Süskinds "Geschichte eines Mörders" ist auch ein Entwicklungsroman, der den Werdegang von Grenouille schildert. In der Tat steht Jean-Baptiste in fast allen Kapiteln des Romans im Mittelpunkt. Er ist die zentrale Figur, er besitzt keinen Gegenspieler. Er stellt den "Fels in der Brandung" dar, er ist das Zentrum des Romans um den alle anderen gruppiert sind.
Grenouilles geniale Fähigkeiten sind von seiner Geburt an vorhanden. Schon das Kleinkind erweckt durch sein abstoßendes Äußeres und sein unheimliches Verhalten Ablehnung und Furcht. Erst als er seinen ersten Mord verübt, beginnt sein eigentliches "menschliches" Leben. Bis dahin dämmert er als "Zeck", dahin, nur "aus reinem Trotz und aus reiner Boshaftigkeit"(S.28)
Dieser Mord war ein "Schlüsselerlebnis" für den Protagonisten. Grenouille erhält durch den Duft des Mädchens einen Schlüssel zur Ordnung aller Düfte. Gleichzeitig bekommt sein Leben einen Sinn, denn nun erkennt er den Sinn seines Lebens, nämlich "die Welt der Düfte zu revolutionieren".
Bei Baldini macht Grenouilles Prozess der Zivilisation weitere Fortschritte.
Er erkennt, dass es zweier Voraussetzungen bedarf, um Schöpfer eines absoluten Duftes zu werden: "Die eine war der Mantel einer bürgerlichen Existenz." Die andere war die Kenntnis jener handwerklicher Verfahren, die die Herstellung von Duftstoffen erst möglich machen.
Dem Lebensabschnitt im Plomb du Cantal kommt für seine Entwicklung besondere Bedeutung zu. Hier hat er kein menschliches Gegenüber. In den vorausgegangenen
und folgenden Lebensphasen ist Grenouille mit Menschen konfrontiert. Nur in diesem Abschnitt steht er nur sich selbst gegenüber.
Während seiner Zeit in Montpellier macht seine "Sozialisation" weitere Fortschritte.
Er lernt sich nach den gesellschaftlichen Konventionen zu verhalten. Er ist sich seiner Fähigkeiten nun weit mehr bewusst als in irgend einem vorangegangen Kapitel. Vor allem aber hat er ein klares Ziel vor Augen - die Beherrschung der Menschen/Erweckung ihrer Liebe. Dies will er durch die Kreation eines absoluten Duftes erreichen. Um diesen Duft erschaffen zu können, muss er neue Techniken der Duftgewinnung erlernen, weswegen er Baldini verlassen hat. Grenouilles Reise nach Grasse ist nun zur Vollendung seiner Pläne ein Muss geworden.
In Grasse hat sich der Prozess der Zivilisation abgeschlossen. Er ist Mitglied der Gesselschaft geworden, beherrscht ihre Umgangsformen und Konventionen. Er hat sich eine sichere Existenzgrundlage geschaffen. Sein handwerkliches Können hat er perfektioniert. Mit der Schaffung des Parfüms hat er seine Meisterleistung vollbracht, das Ergebnis höchsten handwerklichen Geschicks. Als sich die Wirkung seines Meisterwerks entfaltet, wird dies zur persönlichen Katastrophe. Denn die Menschen lieben nicht ihn, sondern seinen künstlichen Geruch. Grenoullie ist nicht nur auf dem Gipfelpunkt seiner Macht sondern auch auf dem Gipfel der Einsamkeit.
Am Ende kehrt Grenouille zu sich selbst zurück, zu dem schon im Mutterleib verhassten Grenouille. Er hat erkannt, dass er immer der Verstoßene, der Ungeliebte sein wird. Sein von ihm provozierter Tod ist somit kein Opfer, sondern Befreiung.
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