In ärmeren Großstädten sind die Marginalsiedlungen das größte Problem. Sie beherbergen schon manchmal bis 80% der Stadtbevölkerung, die dort in einer menschenunwürdigen Umgebung leben muß.
Was sind Marginalsiedlungen?
Folgende Kriterien charakterisieren eine Marginalsiedlung:
. mangelhafte Bausubstanz: Die Behausungen sind meistens einfache Lehm-, oder Holzhütten, die schon nach wenigen Jahren verfallen und vermodern. Sie treten hauptsächlich an den Stadträndern auf.
. hohe Wohndichte: Die dicht aneinander liegenden, kleinen Baracken beherbergen durchschnittlich 11 Personen wobei jede nur 6m2 zur Verfügung hat.
. unzureichende Wohninfrastruktur: Selten hat ein Haus einen Wasser-, oder Kanalanschluß, der (falls vorhanden) normalerweise fast immer von mehreren Haushalten benützt wird und für alle zugänglich ist.
. unzureichende öffentliche Infrastruktur: Wichtige Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser sind nicht zugänglich und auch die Stromversorgung ist oft nicht gewährleistet. Verkehrsnetze sind gar nicht bis nur ansatzweise vorhanden.
. hoher Anteil von Erwerbspersonen mit einem sehr niedrigem oder gar keinem Einkommen.
Der Begriff \"Marginal\" ist also sowohl auf den räumlichen und bausubstanziellen Teil als auch auf das soziale Umfeld in den Siedlungen bezogen.
Entstehung und Bevölkerungsentwicklung
Durch den Verstädterungsprozess, der vor ca. 35-40 Jahren einsetzte, zogen viele unqualifizierte Angehörige agrarsozialer Schichten in die Großstädte. Im Jahr wanderten bis zu 500000 dieser Leute in die Ballungsräume. Dadurch stieg die Konzentration der Landesbevölkerung in den Städten auf 25% - 40%.
Wegen des fehlenden Strebens nach Eingliederung der unteren Schichten in den Arbeitssektor und der nicht vorhandenen Wohnbaumaßnahmen, entstanden Marginalsiedlungen, die aus den selben Gründen immer noch wachsen.
Um alle Zuwanderer bis zum Jahre 2000 unterzubringen, müßten 355 Mio. neue Wohneinheiten gebaut werden, wobei die notwendigen Ersatzbauten für abbruchreife Hütten noch nicht berücksichtigt sind.
(Zahlen beziehen sich auf den Durchschnitt der weltweit vorhandenen Marginalsiedlungen)
Für Großstädte der Dritten Welt zählt die Bereitstellung von ausreichend Wohnraum zu den gravierendsten Problemen.
Typen von Marginalsiedlungen
Bei den großstädtischen Marginalsiedlungen gibt es gebietsabhängige Unterschiede aber im allgemeinen gibt es folgende Typen:
. Slums: Als Slums werden die degradierten, ehemaligen Wohnviertel der Ober-, Mittel-, und Unterschicht im Innenstadtbereich bezeichnet. Sie haben dann diese Eigenschaften:
1. zimmerweise Aufteilung der größeren Wohnungen und Häuser zur
2. zimmerweisen Vermietung und Untermietung von Schlafstätten oder Räumen.
3. starkes Auftreten von sozialen Anomalien wie Diebstahl, Raub, Überfall, Schmuggel, Drogenhandel, Prostitution usw.
Wichtig ist außerdem, daß die Wohneinheiten nur vermietet werden. Ein Slumlord errichtet einfache Hütten oder unterteilt vorhandene Wohnungen. Er kann auch nur kleine Parzellen verpachten und zum Bau freigeben. Diese menschenunwürdigen Wohnviertel sind trotz aller Umstände wichtige ethnische und religiöse Bestandteile einer Großstadt, die aber durch das Erweitern der City immer mehr an Umfang verlieren. Dennoch waren sie bis in die 60er Jahre die bedeutendsten Auffangquartiere für Zuwanderer aus den unteren Sozialschichten.
. Illegale Marginalsiedlungen: Diese Wohneinheiten werden meistens auf besetztem, öffentlichen oder privaten Grundstücken gesetzwidrig errichtet. Sie entstehen auf freien Flächen im inneren Bereich der Großstädte. Als Baumaterialien werden verschiedene Gebäudereste verwendet.
1. Bei langfristig geplanten illegalen Ansiedlungen wie den \"Squatter Siedlungen\", die von Zuwanderern aus dem agrarsozialen Bereich mit niedrigen Einkommen bewohnt werden, greifen auch gelegentlich Ordnungskräfte ein und räumen das besetzte Gebiet. Geduldet werden sie nur auf wertlosen Flächen wie Steilhängen oder Überschwemmungsgebieten.
2. Eine weitere Form von illegalen Marginalsiedlungen sind die sogenannten \"pavement dwellers\", die meist auf öffentlichen Einrichtungen, wie Bahnhöfen, Parks, Friedhöfen oder Gehsteigen schlafen und ihren Bereich mit Planen oder Decken abgrenzen. Auch hier gibt es manchmal Räumungsaktionen mit aber nur geringer Wirkung. Bei solchen Eingriffen ist auch die Korruptheit der Behörden bemerkbar, die sich durch wenig Geld abwimmeln lassen.
3. Die \"rental settlements\" bestehen aus unerlaubt verpachteten agrarsozialen Flächen.
. Semilegale Marginalsiedlungen: sind teilweise erlaubt und machen in den großen Städten der Welt wie Mexico City oder Sao Paulo einen bedeutenden Prozentsatz gegenüber von illegal genutzten Flächen aus. 5 Mio. Einw. sind in semilegalen und 0.5 Mio. in illegalen Wohneinheiten untergebracht. Folgende Kriterien beschreiben teilweise erlaubte Marginalsiedlungen:
1. Aufteilung von Landwirtschaftsgrundstücken und Verkauf durch Immobilienmakler
2. nach vollständiger Bezahlung werden die Besitzrechte übertragen
3. Nichtbeachtung von Planungsvorschriften und Genehmigungen
4. Käufer stammen hauptsächlich aus unteren sozialen Schichten, die sich aber mit dem vorhandenen, niedrigen Einkommen Anzahlung und Raten leisten können.
Strategien zur Lösung des Marginalsiedlungsproblems
Es lassen sich generell verschiedene Verbesserungsformen unterscheiden, die jeweils an die Problemsituationen angepaßt sind:
. Niedrigkosten-Wohnungsbau:
Diese am häufigsten angewendete Strategie besteht darin, mit wenig Aufwand viel zu bauen. Diese großen in Billigstbauweise konstruierten Wohnblocks verdrängen die heruntergekommenen Marginalsiedlungen zwar, stellen aber dann oft wegen des Preises keine Ausweichmöglichkeit für die unteren Schichten mehr dar, sondern erzwingen auf anderen Flächen neue Slums. Oft werden auch Reihenhäuser am Stadtrand gebaut, die man dann selbst verbessern kann und von hoher Attraktivität sind. Beide Varianten können sich nur Angehörige der unteren Sozialschichten mit regelmäßigem Einkommen leisten. Es entsteht ein Selektionsprozess.
. Selbsthilfeprogramme:
Das HABITAT-Projekt der UNO aus dem Jahre 1976 fördert die kollektive Selbsthilfe zur Errichtung oder Verbesserung von Wohnräumen. Es entstehen weniger Kosten durch die Selbstverwaltung und durch die Verwendung von billigen, einheimischen Werkstoffen und einfachen Technologien. Dazu werden meist verlorene Kredite von der Regierung zur Verfügung gestellt um die Ausgaben zu finanzieren. Wichtiger ist jedoch, daß sich jeder einzelne kostenlos für das Projekt einsetzt und mitarbeitet. Kennzeichen für diese \"site and service\" Programme sind:
. öffentliche Bereitstellung von Flächen
. Grundstückvergabe an Bewerber mit niedrigem Einkommen
. Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur
. Verbesserung der Häuser durch Selbst- und Nachbarschaftshilfe
. \"Core-housing-Programme\"
Die gelten als gehobene Variante der \"site and service\" Programme. Hier werden beim Kauf eines Grundstücks ein bereits errichteter \"Kern\" ohne Einrichtungen oder Installationen übergeben. Letztere Verbesserungen führen die Bewohner wiederum selbst aus.
. \"Upgrading-Programme\"
Bei diesen Maßnahmen werden die meistens illegalen Marginalsiedlungen legalisiert und die Bewohner bei der Instandsetzung von Infrastruktur und Wohnmaterial unterstützt. Die Vorteile beim \"upgrading\" bestehen darin, daß die soziale, kulturelle und familiäre Integrität bewahrt bleibt und der Geldaufwand der Behörden relativ gering ist, da die Kosten großteils von den Bewohnern selbst getragen werden.
Schlußbemerkung
Alle bisherigen Programme zur Lösung des Marginalsiedlungsproblems sind leider quantitativ völlig unzureichend und bekämpfen es nicht an der Wurzel der Zuwanderung. So sind sie vielmehr eine Entschuldigung für die schlechte Planung und Wirtschaft.
|