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deutsch artikel (Interpretation und charakterisierung)

Rätselhaftes in der "reitergeschichte"


1. Drama
2. Liebe


Auch in der "Reitergeschichte", entstanden 1898, begegnet uns ein vorerst unerklärlicher Tod. Warum muss der Wachtmeister Anton Lerch überhaupt sterben und warum diesen, einen "schimpflichen, unnützen, einen grausamen Tod" ?Für die meisten Deutungsversuche bleibt so die unaufhebbare Rätselhaftigkeit der Erzählung und die Unsicherheit der Interpreten kennzeichnend. Die Lebendigkeit der Erzählten und der Anschein, es handle sich um die Darstellung eines historischen Geschehens, führten zudem oft zu einem Missverstehen der Erzählweise dieser Novelle.



In der Tat finden sich zu Beginn der Erzählung eine Fülle von Details militärischer und politischer Art. Manche entsprächen den historischen Tatsachen, andere wiederum seien ein "freies Spiel mit den geschichtlichen Fakten" . Im ersten Abschnitt der Novelle wird von erfolgreichen Gefechten berichtet. Die sachlich-knappe Form des Berichts vermittelt den Eindruck der Leichtigkeit dieser Kämpfe. Hofmannsthal berichte aber, wie Jacques Le Rider feststellt, von keinen "Bravour- oder Geniestreichen, [...] sondern bloß[en] Nachhutgefechte[n]" .

Vorgeführt werden nicht Menschen und Tiere mit ihren eigenen Bedürfnissen oder Ängsten, sondern eine aufeinander eingespielte Militärmaschinerie. Nach all den Siegen und der Überzeugung, dass Gleiches in Zukunft zu erwarten sei, beginne jedoch im Siegesrausch eine "allgemeine Begehrlichkeit [...] den gemeinsamen Kampf abzulösen" , erwache unter den Soldaten eine Reizbarkeit nach Teilnahme am Genuss des Lebens. In dem Maße aber, in dem Versagungen zurücktreten und Begehrlichkeit um sich greift, neigt der Einzelne dazu, sich bei bietender Gelegenheit aus der gemeinsamen Aktion zu lösen. Für Lerch ergibt sich der Anstoß dazu beim Anblick eines "ihm bekannte[n] weibliche[n] Gesicht[s]" am Stadtrand von Mailand. Der Wunsch nach Erfüllung erwachter Begehrlichkeit beherrscht ihn, nach einem privaten Leben, nach Zivilatmosphäre und Behaglichkeit.

Ähnlich wie im "Märchen der 672. Nacht" ist dieses Ausscheren aus dem geschützten Bereich der Gemeinschaft der erste Schritt zum schmählichen Ende des Wachtmeisters. Ein ganz alltägliches Erlebnis wird ihn aus der gewöhnlichen Ordnung des Lebens. Die Krise, in die der Kaufmannssohn schlittert und die, in der sich der Wachtmeister befindet, sind sehr ähnlich. "Ins Leben kommen, auch auf die Gefahr hin, dem Tod ins Auge blicken zu müssen" , so beschreibt Jacques Le Rider diesen Prozess des Sich-selbst-Verlassens, des Sich-selbst-Überwindens.

Im Zustand dieser Triebhaftigkeit, dieser "Träumereien" erscheint dem Wachtmeister nun gegen Abend ein Dorf "auf verlockende Weise verdächtig" . Der Ritt durch das totenstille Dorf wird als Mitte und Angelpunkt der Erzählung angesehen. Er hat die Funktion, den ambivalenten Zustand des Wachtmeisters darzustellen, ohne dessen präzise Entfaltung das folgende Geschehen unverständlich bleiben müsste. Klimax der gespenstischen Szenerie ist die Begegnung Lerchs mit seinem Doppelgänger. Zwar ist die Begegnung mit dem Doppelgänger ein seit der Romantik gängiges Motiv für das Vorzeichen des Todes, jedoch tritt in der "Reitergeschichte" eine weitere Dimension hinzu; das Erscheinen des Doppelgängers sei in dem verwirrten und verträumten Zustand, in dem sich Lerch zu diesem Zeitpunkt befindet, "Wirklichkeit, die durch das empfängliche Innere des Wachtmeisters bedingt ist" . Die dritte Person ermögliche es, diese subjektive Erfahrung Lerchs als objektive Wirklichkeit zu erzählen.

Das Signal zur Attacke reißt den Wachtmeister aus seinen Träumen und er wendet sich dem neuen Gefecht zu. In der Schlacht tötet er einen Offizier und erbeutet dessen Pferd. Dieses Beutepferd hat für ihn zweifellos eine ungeheure Bedeutung gewonnen, ist zum "Inbegriff alles dessen geworden, was das bedrückte und unerfüllte Dasein des Lerch [...] nicht ist, aber doch sein könnte" .

Unter diesen Vorzeichen geschieht nun die "unerhörte Begebenheit", weswegen wir die "Reitergeschichte" eine Novelle nennen. Der Rittmeister befiehlt der Kompanie, die Beutepferde auszulassen. Im Wachtmeister regt sich ein "bestialischer Zorn" gegen den Rittmeister, der ihm "das Pferd wegnehmen wollte" . Keiner der Soldaten befolgt diesen Befehl, jedoch scheint Lerchs Befehlsverweigerung von anderer Qualität zu sein als die der anderen Soldaten. Sie verursacht eine "ungeheure[...] Gespanntheit" , die sich erst durch den Schuss des Rittmeisters auflöst, mit dem dieser Lerch tötet.



Aus militärischen Gründen kann die Tötung Lerchs nicht gerechtfertigt werden. Dass aber gerade der Wachtmeister so unglaublich hart bestraft wird, hält keiner der Interpreten für zufällig. Das Spektrum der Deutungen ist farbenreich. Sie gehen meistens vom Wachtmeister aus, da beim Rittmeister anscheinend "kein Spalt seiner Seele geöffnet [wird]" . So trage der Rittmeister als "Gegenfigur" einen psychologischen Gegensatz aus und des Wachtmeisters Tod habe stellvertretende Bedeutung für den "Reinigungsvorgang", den die Schwadron durchmachen müsse. Auch wird vermutet, der Wachtmeister verkörpere die "freche Auflehnung", den "Aufstand des Gemeinen gegen das Edle" .

Der Starre, dem Zorn und der Stummheit des Wachtmeisters liegen jedenfalls komplexe psychische Vorgänge auf mehreren Ebenen zugrunde. Vordergründig gesehen stehen im Rittmeister und Wachtmeister Vertreter zweier sozialer Schichten einander gegenüber. Auf der einen Seite der adelige Rittmeister, der die bestehende Ordnung verteidigt, die sich nicht zuletzt in der Befolgung eines Einzelbefehls zu bewähren hat. Auf der anderen Seite der Wachtmeister, der den unteren sozialen Schichten angehört und in einem langjährigen Dienstverhältnis gelernt hat, Befehle bedingungslos auszuführen. Im Konfliktfall kann der in seiner Ohnmacht hilflose Untergebene, gewöhnt an Gehorsamsübung, gar nicht anders reagieren als durch Befehlsverweigerung. Der Anspruch Lerchs, im Beutepferd vergegenständlicht, trifft den Rittmeister nun an einer empfindlichen Stelle. Nicht nur Rang und Macht, sondern auch das Selbstverständnis des Rittmeisters stehen auf dem Spiel.

Lerchs Verhältnis zu seinem Vorgesetzten ist in seinem Kern ambivalent. Einerseits ist es bestimmt durch Zutrauen, das aus "vieljährigem Dienstverhältnisse" hervorgegangen ist, andererseits ist dies auch die Ursache für den Zorn, "wie er nur durch jahrelanges enges Zusammenleben auf geheimnisvolle Weise entstehen kann" . Gerade dieser Widerspruch von Zutrauen und Zorn, versinnbildlicht im oft vorkommenden Bild des unterworfenen Hundes, mache Lerch zu einem psychisch Geschädigten: "Lerch ist kein Revolutionär, sondern ein Gestörter" . Weil Lerch nicht Revolutionär, sondern ein an den Verhältnissen Gescheiterter ist, ist sein Tod Ausdruck einer Ohnmacht, die ihre Ursachen nicht in der Gehorsamsverletzung hat, sondern in seiner gestörten Identität.

Hofmannsthal ziele mit dieser Erzählung, so Wolfram Mauser, auf eine Lösung des Konflikts ab, der der Selbstverwirklichung des einzelnen im Wege steht. Dazu gehört die Überwindung des Gegensatzes Dienst/Leben, an dem der Wachtmeister zerbrochen ist, und die Gewinnung einer Identität, die Dienst und Leben zu integrieren vermag.

 
 

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