KAIZEN bezieht jeden Mitarbeiter innerhalb der Unternehmung mit ein. Diese lassen sich in drei Personengruppen unterscheiden, die nachfolgend speziell betrachtet werden:
Einzelne Mitarbeiter, Gruppen und das Management.
Abbildung 3.12 Die Personengruppen bei KAIZEN
Diese Personengruppen einer Unternehmung haben unterschiedliche Aufgaben und Stärken. Der KAIZEN-Prozeß muß diesem Umstand Rechnung tragen.
3.5.1 DER MITARBEITER
Die Mitarbeiter an der Quelle der Wertschöpfung sind diejenigen, die das größte Know-how in diesem Bereich haben. Sie erbringen die eigentliche Wertschöpfung der Unterneh-mung, nicht aber die Verwalter dieser Tätigkeiten oder ihre Vorgesetzten.
Jeder Mitarbeiter sollte daher die Möglichkeit haben, die seinen Arbeitsplatz betreffenden Angelegenheiten zu verbessern. Der Fokus beim personenorientierten KAIZEN wird bei den Änderungsmaßnahmen auf den motivationsfördernden Aspekt für die Mitarbeiter ge-legt, nicht auf den direkten wirtschaftlichen Nutzen.
Exakte Stellenbeschreibungen und klar abgegrenzte Kompetenzbereiche behindern den KAIZEN-Prozeß. Ein Mitarbeiter, der seine Arbeit verbessern will, sollte sich für den ihm vorgelagerten Bereich interessieren, von dem er beliefert wird. Die anderen Mitarbeiter müssen einbezogen werden. In jedem Bereich mit mehr als einem Arbeiter gibt es "Grau-zonen der Arbeit". Für diese ist keine definierte Einzelperson verantwortlich, sondern der, der eben gerade da ist. Wenn sich dieser Arbeiter unter Berufung auf seine Stellen-beschreibung weigert, mehr zu tun als formal von ihm verlangt wird, besteht wenig Hoff-nung auf KAIZEN. IMAI verweist darauf, daß japanische Arbeiter große Bereitschaft zei-gen, sich solcher Grauzonen anzunehmen. Wegen des Systems der lebenslangen Beschäfti-gung haben sie nichts zu befürchten, wenn ein Kollege einen Teil seiner Arbeit übernimmt, es wirkt sich weder auf ihren Lohn noch auf die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes aus.
Die Mitarbeiter müssen daher nicht aufgaben- sondern prozeßorientiert denken und han-deln. Steuerungs- und Regelungstätigkeiten und insbesondere die Fähigkeit zur Problem-lösung bestimmen ihre Arbeit.
3.5.2 DIE GRUPPE
Das Konzept der Gruppenarbeit steht heute wieder im Mittelpunkt der Organisation-sentwicklung. Zu unterscheiden sind Arbeitsgruppen, die für längere Zeit zusammenar-beiten und speziell gebildete Problemlösungsgruppen (ad-hoc Gruppen), die nach Beendigung ihrer Aufgabe wieder aufgelöst werden.
Arbeitsgruppen haben allgemein folgende drei Funktionen gleichzeitig zu erfüllen:
. Produktionsfunktion: Die Mitglieder der Gruppe haben die ihnen übertragenen Aufgaben möglichst effizient auszuführen und ihre Produktionsziele zu erreichen.
. Qualifikationsfunktion: Die Mitglieder haben zur Steigerung der Flexibilität und Produktivität innerhalb der Gruppe ihre Kenntnisse und Fähigkeiten ständig auszubauen, um an mehreren Arbeitsplätzen einsetzbar zu sein und dem technischen Fortschritt folgen zu können.
. Verbesserungsfunktion: Von den Gruppenmitgliedern wird erwartet, daß sie auf-tretende Probleme im Arbeitsablauf weitestgehend selbst lösen und somit zu einer permanenten Verbesserung im Sinne von KAIZEN beitragen.
Um diese Funktionen erfüllen zu können, bedarf es einer entsprechenden Aufgabenstruktu-rierung, Zeitsouveränität, geeigneter Handlungsspielräume und einer Teilautonomie der Gruppe. Der Arbeitsplatz wird neben dem reinen Fertigungsort damit auch zum Problem-lösungs- und Lernort. Die integrierten Gruppen werden damit zu einem selbststeuernden Teilsystem innerhalb der Organisation, das mit Unterstützung von außen eigenständig seine Aufgaben zu erfüllen hat. Gruppenarbeit bedeutet aber vor allem das bewußte Zusammenbringen von Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und die Auseinander¬setz¬ung mit diesen verschiedenen Ansichten, um sie schließlich zu vereinen.
Für die einzelnen Gruppenmitglieder bestehen keine exakt festgelegten Stellen-beschreibungen. Jeder Mitarbeiter sollte in der Lage sein, alle Aufgaben in der geforderten hohen Qualität zu erfüllen, fehlende Kenntnisse sich rasch anzueignen, und bereit sein, an der
Lösung des Gesamtproblems mitzuwirken. Der Kollege im Team ist der jeweilige "Kunde" der Kunden-Lieferanten-Beziehung bzw. das im Wertschöpfungsprozeß nachge-lagerte Team stellt den Kunden der Arbeitsgruppe dar.
Gruppenarbeit erweist sich in vielen Fällen als wirtschaftlicher, da der Problemlösungs¬prozeß in die Gruppe verlegt wird und nicht von außenstehenden Spezialisten erfüllt wird. Das Gelingen der Gruppenarbeit setzt allerdings geeignete organisatorische Rahmenbedin-gungen voraus. Der Gruppe muß die Zeit und Möglichkeit gegeben werden, anfallende Probleme selbst zu lösen und Lösungen sofort umzusetzen. Fachabteilungen werden dabei als Spezialisten und Berater von den Gruppen hinzugezogen.
Problemlösungsgruppen werden im Gegensatz zu Arbeitsgruppen für eine begrenzte Zeit und speziell für eine bestimmte Aufgabe gebildet. Die Leitung des Teams kann entweder durch den direkten Vorgesetzten ausgeübt werden oder die Mitarbeiter wählen aus ihrer Mitte einen geeigneten Kandidaten. Der letztgenannte Vorschlag hat den Vorteil, daß der Leiter als Kollege betrachtet wird, was - vor allem in der Anfangsphase - die Bildung einer offenen Atmosphäre erheblich erleichtert. Der Leiter sollte als Moderator ausge-bildet sein. Die Mitarbeit der Teilnehmer sollte auf freiwilliger Basis erfolgen.
Die Vorteile der Problemlösungsgruppen erweisen sich meist schon nach kurzer Zeit:
. Setzen und Erreichen von Gruppenzielen fördert die Teamarbeit
. In Gruppen werden Rollen besser verteilt und koordiniert
. Die Kommunikation zwischen Belegschaft und Management, aber auch zwischen den verschiedenen Arbeitergenerationen wird verbessert
. Verbesserung der Arbeitsmoral
. Die Arbeiter entwickeln neue Fähigkeiten, sammeln Wissen und arbeiten besser zusammen
. Die Gruppen tragen sich selbst und lösen Probleme, um die sich sonst das Manage-ment kümmert
. Die Beziehungen zwischen Management und Arbeitnehmervertretung werden entscheidend verbessert
Weitere Vorteile des Gruppenvorschlags gegenüber dem traditionellen individuellen Vorschlagswesen liegen auch in der besseren Qualität der Vorschläge, die ausgereifter und leichter realisierbar sind.
Bei der Volkswagen AG erfolgt die Arbeit der Problemlösungsgruppen in "KVP2"-Workshops. Volkswagen führte innerhalb von einem halben Jahr fast 1600 Workshops durch, die zu signifikanten Verbesserungen führten. Diese Workshops motivieren die Mi-tarbeiter zum intensiven Weitermachen. PETER HARZ berichtet von einer "Aufbruchsstim-mung", die sich breit macht.
3.5.3 DAS MANAGEMENT
KAIZEN betrifft jeden, deshalb muß auch das Management seine eigene Arbeit verbessern. Das japanische Management geht im allgemeinen davon aus, daß ein Manager mindestens 50 Prozent seiner Zeit der Verbesserung widmen soll.
Innerhalb der KAIZEN-Philosophie hat das Management zwei Hauptaufgaben: Erhalt¬ung und Verbesserung. Unter Erhaltung sind jene Aktivitäten zu verstehen, welche auf Aufrechterhaltung bestehender technologischer, arbeits- und ablaufmäßiger Standards ab-zielen. Dabei ist es wichtig auf die Arbeitsleistung und somit auf E-Kriterien zu achten. Sobald ein Standard festgelegt ist, muß das Management sicherstellen, daß er von allen Mi-tarbeitern befolgt wird. Zur Verbesserung führen all jene Aktivitäten, die zur Optimier¬ung dieser bestehenden Standards führen. Der Manager muß dabei den Prozeß bewerten, der zu einem bestimmten Ergebnis geführt hat. Dabei hat es der Manager mit P-Kriterien zu tun.
Die Kreativität der Mitarbeiter hängt vor allem davon ab, in welchem Ausmaß sie vom Management unterstützt werden. Wenn Mitarbeiter eines Vorgesetzten keine kreativen
Ideen äußern, liegt das Problem höchstwahrscheinlich bei ihm selbst und nicht bei seinen Mitarbeitern. IMAI betont in diesem Zusammenhang, daß ein wichtiges Kriterium zur Leistungsbeurteilung eines Vorgesetzten die Anzahl der von seinen Mitarbeitern eingereichten Verbesserungsvorschläge ist. Um Verbesserungsvorschläge auf stetiger Basis zu realisieren, müssen sich Mitarbeiter mit Vorgesetzten beraten und um Empfehlun-gen bitten. Eine solche Kommunikation kann sehr lehr- und aufschlußreich sein. Tatsache ist, daß es sich hier um die wirksamste praxisbezogene Schulung handelt, die man sich vor-stellen kann.
Viele Mitarbeiter haben Schwierigkeiten bei der Formulierung ihrer Ideen. Die Vorgesetz-ten müssen daher diesen Mitarbeitern bei der schriftlichen Abfassung der Verbesserungs-vorschläge behilflich sein oder ein System entwickeln, an dem auch Mitarbeiter, die eine Aversion gegen das Schreiben haben, uneingeschränkt teilhaben können. Vorgesetzte werden damit zu "aktiven Vorschlagsboxen" . Um die aktive Mitwirkung der Arbeiter am Vorschlagswesen zu fördern, sollten Vorgesetzte folgende Regeln befolgen:
. Reagiere auf Verbesserungsvorschläge immer positiv
. Unterstütze die Arbeiter beim Niederschreiben ihrer Ideen
. Finde jede Kleinigkeit heraus, die einen Arbeiter stören könnte
. Stell das Ziel immer klar dar. Beispiel: wie viele Vorschläge streben wir diesen
Monat an? Auf welches Thema (Qualität, Arbeitssicherheit,.) wollen wir uns kon-zentrieren?
. Fördere den Wettbewerb, um das Interesse zu steigern, beispielsweise durch Aushängen der Anzahl der von jedem Mitarbeiter eingereichten Vorschläge
. Setze angenommene Vorschläge möglichst schnell um. Zahle Prämien möglichst schnell aus.
3.5.4 DIE QUALIFIKATION DER MITARBEITER
KAIZEN setzt eine hohe Qualifikation der Mitarbeiter voraus. Qualifizierung im Sinne von KAIZEN legt größeren Wert auf eine Steigerung der Prozeßkenntnisse als auf eine beruf-sspezifische Qualifikation. Dies geschieht in Übereinstimmung mit der Erweiterung des Betätigungsfeldes der Mitarbeiter (Job Enlargement) und Job Rotation, einem sys-tematischen Arbeitsplatzwechsel zur Entfaltung und Vertiefung der Fachkenntnisse und Erfahrungen. Durch diese geänderte Arbeitsorganisation, die auch als Quali-fizierungsmaßnahme verstanden wird, erhalten die Mitarbeiter ein größeres Potential, um Ver¬besserungsmöglichkeiten zu entdecken. "Reisen bildet - auch das Reisen im eigenen Unternehmen". KAIZEN verlangt nach Generalisten.
Durch die prozeßorientierte Qualifizierung und Job Rotation haben alle Mitarbeiter eine genauere Vorstellung über die Tätigkeiten ihrer Kollegen, den sie als "Kunden" bedienen. Dieser positive Zustand erlaubt es der Unternehmung, sich Veränderungen schnell anzu-passen und er erleichtert und fördert die Kommunikation, Verständigung und Kooperation zwischen den einzelnen Abteilungen. Der Mitarbeiter verliert den engen Bezug zu einem bestimmten Arbeitsplatz oder einer spezifischen Tätigkeit. Er kennt die Zusammenhänge und kann, gestützt auf sein Wissen und seine Erfahrung, eher Vorschläge unterbreiten, die eventuell sogar einen bestimmten Arbeitsplatz überflüssig machen könnten. Der Mitar-beiter muß sich als Mitarbeiter der Unternehmung und nicht einer bestimmten Abteilung sehen. Die Legitimation für seine Anstellung in der Unternehmung ist nicht, daß er einen Arbeitsplatz "besitzt", sondern seine detaillierte Prozeßkenntnis, Flexibilität und Problem-lösungskompetenz.
Durch diese Maßnahmen gewinnt neben der Fach- die Vermittlung von Methoden- und Sozialkompetenz an Bedeutung. Die fachbezogenen Kenntnisse sind weiterhin auch in Zu-kunft wichtig, hinzu kommt jedoch die prozeßorientierte Qualifizierung.
3.5.5 DIE KONFLIKTPOTENTIALE UND DIE PROBLEME DURCH KAIZEN
Die durch die Einführung von KAIZEN verursachten Änderungen können auf Widerstand stoßen. Der Schlüssel, um die Mitarbeiter einzubinden, ist die Übertragung von Kompetenz und eine ehrliche und offene Informationspolitik. Es muß dem Mitar-beiter klar aufgezeigt werden, welche Vorteile er durch die Einführung von KAIZEN ge-winnen kann.
Die Schwierigkeit bei der Problemlösung liegt darin, daß die Mitarbeiter, die ein Problem erzeugen, von diesem selten direkt betroffen sind. Menschen reagieren immer empfindlich auf Probleme und die ihnen daraus erwachsenden Unannehmlichkeiten, wenn diese von den anderen verursacht werden. Sie reagieren aber nicht empfindlich, wenn sie durch ihre Verhalten anderen Probleme und Unannehmlichkeiten bereiten. Dieser Teufelskreis kann nur dadurch durchbrochen werden, wenn sich jeder einzelne im Sinne einer "Kunden-Lieferanten-Beziehung" verpflichtet, nie ein Problem zur nachgelagerten Stelle gelangen zu lassen.
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