1794. Zwanzig Jahre sind vergangen, seit Goethes Werther im Druck erschien, und so viel er inzwischen auch geschrieben hat, kaum mehr etwas war wieder wirklich populär geworden, und vergleichsweise Weniges davon ist später in den Kanon der klassischen Literatur eingegangen (Iphigenie, Egmont, Tasso sind freilich dafür um so gewichtiger). Seine naturwissenschaftlichen Forschungen, die trotz origineller Ideen und frappierender Funde letztlich Dilettantismus blieben, haben ihn viel Kraft und Zeit gekostet. Jetzt aber geschieht etwas, das nur vergleichbar ist mit Goethes Herder-Begegnung in Straßburg: Er lernt Friedrich Schiller kennen.
Das heißt, gekannt hatte man sich von Jena her schon einige Jahre, flüchtig, und mochte sich nicht besonders. Doch eines Tages, in einem Gespräch in der Jenaer »Naturforschenden Gesellschaft« über die Metamorphose der Pflanzen, kamen sich die beiden Dichter näher. Schiller war 35, also zehn Jahre jünger, hatte u. a. mit Die Räuber und Kabale und Liebe seinen persönlichen Sturm und Drang nachgeholt, war dann durch die Lektüre Kants zu einer inneren Wandlung gelangt; er war, viel mehr als Goethe, ein philosophischer Kopf. Schiller ging von der Idee aus, Goethe kam von den Anschauungen her. So waren sie diametrale Gegensätze, konnten sich aber gerade dadurch ergänzen. Aus der Bekanntschaft erwuchs bald eine enge Zusammenarbeit, und für Goethe begann eine Phase intensiver dichterischer Produktion. Die schon erwähnten Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten veröffentlichte Schiller in seiner Zeitschrift Horen noch 1794, die Römischen Elegien 1795, die Venetianischen Epigramme erschienen 1796 in seinem Musenalmanach. Im selben Jahr verfassten Goethe und Schiller zusammen ihre Xenien, boshafte Epigramme auf zeitgenössische Kritiker und Dichter-Kollegen. 1797 wurde das berühmte Balladen-Jahr, in dem Goethe Die Braut von Korinth, Der Zauberlehrling und Der Gott und die Bajadere schuf. Wichtiger noch: Goethe schloss seinen Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre ab, nahm die Arbeit am Faust wieder auf, die lange geruht hatte, und schrieb das Vers-Epos Hermann und Dorothea, mit dem er erstmals seit dem Werther wieder Erfolg bei einem breiteren Publikum hatte.
Ein Jahrzehnt dauerte diese Zusammenarbeit, in der Goethe und Schiller ihre klassische Ästhetik in gegenseitiger Befruchtung entwickelten, eine Ästhetik, die ein Jahrhundert lang in Deutschland die Geister beherrscht hat. Auch wo neue Positionen gesucht wurden zuerst in der Romantik geschah dies immer in Auseinandersetzung mit den Weimarer Dioskuren. Mit dem Tod Friedrich Schillers 1805 endete jäh diese fruchtbarste Phase in Goethes Leben.
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