Als wir in Darwin das klimatisierte Flughafengebäude verließen, glaubten wir geohrfeigt zu werden. Die drückende Hitze war auch spät in der Nacht noch so stark, daß schon das Verscheuchen einer Fliege einen Schweißausbruch zur Folge hatte. Mit einem Shuttle-Bus fuhren wir in die Stadt, und es dauerte kaum eine halbe Stunde, da waren wir auch schon in einer Jugendherberge (Backpackers Ressorts) untergebracht. Es gibt in Australien etwa 140 solche, voneinander unabhängige Ressorts, wo man im Gegensatz zu den eigens gekennzeichneten Jugendherbergen (YHA) keine Mitgliedschaft benötigt. Der lockere Lebensstil, der in solchen Unterkünften herrscht, sagte uns sofort zu und wir waren in unserem einfachen, zweckmäßig eingerichteten Zimmer sofort 'zu Hause'.
Darwin ist die jüngste, australische Hauptstadt mit interessanter, multikultureller Ausrichtung, denn Einwanderer aus fast fünfzig Nationen sind hier ansässig geworden. Die Bevölkerung des Nord Territoriums erwartet sich aufgrund der günstigen Lage Darwins (Südostasien ist nicht weit), daß sich die Stadt zu einem weiteren, wirtschaftlichen Zentrum oder zu einem australischen Singapur entwickeln würde.
Zu Weihnachten 1974 zerstörte der Wirbelsturm 'Tracy' mit Windgeschwindigkeiten von 280 km/h die Stadt fast vollständig. Am Wachstum und Wohlstand Darwins ist der Tourismus unübersehbar beteiligt. Auf die 73.000 Einwohner kommen jährlich 495.000 Besucher, die das 'Top End' bereisen.
Bei einem Rundgang kann man die meisten Sehenswürdigkeiten und die locker-lässige Atmosphäre der Stadt kennenlernen. Wegen der tropischen Mittagshitze, unternimmt man solche Spaziergänge schon früh am Morgen oder später am Abend. Die Mittagszeit verbringt man am besten an einem Pool oder im Bett. Dabei kann man den Mauergeckos zusehen, wie sie über die Wände huschen. In einem kleinen Garten neben unserer Unterkunft bemerkten wir zwei Mungos, die sich auf ihren nächtlichen Beutezügen ganz nahe an menschliche Behausungen heranwagten.
Unser Ventilator im Zimmer hatte große Mühe, die brütende Luft zumindest ein bißchen durcheinanderzuwirbeln.
An jeder Ecke der Stadt wurden mehrtägige Ausflüge in den Kakadu Nationalpark mit seinen Naturschönheiten angeboten. Weil wir von Natur aus neugierig sind, buchten wir eine solche Tour. Wir hatten Glück, denn unsere Reisegruppe bestand aus nicht mehr als zehn jungen Leuten aus verschiedenen Nationen, und wir waren mit einem Führer unterwegs, den wir den 'Mann aus dem Sumpf' nannten. Man hatte so das Gefühl, daß sich Jason, so hieß er, nur dann richtig wohl und zuhause fühlte, wenn er den Motor des Landcruiser hörte und er selbst vor Dreck fast erstarrte. Die gewählte Richtung führte uns zuerst aus der Stadt nach Osten, zum Adelaide River, wo wir ein Stück des Flusses mit dem Boot befuhren. Kaum waren wir auf dem Wasser, tauchten auch schon die ersten Krokodile aus dem trüben Wasser auf. Jeden von uns beschlich das Gefühl, daß uns diese riesigen, gepanzerte Echsen, mit ihren eiskalten Blicken beobachteten, als würden sie gerade an das Abendessen denken. Würde man sich dabei über die Reeling lehnen, gäbe man den Krokodilen zu verstehen, daß hier etwas zu holen ist. Der Bootsführer bemerkte auch, daß diese Tiere kräftig genug seien, um ins Boot zu springen. Es war ein unheimliches Gefühl, so feindselig von allen Seiten beobachtet zu werden. Und wieder beschlich uns der Gedanke, daß der Mensch in einer derart unberührten Natur ziemlich fehl am Platz ist.
Im dichten Uferwald nistete ein seltener Seeadler, der sich ein Stück Fleisch, das man ihm an einer langen Stange aus dem Boot hielt, blitzschnell aus dem Flug schnappte.
In einer sicheren Entfernung zum Fluß, grasten einige Wasserbüffel, die einst nur im asiatischen Raum beheimatet waren aber von Einwanderern aus China mitgenommen wurden. Im tropischen Klima mit seiner hohen Luftfeuchtigkeit fanden die Büffel auch hier einen geeigneten Lebensraum.
Unser Weg führte uns weiter Richtung Osten auf dem endlosen, schwarzen Asphaltstreifen des Arnhem Highways, der in die entlegene Urwaldsiedlung Jabiru führt. Aufgrund der Tatsache, daß es in diesem Teil Australiens ungefähr sieben Monate im Jahr regnet, überquerten wir ein gigantisches Überschwemmungsgebiet, das als Trinkwasserreservoir für Darwin dient. Vom Wandern durch dieses dichte, bodennah bewachsene Gebiet wird, aufgrund der vielen Schlangen, Krokodile und Moskitoschwärme, dringend abgeraten.
Als das 'West Land' bereits einige Kilometer hinter uns lag, standen links und rechts der Straße tausende Termitenbauten, von denen die größten mehr als vier Meter über den Boden hinausragten. Im Inneren dieser Kathedralen lebt eine einzige Königin, die bei einer konstanten Raumtemperatur von 45° für die gesamte Nachkommenschaft des Termitenvolkes verantwortlich ist. Ein Millionenheer von Arbeiterinnen ist ständig damit beschäftigt, den Bau zu erweitern. Dabei reißen sie winzige Grasbüschel aus und kleben sie mit Hilfe von Speichel und Exkrementen an das bestehende Bauwerk. An regnerischen Tagen, so sagte man uns, würden diese Kathedralen, aufgrund der hohen Innentemperatur, wie Schornsteine rauchen.
Während der mehrstündigen Fahrt durch den tropischen Urwald, trat Jason, unser Fahrer, plötzlich auf die Bremse. Etwa fünfzig Meter vor uns hatte sich eine Kragenechse mitten auf der Fahrbahn drohend aufgerichtet. Jason, der tollkühne Buschläufer, sprang aus dem Auto und hetzte der Echse, die inzwischen die Flucht ergriffen hatte, nach. Selbst als das Tier in der Krone einer Palme verschwand, gab der Mann aus dem Sumpf nicht auf. Gewandt verfolgte er die Echse bis in die Palmenkrone, angefeuert von unseren beiden japanischen Reisegefährtinnen. Der Abstieg gestaltete sich für Jason ungleich schwerer, weil ihn das Reptil ständig zu beißen und kratzen versuchte. Schließlich ließ er sich einfach, mit der Kragenechse in der Hand, vom Baum in den Dreck fallen. Stolz präsentierte er seinen Fang, den es ausschließlich in Nordaustralien zu bewundern gibt. Die sonst flach anliegende Kragenhaut stellt das Tier nur dann auf, wenn es sich bedroht fühlt. Es versucht dann mit Imponiergehabe und Zischlauten, größer und gefährlicher zu wirken.
Das Eigenartigste an dem Reptil ist jedoch, daß es sich auf der Flucht auf seine Hinterbeine stellt und hocherhobenen Hauptes durchs Dickicht joggt.
Der Kakadu Nationalpark hat seinen Namen nicht von den Kakadu-Vögeln, sondern von Gagadju, einer Sprache der Aborigines, die dort im Arnhem Land schon mehr als dreißigtausend Jahre leben. Doch ist anzunehmen, daß sie schon viel länger hier sind - als Teil der Natur und Landschaft, wir ihre mythischen Geschichten von den Anfängen allen Seins in der Traumzeit berichten.
Dieser Nationalpark ist nicht nur der größte Australiens, sondern zugleich auch der drittgrößte der Welt. Er umfaßt eine Fläche von 1,75 Millionen ha. Er hat eine Ausdehnung von Nord nach Süd von über 200 km und von 100 km von Ost nach West. Im Norden des Parks, am felsigen Hochplateau, wanderten wir zu Fuß durch unwegsames Gebiet zum Ubirr Rock, einer wunderbaren Plattform, von wo man einen grandiosen Ausblick auf endloses Buschland, auf Sumpflandschaften und auf das weniger dicht bewachsene Felsplateau im Norden mit dem South Alligator River im dunstigen Hintergrund, hat.
Der Aufstieg war aufgrund des extrem schwülen Klimas eine ziemlich schweißtreibende Angelegenheit. Der Flüssigkeitsverlust war enorm. Außerdem wurden wir dort ständig von Fliegenschwärmen belästigt, die gnadenlos unsere Gesichter, vor allem die Augen und den Mund, als Landeplatz bevorzugten.
Die Behausungen der Aborigines, mit ihren reichhaltig ausgestatteten Wandmalereien, schienen so frisch verlassen und jederzeit wieder bezugsfertig, als würden die Familien erst heute Morgen ausgezogen sein. In Wirklichkeit haben sie aber schon vor Jahrzehnten diesen Teil von Arnhem Land verlassen, als ihre heiligen Stätten für jedermann zugänglich gemacht wurden.
Am Abend saßen wir am South Alligator River und beobachteten einen großartigen und farbenprächtigen Sonnenuntergang. Kurz danach fuhren wir bei völliger Dunkelheit auf einem einfachen Weg in unser bescheidenes Camp, bestehend aus zwei großen Zelten. Schnell war ein Feuer entfacht, auf dem wir große Stücke Rindersteaks braten konnten. Dazu gab es allerlei frisches Gemüse und Obst. Vom Duft unserer Steaks und vom Schein des Feuers angezogen, kamen Dingos aus dem Dschungel und beobachteten uns.
Die Nacht war sehr warm, sodaß wir wie immer ohne Schlafsack auf einer einfachen Matratze schliefen. Zur Vorsicht hatten wir uns noch am Abend mit einem Insektenschutzmittel eingesprüht, und siehe da - es hat überhaupt nichts genützt. Wir waren mit Stichen übersäht. Schon um fünf Uhr früh standen wir auf, kratzten unsere Einstichstellen und nahmen ein wohlschmeckendes Frühstück aus Obst und Gemüse zu uns, und schon konnte die Fahrt durch den Kakadu Nationalpark weitergehen. Zuvor bemerkten wir noch, daß alle Knochen unserer Steaks feinsäuberlich abgenagt waren, aber von den Dingos war weit und breit nichts mehr zu sehen.
Auf zum letzten Paradies
Unser Tagesziel waren die Twin- und Jim Jim-Falls im südlichen Teil des Parks. Der Weg dorthin war ausschließlich mit einem robusten und geländegängigen Fahrzeug zu bewältigen. 60 Kilometer unwegsamstes Gelände trennten uns vom Tagesziel. Wenn man Jason beim Fahren durch den Urwald zusah, wie er lächelnd über Stock und Stein hopste, so hatte man das Gefühl, daß er sich nur hier zuhause fühlt. Wir mußten mit dem Auto Flüsse durchqueren, wobei Jason keinen Augenblick zögerte, vorher zu Fuß den Wasserstand zu messen und eine günstige Durchfahrtsmöglichkeit auszukundschaften. Es machte ihm dabei nichts aus, dabei der Länge nach ins Wasser zu stürzen. Völlig durchnäßt und schmutzig (aber glücklich), sprang er dann wieder ins Auto und fuhr mit vorgestrecktem Kinn durch das Hindernis. Mehrere Stunden manövrierte er auf diese Weise sein Fahrzeug durch die Wildnis.
Endlich kamen wir an einer grandiosen Sandsteinschlucht an. Vor der Begehung dieser Schlucht, verteilte Jason Luftmatratzen an jeden von uns. Die Vegetation am Eingang der Schlucht war dicht, doch man kam in einem breiten Pfad zügig voran. Bald schon war der Boden zu felsig, um noch irgend einer Pflanze als Nährboden zu dienen, und so gab es bald nur noch blanken Fels, der links und rechts 200 Meter senkrecht aufragte. Dazwischen war nur der stille, ruhige Fluß und der staubige, ausgetretene Weg. An der nächsten Biegung endete schließlich auch noch dieser Pfad. Jetzt wußten wir wozu wir die Luftmatratzen mitschleppten mußten. Mit diesen Schwimmbehelfen glitten wir durch das ruhige, 25° warme Wasser, vorbei an steilen Felswänden und unter gefährlich überhängenden Steinkolossen. Schon von weitem vernahmen wir das Getöse eines Wasserfalls. Langsam und fast lautlos glitten wir etwa 800 Meter durch die schmale Schlucht. Plötzlich weitete sich das enge Tal zu einem großen, runden Talkessel mit senkrechten, rostbraunen bis schwarzen Steinwänden. Über diese Wände stürzten die Twin Falls 200 Meter in das Becken, das wir gerade erreichten.
Außerdem gab es dort noch einen kleinen, strahlendweißen Sandstrand und einige grüne Sträucher. Staunend ließen wir die unglaublich positive Stimmung, die von diesem paradiesischen Ort ausging, auf uns einwirken. Eine besondere Genugtuung war es, sich das erfrischende Naß das Wasserfalls, auf den Kopf und den Rücken prasseln zu lassen.
Nie werde ich diese Stimmung vergessen, als wir staunend und schweigend dastanden und dem Rauschen der Wasserfälle lauschten. Wenn man dabei in die leuchtenden Augen der anderen gesehen hat, wußte man, jeder ist überwältigt von der verschwenderischen Schönheit der Natur, in der jedes gesprochene Wort als störend empfunden worden wäre. Stundenlang, ja tagelang hätte ich an der Stelle bleiben wollen, doch Jason, der an den Tagesplan dachte, drängte zum Aufbruch. Gemächlich ließen wir uns wieder aus dem Paradies hinaustreiben.
Als wir wieder beim Auto angelangt waren, spürten wir erst wieder die Hitze des Tages und ein Fliegenschwarm stürzte sich unbarmherzig in unsere Gesichter. Nur Jason konnten diese Viecher nichts anhaben. "I love flys\", versicherte er uns immer wieder. Einen japanischen Mitreisenden brachten die Insekten jedoch zur Raserei. Laut schimpfend und fluchend schlug er wie ein Karatekämpfer auf die Fliegen ein.
Eine andere Schlucht führte zu den Jim-Jim Fällen. Dieser Felseinschnitt war etwas breiter als der erste, es lagen hier aber viel mehr Gesteinsbrocken umher, die das Vorankommen erheblich erschwerten. Sehr schnell war die Anstrengung vergessen, als wir am Fuß der Wasserfälle standen und in das angenehm kühle, glasklare Naß eintauchten. Das frische Wasser war den Australiern viel zu kalt zum Schwimmen, aber wir Europäer ließen es uns nicht nehmen, auch von dieser gigantischen Naturdusche Gebrauch zu machen.
Leider drängte schon wieder die Zeit, und wir kletterten durch die Geröllmassen, an zerklüfteten Felsformationen vorbei zum geparkten Auto, das uns in der Nacht nach anstrengender, fünfstündiger Fahrt zurück nach Darwin brachte. Wir waren sehr froh, eine solche Tour mitgemacht zu haben. Denn ohne die Ortskenntnisse eines erfahrenen Führers und ohne geeignetem Fahrzeug wären uns viele dieser Naturschönheiten verborgen geblieben. Erleichtert waren wir, als im brütend heißen Darwin, die Fliegenplage endlich ein Ende gefunden hatte.
Am nächsten Morgen bestiegen wir einen Überlandbus, der uns nach Alice Springs bringen sollte. Die 1500 Kilometer lange Fahrt begann um 11 Uhr Vormittags und endete um 5 Uhr früh des nächsten Tages. Irgendwann in der Nacht, hielt plötzlich der Bus und alle Passagiere verließen das Fahrzeug. Verschlafen und völlig verwirrt torkelten auch wir ins Freie und folgten den anderen in einen Wartesaal. Ich benötigte noch einige Minuten um zu begreifen, wo ich war. Egal, wenig später saßen wir wieder im Bus nach Alice Springs und rollten über den schnurgeraden Stuart Highway Richtung Süden.
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