1. Struktur
Die Novelle von Thomas Mann ist in fünf Kapitel unterteilt. Sie tragen keine Titel. Die Kapitel sind inhaltlich klar voneinander getrennt. So beinhaltet das erste die Begegnung mit einem Fremden, der in Aschenbach eine unwiderrufliche Reiselust auslöst, während das zweite einen Überblick über Aschenbachs Leben und sein Werk verschafft. Die Reise nach Venedig und der überstürzte Abreiseversuch sind der Inhalt im dritten. Im vierten Kapitel wird die literarische Produktion und der Wandel in Aschenbachs Arbeitsweise durch den Anblick des Schönen hervorgerufen. Gegen Ende des Kapitels erkennt der Dichter, dass er den Jüngling liebt. Im letzten Kapitel sind die letzten Tage von Aschenbachs Leben beschrieben.
Auffallend ist, dass Venedig erst im fünften und letzten Kapitel im Detail beschrieben wird. Bevor die Choleraepidemie ausgebrochen und verbreitet ist, dominieren die Beschreibungen des Lidos.
Ich finde der Aufbau des Buches sehr passend und konsequent. Die Beschreibung Aschenbachs Leben dürfte nicht schon im ersten Kapitel stehen, denn der Leser ist nicht an einer Biographie interessiert, deren Person er gar nicht kennt. Das zweite Kapitel ist auch notwendig für die Verständigung der Novelle und zur nachfolgenden Interpretation.
2. Sprache
Die Sprache von Thomas Mann in "Tod in Venedig\" ist durch auffallend viele eingeschobene Nebensätze geprägt. Diese Einschübe helfen dem Schriftsteller in einem Satz sehr viel und dichte Information zu vermitteln. Dadurch werden die Sätze äusserst komplex, lang und der Satzaufbau kompliziert, was das Textverständnis nicht gerade vereinfacht. Ein weiterer Effekt dieser Nebensätze ist, dass sie dem Leser ein äusserst genaues Bild der Umgebung verschaffen oder die Handlung präzisieren. Um dieses extreme Verhältnis zwischen Haupt- und Nebensatz in Zahlen aufzuzeigen, zitiere ich aus dem Thomas-Mann-Handbuch (Seite 856, siehe auch \'5. Quellenangabe\'): "[...] Hauptsatz - Nebensatz 100:210, im Extremfall sogar 5:17.\"
Seine Ausdrücke sind in jeder Situation sehr treffend, was sich auf eine äusserst vielfältige und abwechslungsreiche Wortwahl niederschlägt. Oft verwendet er auch Synonyme, um die Aussage hervorzuheben. Dasselbe gilt für die vielen Adjektive, die Thomas Mann gezielt einsetzt.
Zusammengefasst finde ich das Sprachniveau sehr hoch, die Wortwahl äusserst abwechslungsreich und (wie das ganze Buch) ansprechend.
Die Novelle wird auf der \'Er-Sicht\' erzählt, wobei der Leser Aschenbachs Gedankengänge und Träume bis auf das letzte Kapitel klar miterlebt. Die Wortwahl ist immer der Situation angepasst: Begegnet der Schriftsteller einem Fremden, so wirkt die Sprache schleppend und es werden unauffällig Wörter mit negativer Bedeutung gebraucht. "Nötigte\" (37) man ihn auf dem Schiff nach Venedig den Speisesaal zu betreten, so "meldete\" ihm im Hotel ein Kellner "auf englisch, dass die Mahlzeit bereit sei\" (52). Erblickt der Dichter hingegen Tadzio, so wechselt die Sprache in einen ganz sanften und lieblichen Ton. Als sich Aschenbachs Leben dem Tode neigt, werden die Vorgänge im Deutschen nicht mehr klar dargestellt. Die Sprache ist nur noch spürend, es werden von Aschenbach nur noch Gesundheitszustände und Wahrnehmungen vermittelt. Die Umwelt wird nicht mehr so genau beschrieben. Dadurch wird eine Unsicherheit und die Nähe des Lebensabends ausgedruckt.
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