1806 schloss Goethe sein Drama Faust, der Tragödie erster Teil ab, das in seinen ersten Entwürfen bis in die Sturm-und-Drang-Zeit zurückreicht (Urfaust). Im selben Jahr heiratete er (endlich) seine langjährige Lebensgefährtin Christiane. Die Trauringe ließ er auf den 14. Oktober 1806 datieren, an diesem Tag hatte Napoleon in der Schlacht von Jena die Preußen geschlagen. Goethe bewunderte den französischen Kaiser vor allem als Überwinder der Revolution und Ordner des politisch zerrissenen Kontinents. Die persönliche Begegnung im Oktober 1808 betrachtete er als eines der wichtigsten Ereignisse seines Lebens.
Wieder widmete sich Goethe jetzt vorwiegend seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten, vor allem seiner Farbenlehre. In ihr führt er einen vergeblichen Kampf gegen die Optik Newtons; es ist im Grunde ein Streit des Augenmenschen und Künstlers gegen die analytische Wissenschaft. 1809 entstand der Roman Die Wahlverwandtschaften, in dem er u. a. seine letztlich von Entsagung geprägte Begegnung mit Minchen Herzlieb, der achtzehnjährigen Pflegetochter des Jenaer Buchhändlers Frommann verarbeitete. 1811 begann er die Niederschrift von Dichtung und Wahrheit, seiner Lebensgeschichte.
Goethe ist ein älterer Herr von über 60 Jahren geworden. Er pflegt jetzt regelmäßig Bäder in Böhmen aufzusuchen: Karlsbad, Franzensbad, Teplitz oder Marienbad. Dichterisch geben inzwischen Jüngere den Ton an: Ludwig Tieck, Clemens Brentano, Achim von Arnim, Novalis, August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Heinrich von Kleist. Obwohl sich die Romantiker auf Goethe berufen, vor allem auf Wilhelm Meisters Lehrjahre, lehnt Goethe die ganze Richtung ziemlich schroff ab: »Das Klassische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke« (Eckermann: Gespräche, 2. April 1829).
1814 unternahm Goethe eine Reise in die Rhein- und Maingegenden; die neu gewonnene Schaffenskraft fand ihren Niederschlag in der Arbeit am West-östlichen Divan, in welchem er in Auseinandersetzung mit dem persischen Dichter Hafis eine Synthese von östlicher und westlicher Weltanschauung schaffen wollte.
Es war die letzte größere Reise. Mehr und mehr zog sich Goethe in seinen letzten Lebensjahren zurück; vor allem nach dem Tod seiner Frau (1816) wurden die hinteren Zimmer seines Hauses zum Zentrum seiner Welt. 1823 kam Johann Peter Eckermann zu Goethe, der ihm als Sekretär und Gesprächspartner bald unentbehrlich wurde. (Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, erschienen 1836 - 48). Eine weltabgeschiedene Idylle war dieses Haus am Frauenplan allerdings nicht, dafür sorgten schon die lebenslustige Schwiegertochter Ottilie, die sein Sohn August 1817 geheiratet hatte, und die drei Enkelkinder Walther, Wolfgang und Alma.
Im Alter von 74 verliebte sich Goethe noch einmal leidenschaftlich. Es war auf seiner letzten Badereise nach Böhmen, in Marienbad, wo er der neunzehnjährigen Ulrike von Levetzow begegnete. Beinahe hätte er das Mädchen noch geheiratet, entschloss sich dann aber doch zum Verzicht. Die Triloge der Leidenschaft (darin: Marienbader Elegie) ist ergreifender Ausdruck dieser späten Passion.
Goethes letztes Lebensjahrzehnt ist erfüllt von der Arbeit an Wilhelm Meisters Wanderjahren, der Italienischen Reise, dem Gedichtzyklus Urworte, Orphisch, seiner Autobiographie Dichtung und Wahrheit, vor allem aber an Faust, der Tragödie zweiter Teil, den er 1831 abschloss, gleichsam sein poetisches Vermächtnis. »Mein ferneres Leben«, sagte er zu Eckermann, »kann ich nunmehr als reines Geschenk ansehen, und es ist jetzt im Grunde ganz einerlei, ob und was ich noch etwa tue.« Am 22. März 1832 starb er im 83. Lebensjahr.
Nachdem schon seit 1827 seine Werke, vollständige Ausgabe letzter Hand in vierzig Bänden erschienen waren, wurden nach seinem Tod von 1832 bis 1842 noch zwanzig Bände Nachgelassene Werke ediert. Ein gewaltiges, in der Qualität unterschiedliches und an Widersprüchen reiches Ouvre. In ihm spiegelt sich eine große Persönlichkeit, deren tiefere Problematik nur aus den Zeitumständen adäquat verstehbar wird. So ist dieses Werk zugleich Spiegelbild einer Epoche, die in ihrem inneren Widerspruch die vielleicht fruchtbarste und folgenreichste der deutschen Geistesgeschichte ist.
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