In früheren Zeiten herrschte in China die Ansicht, dass die Bevölkerung ein Mass für die Weisheit des Herrschers sei. Man war daran interessiert, eine möglichst grosse Bevölkerung zu haben, die jedoch von Kriegen und Naturkatastrophen leicht verkleinert werden konnte. So hielt sich die Bevölkerung in einem natürlichen Gleichgewicht. Im Rahmen der Bevölkerungsumwälzung der neueren Zeit erkannte man im 18. Jh. den Zusammenhang zwischen der ständigen Preissteigerung, der Verelendung des Volkes und der Bevölkerungsexplosion. Doch selbst im 19. Jh., als auch der Niedergang Chinas langsam mit der Überbevölkerung in Zusammenhang gebracht wurde, dachte niemand daran, der Bevölkerungsexplosion auf politischem Weg, etwa durch Geburtenkontrolle, Einhalt zu gewähren. Es herrschte allgemein die Ansicht, dass die Kriege und Katastrophen, die den Untergang jeder Dynastie begleiten, das Problem regeln werde. Die Behörden waren der Meinung, dass sie die Zuwachsquote von 1% durch Krisen und Katastrophen zu einem Nullwachstum reduzieren würde. Doch trotz 15 Jahren Krieg und Revolution (ca. 1930 - 45) stagnierte die Bevölkerung keineswegs, sie stieg sogar mit einer Zuwachsquote von 2% noch schneller. Z.T. war das starke Wachstum auch durch Anstrengungen von Staat und internatio¬nalen karitativen Organisationen bedingt, die versuchten Epidemien, Hungersnöte etc. einzudämmen. Diese Zuwachsrate führte zu einer Verdoppelung der Bevölkerung allein in den 30er Jahren.
In den ersten Jahren der kommunistischen Volksrepublik, die 1948/49 gegründet wurde, wurde jeder Versuch über eine politisch geplante Beschränkung des Bevölkerungswachstums zu diskutieren mit dem Zitat Maos abgeblockt: "Es ist eine ausgezeichnete Sache, dass China eine grosse Bevölkerung hat!" (aus: Staiger Brunhilde, 1980: 103). Auch ideologisch waren solche Massnahmen nicht erwünscht, da Geburtenbeschränkung immer mit grosser wirtschaftlicher Not und Versagen eines Herrschers in Zusammenhang gebracht wurde.
Erst unter dem Druck konkreter Verteilungsprobleme und einer schwer kontrollierbaren Landflucht, die eine Wohnraumknappheit in den Städten verursachte, konnten sich Befürworter der Geburtenkontrolle innerhalb der Partei zu Wort melden. Mitte der 50er Jahre kam es zu einem Kompromissvorschlag, nachdem Geburtenplanung nicht mehr länger als Bankerotterklärung angesehen wurde, sondern in den Gesamtrahmen sozio-ökonomischer Planung mit einbezogen wurde. Mao Tse-tung brachte diese Haltung später auf die Formel, die in China heute noch gilt: "Wir dürfen es nicht zulassen, dass in der menschlichen Reproduktion Anarchie herrscht, deshalb ist es auch nötig Geburten zu planen." (aus: Staiger Brunhilde, 1980: 105). Vornehmlich ökonomische Gründe führten zu dieser Einsicht und dazu, dass seit 1956 eine Politik mit Geburtenkontrolle betrieben wurde. Doch auch diese war von der Erklärung Maos geprägt, dass es in einem kommunistischen Staat keine Überbevölkerung gebe, dass eine grosse Bevölkerung ein gute Sache sei. Die Befürworter von Geburtenkontrollen hatten im Endeffekt zwar recht, lagen in einem Punkt der wirtschaftlichen Folgen aber falsch. Dass eine Bevölkerungsvermehrung keine Vermehrung des Nahrungsmittelangebots nach sich ziehen muss, trifft auf China nicht zu. Einer Bevölkerungszunahme von 30% in 15 Jahren stand eine Zunahme der Getreideproduktion von 40% gegenüber. Zusätzlich herrschte zum Teil ein Mangel an ungelernten Arbeitskräften. Auf lange Sicht hinaus musste der jährliche Arbeitskräfteüberschuss (ca. 10 Mio.), der jedes Jahr zu den ca. 20 Mio. Arbeitslosen (1957) hinzukamen, Wirtschaft und Gesellschaft teuer zu stehen kommen. So wandelte sich die Ursache des Problems Überbevölkerung von der ungerechten Verteilung der Arbeit, wie es Mao erklärte und durch das kommu¬nistische System löste, zu einer Knappheit an verfügbarem Kapital für Investitionen. China lief damit Gefahr seine technologische Revolution zu verpassen, da es auf Techniker setzten musste, deren Produktivität relativ gering war.
Dass Chinas Führung Massnahmen zur Geburtenkontrolle ergriff und zu unterstützen begann, ist u.a. auch auf die Hartnäckigkeit des chinesischen Frauenverbandes zurückzuführen, der trotz einigen Rückschlägen die Geburtenkontrolle stets als Emanzipation der Stellung der Frau verfochten.
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