Die Autorin
Christa Wolf ist die wohl bekannteste Schriftstellerin der ehemaligen DDR. Ähnlich ihrer "Heldin" Kassandra hat sie selbst einen langen Entwicklungsweg hinter sich.
1929 in Landsberg an der Warthe (heute Górzow Wielkopolski, Polen) geboren, erlebt sie als Kind die Hitlerzeit und den zweiten Weltkrieg. Wie viele andere junge Leute engagiert sie sich politisch, weil solche einschneidenden Ereignisse nie wieder stattfinden sollen. Sie tritt der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) bei.
1991 heiratet sie Gerhard Wolf, in der Folge bekommt sie zwei Töchter.
Zwei Jahre danach schliesst sie ihr Germanistikstudium ab und arbeitet als Redakteurin und Lektorin bei verschiedenen Verlagen.
Christa Wolf wird 1955 Mitglied im Schriftstellerverband der DDR und kann sich 1962 als freie Schriftstellerin nahe Berlin niederlassen.
Der Inhalt
Kassandra ist trojanische Königstochter. Nach Trojas Niederlage als Kriegsbeute nach Griechenland verschleppt, sitzt sie auf einem Wagen vor der Burg Mykene und als Seherin weiss sie, dass sie nur noch Minuten von ihrer Ermordung trennen. Sie muss nun irgendwie mit ihrer Todesangst fertig werden. In dieser Situation rasen Gedanken und Erinnerungsfetzen ungeordnet durch ihren Kopf.
Zunächst zieht sich als roter Faden die Frage Warum wollte ich die Sehergabe unbedingt? durch ihren Lebensrückblick. Dazu fallen ihr scheinbar zusammenhanglos Erlebnisse ein, die ihren Lebensweg mitbestimmt haben. Allmählich aber wird ihre Erzählweise chronologischer, als sie sich gedanklich mit dem zentralen Ereignis ihrer Lebenszeit auseinandersetzt: dem Trojanischen Krieg. Sie rekapituliert, wie er allmählich entstand, welche Menschen ihn verur¬sacht haben und ihrerseits von im geprägt wurden, welche Unmenschlichkeiten sich in seinem Verlauf entwickelten und wie am Ende die ganze trojanische Kultur ausgelöscht wurde.
Alle, von denen sie berichtet, haben ihren ganz persönlichen Anteil an diesem Krieg: die griechischen "Feinde" ebenso wie ihre Familie, Menschen, die sie am liebsten verachten würde, ebenso wie solche, die sie kritiklos geliebt hat und letztlich auch Kassandra selbst. Darüber legt sie vor sich selbst Rechenschaft ab.
Am Ende geht Kassandra ruhig und bewusst ihrem Tod entgegen.
Ein Textausschnitt
Es ist ja nicht Hochmut, nicht nur Scheu, die auch, natürlich, wenn ich den Frauen, als wir allmählich auch über unsre Gefühle sprachen, nie ein Wort über Aineias sagte. Immer hielt ich mich zurück, niemals habe ich, was andre Frauen taten, mein Inneres nach aussen gekehrt. Ich weiss, dass ich so die Schranke zwischen uns nie ganz einriss. Der unausgesprochene Name des Aineias stand zwischen mir und den Frauen, die, je länger der Krieg dauerte, vor ihren verwilderten Männern genausoviel Angst hatten wie vor dem Feind;
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