Menschen in beiden Gemeinden.\" (S.36) Die Sozialwissenschaftler kommen zu dem Er¬gebnis, daß beide Gemeinden erstaunlich viele Gemeinsamkeiten aufweisen und ent¬deckte Unterschiede nicht als Mentalitätsunterschiede zu bezeichnen sind. Sie konstatie¬ren lediglich: \"Der moderne Individualisierungsprozeß und der damit verbundene Wer¬tewandel ist in der westdeutschen Gemeinde etwas weiter fortgeschritten als in der ost¬deutschen Gemeinde.\"(S.39) Man könne von einer Phasenverschiebung auf dem Weg der Modernisierung oder wahlweise von einer \"Kühlschrankfunktion\" des sozialistischen Systems sprechen.
Allgemein läßt sich sagen, daß bezüglich der Mentalität eher Unterschiede zwischen ein¬zelnen Kulturregionen bestehen und eine pau¬schale \"Unterschiedskartographie\" in alte und neue Bundesländer von den tatsächlichen Gegebenheiten vieles verwischt, verstärkt oder unterschlägt, das heißt eine derartige Vereinfachung darstellen, daß sie mit einer wahrhaften Beschreibung der Sachbestände allenfalls wenig gemein haben.
Analog zur vermutlich zutreffenderen Einteilung in Kulturkreise läßt sich sagen, daß eine Untersuchung von Mentalitäts- oder Einstellungsunterschieden von Menschen mit dörfli¬cher und städtischer Umgebung mehr Differenzen hervorbringen dürfte als die zwischen einem bayrischem und einem sächsischem Dorf.

2. Erziehung und Autorität

Auf welche Weise wirken sich unterschiedliche Systeme auf der Ebene von Ehe und Familie aus? Dieser Frage hat sich u.a. Reuband verschrieben. Dabei äußert er in Anleh¬nung an Scheuch die Vermutung, daß es für grundle¬gende soziale Institutionen wie die der Familie Beharrungskräfte gibt, und daher auf die¬ser Ebene mehr Ähnlichkeiten in vergleichender Perspektive zu entdecken seien als in den \"dazugehörigen\" politischen Systemen (vgl.: S.222).
In der Bestandsaufnahme entdeckt der Sozialwissenschaftler in Familie Ost und Familie West viele Gemeinsam- und Ähnlichkeiten: Mit 61% im Osten und 63% im Westen hiel¬ten beide die Erziehung der Kinder zu \"Selbständigkeit und freien Willen\" als die wich¬tigste Erziehungsaufgabe; nur \"5% der Ostdeutschen und 9% der Westdeutschen sprachen sich bevorzugt für `Gehorsam und Unterordnung` aus.\" (S.223) Eine Schülerumfrage 1990 ergab darüberhinaus, daß ein ähnlich großer Anteil, nämlich 70% im Westen und 65% im Osten, sich nachsichtig erzogen fühlten. Alsdann stellt der Autor mittels zweier Haupindi¬katoren das Ausmaß autoritärer Entscheidungsstrukturen in der Familie in zeitlicher Per¬spek¬tive auf. Reuband kommt zu dem Ergebnis, daß sich der Rückzug der Autorität in der Familie seit 1930 relativ kontinuierlich vollzieht (vgl.: S.227f.). In Bezug auf sein Er¬kenntnisinteresse des Vergleiches von Ost und West schreibt er: \"Im Vorkommen autoritä¬rer Entscheidungsmuster in der Familie überwiegen die Gemeinsamkeiten mehr als die Unterschiede. Und wenn es Differenzen gibt, belaufen sie sich auf wenige Prozentpunkte.\" (S.227/228) Die Beschreibung der autoritären Familiensituation, die dem Einzelnen jede Möglichkeit der Teilnahme nimmt, wie es bsplw. Maaz behaupte, finde sich in den Daten nicht wieder (s.S.230). In beiden Teilen Deutschlands deuteten Indikatoren (z.B. auch Anwendung körperlicher Strafen, Betonung von Pünktlichkeit u.a.) \"hin zu einer Erzie¬hung, die dem einzelnen mehr Freiraum für individuelle Rollengestaltung läßt.\" (Ebd.) Darüberhinaus gäbe es keinen Hinweis darauf, \"daß sich in der DDR generell ein autori¬täreres Sozialisationsmuster herausgebildet\" (ebd.) hätte.
Im Gegenzug zum Rückzug repressiver Methoden gewannen über die Zeit die Erziehung mittels Loben der Kinder an Bedeutung (vgl.: S.232). Reuband zieht den folgenden Schluß: \"Unsere Daten machen deutlich, daß das, was bisher als spezifisch für westliche Industriestaaten, insbesondere für die Bundesrepublik, ange¬sehen wurde, für diese of¬fenbar nicht spezifisch ist. Die DDR scheint - trotz ihrer poli¬tisch und ökonomisch gro¬ßen Beharrungstendenz - in ihrer Entwicklung dynamischer ge¬wesen zu sein als vermutet wurde.\" (S.233)

3. Freizeit, Arbeit und Familie

Auf die Frage nach der Wichtigkeit der Bereiche Freizeit, Arbeit und Familie kommen für Ost und West sehr ähnliche Werte heraus. Die größte Differenz wies bei dieser Untersu¬chung, bei der die Befragten 100 Punkte auf die drei Bereiche verteilen sollten, der Sek¬tor Arbeit auf: Er erhielt im Westen durchschnittlich 36, und im Osten 43 Punkte. Das \"weist auf eine ausgeprägtere Arbeitsorientierung der Ostdeutschen hin.\" (Ebd.: S. 21) Allerdings \"lohnt\" hier die Aufsplitterung in Geschlechtern. Diese ergibt, daß bei West-frauen der Familienbereich gegenüber dem Arbeitsbereich deutlich dominiert, und Ost-frauen beide Bereiche in etwa gleich wichtig sind (vgl. ebd.). Deutlich unterschiedlich ist der Umgang zwischen den Bereichen Arbeit und Familie. 75 % der westlichen Bevöl¬ke¬rung sprechen sich dafür aus, daß die Mutter bzw. ein Elternteil zu Hause bleiben soll¬te, wenn Kinder unter drei Jahren im Haushalt sind. Das meinen jedoch lediglich 42% im Osten (vgl.: Gerlach, 1995: 642). Dagegen gibt es im Hinblick auf die allgemeine Bedeu¬tung der Familie und der Partnerschaft \"einen breiten Konsens.\" (Veen/Zelle: S.23)
Im Westen läßt sich zeitlich ein \"stetiger Bedeutungsverlust der Arbeit und der Arbeits¬zeit gegenüber der Freizeit\" (Gerlach, 1995: 641) nachvollziehen. Während 1962 29% der befragten Berufstätigen die Stunden der Freizeit denen der Arbeit vorzogen, waren es 1990 bereits 42%. Gleichzeitig präferierten lediglich 23% der Ostdeutschen die Stunden der Freizeit (vgl. ebd.). Darüberhinaus ist im Westen der Hedonismus, im Osten die Lei¬stungs¬orientierung stärker ausgeprägt. Die Aussage: \"Ich möchte mein Leben genießen und mich nicht mehr abmühen als nötig. Man lebt schließlich nur einmal und die Hauptsa¬che ist doch, daß man etwas vom Leben hat\" stimmten 21% der Ostdeutschen und 42% der Westdeutschen zu (vgl. ebd.)! Im Westen hat gegenüber dem Osten insbesondere im Arbeitsbereich eine \"Verschiebung von den klassischen, puritanischen Tugenden hin zu den kommunikativen Tugenden wie Flexibilität, Ideenreichtum/Kreativität, Kommuni¬ka¬tionsfreudigkeit\" (Rode, 1989: 62) stattgefunden. Im Osten wird dagegen z.B. der Wert Disziplin, \"der im Westen kaum noch Zustimmung erhält\" (Gerlach, 1995: 641) von 56 % der Befragten im Osten als sehr wichtig angesehen.

Was angesichts der differierenden Beurteilungen von Tugenden (Disziplin, Pünktlichkeit, Flexibilität etc.) und verschiedener Bewertungen der Bereiche Arbeit und Freizeit über¬rascht, ist, daß ganz allgemein im Wertebereich vielerlei Ähnlichkeiten bestehen, ja sogar die Verteilung bestimmter Werte-Typen in der Gesellschaft vergleichbar sind (lt.: M. u. S. Greiffenhagen, 1995: 484).
Insgesamt lassen sich die aufgeführten Vergleiche damit zusammenfassen, daß entgegen der anfangs aufgestellten (und häufig vertretenen) Hypothese die Gleichheiten gegenüber den Ungleichheiten von Ost und West deutlich überwiegen. Damit allerdings mag für manchen Wissenschaftler ein \"Weltbild\" zusammenbrechen. Eines, das darin bestand, daß zwei verschiedenartige politische, ökonomische und gesellschaftliche Systeme die Men¬schen auch sehr unterschiedlich prägt.

 
 

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